Schauplatz New York:Kunst der Trophäen

Patti Astor ist sauer - über Lee Quiñones, einen der Street-Art-Künstler, den sie einst in ihrer Galerie groß gemacht hat. Der hilft nun mit, die wilde Vergangenheit der Lower East Side für die schicken Gentrifizierer aufzuarbeiten.

Von Peter Richter

Patti Astor ist empört. Die einstige Galeristin würde lieber nicht in einem Wandbild vorkommen, das ihr einstiger Künstler Lee Quiñones geschaffen hat. Aber eigentlich geht es um Obdachlose, Mietpreise und Hotelbars. Was ist passiert?

Astor hatte einst auf der Lower East Side von New York die Fun Gallery betrieben, von der aus die sogenannte Street Art Anfang der Achtzigerjahre ihren Weg in die Museen fand. Quiñones war einer ihrer berühmtesten Künstler. Nach Jean-Michel Basquiat und Keith Haring ist er der Sprayer, dem noch die konsistenteste Karriere im Kunstbetrieb gelang. Graffiti sprühende Kids auf der ganzen Welt kennen ihn hingegen aus den Filmen "Wild Style" von Charlie Ahearn (1983) und "Bomb the System" von Adam Lough (2002). Er ist auf der Lower East Side groß geworden, als das noch die von Lou Reed besungene Wild Side war, das raue, gefährliche Armenhaus von Manhattan, später dann der Nistplatz von Punk und Bohème. Mittlerweile wohnt er in Brooklyn, denn die Lower East Side ist, neutral ausgedrückt, nicht mehr, was sie mal war, sondern New Yorks Ballermann für Touristen und Vorstadt-Schönheiten, deren Traum vom Saturday Night Life darin besteht, in gürtelartig knappen Tube-Kleidchen zu plärrendem Charts-R&B auf den Dachterrassen von Neubau-Hotels herumzustaksen. Das Indigo Hotel auf der Ludlow Street ist so eins. Hier hat Lee Quiñones als Auftragsarbeit für die Bar nun die Vorgeschichte des Viertels an die Wand gemalt. Die Verstimmung, die das bei manchen auslöst, ist auch deswegen so groß, weil diese Bar "Mr. Purple" genannt wurde, "Mr. Purple" aber war ein ortsbekannter Obdachloser, bürgerlicher Name David Wilkie, der erst diesen September verstorben ist. Mr. Purple war ein früher Aktivist des "Guerilla Gardenings", der Stadtgarten, den er Mitte der Siebziger auf einer Brache in der Forsythe Street anlegte, wurde als "Garden of Eden" berühmt.

Bitter ist das, wie die Lower East Side nun gentrifiziert wird

Es ist eine dieser Gentrifizierungsgeschichten, die man aus aller Welt erzählen könnte. Aber die New York Times hat zu Weihnachten mit Bitterkeit aufgelistet, mit welcher Regelmäßigkeit sich die Gewinner dieser Aufwertungsprozesse gerade in der Lower East Side und dem anschließenden East Village zu Werbezwecken die durch sie beendete Vorgeschichte einverleiben: In der Mode-Boutique, die heute in den Räumen des legendären Clubs CBGB sitzt, liegen noch ein paar originale Punkrock-Devotionalien aus. Die New York University hat das Wohnheim, für dessen Bau die Konzerthalle Palladium verschwinden musste, einfach auch Palladium genannt. Und da, wo die Politspaßvögel der Youth International Party die Zeitung Overthrow druckten, ist jetzt das "Overthrow Boxing Gym".

Die Demütigung des Besiegten wird traditionell erst durch die Vorführung der von ihm eroberten Trophäen komplett. Das erklärt die Verbitterung von Veteranen wie Patti Astor. Aber diese uralte kulturelle Praxis hat trotzdem ihren Wert: Sie bildete oft genug den Grundstock der Bildungseinrichtung Museum. Immerhin wird bei dieser New Yorker Vulgärvariante Hegel'scher Dialektik Geschichte tatsächlich noch irgendwie aufgehoben und nicht einfach nur so rückstandsfrei überschrieben wie überall sonst in der Stadt. Die wilde alte Lower East Side steckt als Geschmacksverstärker in der glatten neuen, aber auch als schlechtes Gewissen.

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