Schauplatz London:Neues Blut

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Mit ihrem Debütstück über Gentest und die gnadenlose Optimierung des Menschen mischt die junge Autorin Ella Road gerade die Londoner Theaterszene auf.

Von Cathrin Kahlweit

Es gibt unter Theatermachern die ewige Klage darüber, dass zu wenige oder besser: zu wenig gute neue Stücke auf dem Markt seien. Vielleicht ändert sich das, wenn sie etwas von Ella Road gesehen haben. Die junge Ex-Schauspielerin hat vor zwei Jahren angefangen, Stücke zu schreiben, weil sie kaum Rollen bekam, und weil sie es hasste, von oben herab behandelt und immer wieder gefragt zu werden: Wo habe ich Sie denn zuletzt gesehen? "Ich dachte dann oft frustriert: Wenn ich dich beeindruckt hätte, hättest du dich erinnert und mich nicht gefragt." Sie begann außerdem zu schreiben, weil Frauen in diesem harten Geschäft immer noch unterrepräsentiert sind. Erst unlängst haben 200 Autoren einen Protestbrief an das National Theatre unterzeichnet, weil auf dem Spielplan in der kommenden Saison kein einziges Stück von einer Frau stand. Mittlerweile schreibt der neue Star der Londoner Szene an mehreren Texten zugleich - und bearbeitet ihren Erstling für das Fernsehen.

Diesen Erstling, "The Phlebotomist", hat Road mit 27 Jahren vorgelegt; er ist noch für kurze Zeit im Hampstead Theatre in London zu sehen und wurde sogleich für die Olivier-Awards nominiert. Ein Phlebotomist ist jemand, der Blut abnimmt; in Roads Dystopie geht es folgerichtig um Bluttests, um die Vorhersagbarkeit von Krankheiten und um eine Gesellschaft, die sich, schleichend und freiwillig, einem Raster unterwirft, das Menschen in gesunde und potenziell Kranke, und damit in fortpflanzungsberechtigt und nützlich oder in unwert und nutzlos aufteilt. "Ratism" nennt die Autorin das Phänomen, das Beziehungen, Jobs, Familien dominiert: Bekommst du mit mir ein Kind, obwohl mein Rating schlecht ist, weil ich mit hoher Wahrscheinlichkeit im Alter Parkinson bekomme? Heiratest du mich, wenn ich doch schon jetzt weiß, dass bei mir bald eine Autoimmunkrankheit ausbricht? Wer gibt mir einen Job, wenn ich einen Hang zu Depressionen habe? Und wer gibt mir einen Job, wenn ich das verschweige?

Road erzählt das Drama als Liebesgeschichte: Bea, Phlebotomistin, verliebt sich in Aaron, Sohn aus gutem Haus, beide haben gute Ratings. Bea fälscht den Bluttest für ihre Freundin Char, die ihrem Arbeitgeber eine Muskelschwäche verheimlichen will - und beginnt, daraus einen Nebenjob zu machen: Wo sich Alltag und Zukunft über gute und schlechte Gene definieren, kann man mit falschen Diagnosen Gott spielen und viel Geld verdienen.

Bea wird schließlich schwanger - ein Risiko in einer Welt, in der es "Abtreibung nach der Geburt" gibt, wenn das Kind nicht die gewünschten Eigenschaften aufweist; ein Risiko auch in ihrer Beziehung. Denn Aaron verschweigt, dass er eigentlich ein Rating von 2,2 hat. Unterste Schublade, nicht vermittelbar, schizophrener Vater, laut Bluttest droht Aaron selbst, eines Tages schizophren zu werden.

Ella Road ist ein kleines Meisterwerk gelungen; anrührend und visionär. "Es liegt in unserer Natur, Menschen nach ihrer Intelligenz, ihrer Gesundheit, ihrem Aussehen zu rastern", sagt sie. "Wo chinesische Forscher Babys klonen, pränatale DNA-Tests Alltag sind und es nicht mehr lange dauert, bis man die Gene seiner Kinder aussucht, ist 'The Phlebotomist' keine Science-Fiction mehr."

© SZ vom 17.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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