Schauplatz Rom:Die Nudeln der Häresie

In der Heiligen Stadt ist Heiliges Jahr. Damit die Kirche nicht alles vereinnahmt, organisieren "Priesterfresser" alternative Stadtführungen.

Von Oliver Meiler

Es gibt Zeiten, da drückt die Agenda der katholischen Kirche so stark auf den römischen Alltag, dass so manchen Römern der Appetit nach einer Portion Priester stünde. Metaphorisch verstanden, natürlich. "Mangiapreti", Priesterfresser, nennt man in Italien die Antiklerikalen, die radikalen Liberalen und rabiaten Republikaner, die noch immer an der Trennung von Staat und Kirche zweifeln und auch schon mal den Gehsteig wechseln, wenn Männer und Frauen in langen, steifen Röcken des Weges kommen. Etwa so, wie das andere bei schwarzen Katzen tun.

Nun sind also wieder solche Zeiten der vatikanischen Vereinnahmung der Stadt. Ein ganzes heiliges Jahr lang. Die großen italienischen Zeitungen, die sich alle als durch und durch säkular beschreiben würden, publizieren dicke Beilagen mit historischen Abrissen über frühere Jubiläumsjahre. Der Corriere della Sera hält in einer Serie von 15 DVDs Rückschau und zählt dabei auf die Popularität des jetzigen Papstes: Jede Scheibe von "Il Giubileo di Papa Francesco" kostet 9,99 Euro. Da sind, wie es in der Werbung heißt, auch "die schönsten Bilder mit Franziskus" drauf. Aus den Zeitungen erfährt man außerdem, wie man von der Basilika San Giovanni in Laterano oder von Sankt Paul vor den Mauern am besten zu Fuß zum Petersdom gelangt, pilgernd und betend.

Bei so viel Frömmigkeit wächst leicht das Verlangen nach einem alternativen Stadtrundgang. Die linke italienische Zeitschrift Left stellt in ihrer jüngsten Ausgabe einige Stationen vor, die bei der Begehung des unheiligen Rom auf keinen Fall ausgelassen werden dürfen.

Da wäre zum Beispiel der Campo de' Fiori. In dessen Mitte, auf einem schmucklosen Sockel, steht die Statue von Giordano Bruno mit weit ins Gesicht gezogener Kapuze. Der Dominikaner und Zweifler im Geist war vom Tribunal der Inquisition verurteilt und auf dem Campo verbrannt worden, bei lebendigem Leib, im Jahr 1600.

Ein Muss ist auch der Besuch des "Palazzaccio", wie die Römer ihren Justizpalast am Tiberufer nennen, weil er so massiv und hässlich ist: Der wurde nämlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur deshalb so groß gebaut, weil in der damaligen Stadtregierung ein Haufen Priesterfresser saßen, die damit die Sicht auf die Kuppel von San Pietro etwas verstellen wollten. Das ganze Viertel hinter dem "Palazzaccio", das geometrisch angelegte Prati, ist voller Straßen und Plätze, die nach heidnischen Dichtern, Häretikern und hohen Militärs benannt sind, die den päpstlichen Heeren zugesetzt haben. Fehlen darf da auch ein Besuch bei der Porta Pia nicht, wo der Artillerie des Königs 1870 der Einfall gelang. Sie entrissen Rom den Päpsten - für immer wahrscheinlich.

So kommen etliche Kilometer Fußmarsch zusammen. Für die leibliche Stärkung des Gegenpilgers gibt es auf vielen Speisekarten Roms "strozzapreti", Priesterwürger - eine unförmige, daumenlange Pasta mit allerlei Saucen. Glaubt man der Legende, dann wurden die "strozzapreti" von Hausfrauen in der ehedem kommunistischen, norditalienischen Emilia erfunden. Sie sollten den Herren Pfarrern, den Don Camillos jener Zeit, quer im Hals stecken bleiben. Das ist zum Glück lange her.

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