Schauplatz Venedig:Eine Stadt als Schlachtfeld

Pink Floyd In Venice

Venedig während es "Pink Floyd"-Konzerts mit der schwimmenden Bühne gegenüber dem Markusplatz, am 15. Juli 1989.

(Foto: Hulton Archive/Getty Images)

Achttausend Menschen haben in Venedig gegen den Ausverkauf der Stadt an den Tourismus demonstriert. Sie erinnerten dabei auch an das "Pink Floyd"-Konzert im Jahr 1989, das vielen als Ursprung allen Übels gilt.

Von Thomas Steinfeld

In den vergangenen Tagen formierte sich der Widerstand der venezianischen Restbevölkerung gegen die Kreuzfahrtschiffe neu, die, vielen Beschlüssen und Regelungsversuchen zum Trotz, noch immer die Altstadt durchqueren, um auf möglichst spektakuläre Weise zu ihren Liegeplätzen hinter dem Bahnhof zu kommen. Einer dieser Giganten war zuvor, wegen eines technischen Versagens, gegen eine Kaimauer gefahren und hatte auf dem Weg dorthin ein viel kleineres Schiff vom Typ Flusskreuzer gerammt. Etwa achttausend Menschen demonstrierten am vergangenen Samstag, und sie waren so aufgebracht, dass sie in einem Akt des zivilen Ungehorsams den Markusplatz besetzten, der eigentlich für Kundgebungen aller Art gesperrt ist. Zugleich häufen sich in der italienischen Presse die Erinnerungen an ein Ereignis, das sich genau vor dreißig Jahren zutrug und das, je mehr Zeit vergeht, um so deutlicher als Zäsur wahrgenommen wird: Am 15. Juli 1989, dem Fest des "Redentore", gab Pink Floyd ein Konzert in Venedig, mit katastrophalen Folgen für die Stadt. Mit diesem Auftritt, so die neueste kulturkritische Geschichtsschreibung, habe der totale Ausverkauf der Stadt an den globalen Tourismus begonnen.

Als Pink Floyd kam, wurden die Kanäle zu Latrinen

Die Gruppe spielte auf einer schwimmenden Bühne, die auf halber Strecke zwischen dem Dogenpalast und der Kirche "Il Redentore" auf der Giudecca festgemacht worden war und sich zum Markusplatz hin öffnete. Tausende von kleinen Booten verwandelten die Wasserfläche vor dem Palast in einen gigantischen Steg. Der Markusplatz und die Uferpromenade waren überfüllt. Viele Menschen kletterten die Fassaden des Dogenpalastes und des angrenzenden ehemaligen Gefängnisses empor, um besser sehen zu können. Zwei-, wenn nicht dreihunderttausend Menschen sollen zu diesem Konzert gekommen sein, das gratis war und von der RAI, dem staatlichen Fernsehsender, übertragen wurde. Die meisten Besucher indessen dürften nicht allzu viel von der Veranstaltung mitbekommen haben. Die Massen versperrten sich selbst den Blick, und zu hören gab es auch nicht viel, die Lautstärke war wegen der fragilen Bauwerke gesenkt worden. Nach neunzig Minuten war Schluss. Die Menge blieb sich selbst überlassen. Viele Menschen übernachteten dort, wo sie sich gerade befanden.

Am nächsten Tag glich Venedig einem stinkenden Schlachtfeld. In Ermangelung von sanitären Anlagen waren die Kanäle als Latrinen benutzt worden. Der Abfall häufte sich zu Bergen. Die Kommunalarbeiter waren durch die Müllmenge überfordert, die Armee musste zu Hilfe geholt werden. Das Fest des "Redentore" wird in Venedig gefeiert, um an eine Befreiung der Stadt von der Pest zu erinnern. An diesem Tag schien die Pest, in verwandelter Form, zurückgekehrt zu sein. Die Bilder vom Untergang Venedigs in der Popkultur gingen um die Welt.

Zu jener Zeit wollte sich Venedig um die Austragung der Weltausstellung des Jahres 2000 bewerben, ein Projekt der linken Parteien. Die Konservativen, so die Theorie, hätten das Konzert absichtlich schlecht vorbereiten lassen, um die Bewerbung zu hintertreiben. Kurze Zeit später traten der Bürgermeister und seine Stadtregierung zurück. Von der Weltausstellung war bald nicht mehr die Rede. Geholfen aber hat die Intrige nicht: Die Langzeitfolgen jenes Konzerts für das moderne Venedig, so ein Kolumnist des Kulturjournals Pangea, seien mit den Konsequenzen der Selbstaufgabe Venedigs angesichts der Truppen Napoleons im Jahr 1797 zu vergleichen.

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