Süddeutsche Zeitung

Schauplatz Singapur:Ein Paradies für Spielplatzliebhaber

Die größte Aufgabe bei der Gründung des Stadtstaats war die Frage, was zu tun ist, damit all die unterschiedlichen Ethnien friedlich zusammenleben. Lösung I: Sozialer Wohnungsbau. Lösung II: Spielplätze...

Von Arne Perras

Der freundliche rote Drache hat fast vier Jahrzehnte durchgehalten, ein stolzes Alter für ein Spielgerät, auf dem jeden Tag Kinder herumturnen. Sein Schöpfer, der Designer Khor Ean Ghee, Jahrgang 1935, gilt als Pionier unter den Spielplatzdesignern im Stadtstaat Singapur. Sein Drache, den er einst als lustiges Klettertier mit Tunnelschwanz in einem Sandkasten zwischen den Wohnblocks aufbauen ließ, erstrahlt in diesen Tagen in Festbeleuchtung, die Singapurer verehren ihn wie ein Monument. Im Nationalmuseum hat zugleich eine Ausstellung eröffnet mit dem Titel "Je näher wir zusammenrücken: Singapurs Spielplätze 1930 bis 2030". Auf den ersten Blick zeigen die Exponate eine Welt, wie man sie aus vielen Städten kennt. Wer sich allerdings genauer mit den Videoclips, Modellen und Fotos beschäftigt, merkt bald, dass Spielplätze hier doch eine besondere Geschichte erzählen. Denn Singapur ist ein Staat, der nichts dem Zufall überlässt, auch nicht, wenn es um das Spielen seiner Kinder geht.

Vor der Unabhängigkeit war das noch anders, die Briten kontrollierten den Hafen zur Welt, aber die meisten Leute lebten noch auf dem Dorf, in ihren "Kampongs". Ein Schwarz-Weiß-Foto von 1938 zeigt ein paar Jungs im Lendenschurz, sie tollen am Strand herum, hinter ihnen sind strohgedeckte Hütten auf Stelzen zu sehen. Landkinder, von Urbanisierung keine Spur. Es folgte der Zweite Weltkrieg, düstere Jahre der japanischen Okkupation und dann, nach dem endgültigen Abzug der Briten, die rapide Aufbauphase des unabhängigen Stadtstaates. Gründervater Lee Kuan Yew dachte viel darüber nach, wie die unterschiedlichen Ethnien - Chinesen, Inder, Malaien - denn nun am besten zusammen leben könnten, nachdem es Anfang der Sechzigerjahre noch zu blutigen Unruhen zwischen den Gruppen gekommen war.

In jener Zeit entwarf Singapur seine eigene Variante des sozialen Wohnungsbaus. Hochhäuser-Ensembles als Antwort auf wachsende Platznot, mit strikten Regeln, die der Bildung von Gettos vorbeugen sollten. Jede Ethnie musste fortan in jeder Wohnanlage, HDB genannt, vertreten sein. Der Staat mischte die Bürger per Quote in den neuen Wohnblöcken durcheinander, ob sie es wollten oder nicht.

Die Singapurer wohnten fortan in "vertikalen Kampongs", wie das ein Stadtplaner nennt. Da aber jede Familie in ihr eigenes Apartment zog, musste es neue Räume der Begegnung geben, gerade für Kinder. Konnten sie erst einmal zusammen spielen, dachten die Gründer, würden sie auch später als Erwachsene leichter miteinander auskommen. Und was konnte so ein Ziel besser befördern als gemeinsame Plätze inmitten der HDB-Blöcke? "Wir bauten sie so, dass sich auch die Eltern dort zusammensetzen und reden konnten", erinnert sich Stadtplaner Liu Thai Ker. "Wir wollten, dass die Spielplätze Gemeinsinn fördern, alle sollten das Gefühl haben hierherzugehören." Später kamen Sport- und Turngeräte für Ältere hinzu, um auch den Austausch zwischen den Generationen zu stärken. Das alles glückte ganz gut über die Jahrzehnte, die digitale Revolution aber wirft auch für Singapurs Spielplätze neue Fragen auf. Oft flitzen die Kinder jetzt von der U-Bahn direkt in die Apartments, die Augen fest auf ihre Smartphones geheftet. Und die Designer grübeln, wie wohl der freundliche rote Drache von morgen aussehen wird.

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SZ vom 25.04.2018
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