Ein bisschen traurig ist es ja schon, dass der Austausch zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen organisiert werden muss. Aber wenn er sich eher selten einfach so ergibt, in der U-Bahn, im Fitnessstudio, ist es immer noch besser, ihn zu organisieren, als es sein zu lassen. Das Islamforum, der Tag der offenen Moscheen, ab dem Wintersemester 2018/19 das Institut für islamische Theologie an der Humboldt-Universität - all das reicht noch nicht. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller sagte kürzlich in einem gemeinsamen Interview mit der neuen Staatssekretärin Sawsan Chebli in der FAZ: "Wir brauchen noch viel mehr solcher Foren der Begegnung, wo wir einander besser kennenlernen." Voilà, jetzt gibt es einen neuen Graswurzelansatz, er heißt "Meet a Muslim".
Ein bisschen wie im Zoo fühlt es sich an, wenn man einander an einem langen Tisch paarweise gegenüber sitzt, auf der einen Seite "Interessierte", also nicht-muslimische Deutsche, auf der anderen Seite in Deutschland geborene Muslime. Angemeldet haben sich alle per E-Mail und dann, konspirativ geradezu, die Adresse eines Restaurants in der Nähe der Friedrichstraße genannt bekommen.
Organisierter Vorurteilsabbau unter Zeitdruck
Als Speeddating ohne Dating könnte man bezeichnen, was hier passiert, oder: als interreligiös-interkulturellen Vorurteilsabbau unter Zeitdruck. Jeweils acht Minuten haben die Paarungen für die drängenden Fragen, dann muss die eine Seite wieder einen Stuhl weiterrücken. Dabei sind die drängenden Fragen natürlich gerne auch mal simple Fragen: "Nervt dich die Kopftuchdebatte in Deutschland?" Klar. Aber jede Frage sei eine gute Frage, solange in Deutschland "immer über die Muslime geredet wird, statt mit ihnen". Das sagt Salim, ein Student mit jordanischem Hintergrund und schicker Malcolm-X-Brille.
Manche der Geschichten sind filmreif. Da ist der Konvertit Dennis Sadik, aufgewachsen im Osten in einer Familie voller Rechtsradikaler. Als Teenager wollte er erst auch zu den Nazis gehören. Der Islam habe ihn vor Suff und Gewalt gerettet, sagt er. Kürzlich habe er einer lesbischen Cousine beim Coming-out geholfen. Oder die Bildungsreferentin Nesreen, in Berlin geborene Muslima mit palästinensischem Hintergrund. Sie arbeitet im Anne-Frank-Zentrum und organisiert Stadtführungen zum jüdischen Leben in Berlin. Dass sie als Kopftuchträgerin dabei immer wieder ungläubig angestarrt werde, wundert sie nicht, dabei betrachtet sie Juden als "unser Brudervolk, sie stehen den Muslimen näher als alle anderen".
Die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht, sie muss einem Teilnehmer von "Meet a Muslim" sehr absurd und realitätsfern erscheinen. Die Initiatorinnen, Betül Ulusoy und Karla Schönicke, lernten sich kennen, nachdem Ulusoy über soziale Netzwerke einen Hilferuf abgesetzt hatte. Sie war auf Wohnungssuche, erfolglos, Berliner Immobilienfirmen vermieten nicht gerne an Kopftuchträgerinnen. Schönicke, selbst neuapostolische Christin, hatte zwar keine Wohnung anzubieten, aber Lust aufs Kennenlernen. So fing es an.
Dass Ulusoy, die Mitglied der Berliner CDU ist, vor einigen Monaten aufgrund eines als zu AKP-freundlich aufgefassten Tweets zum Putsch in der Türkei in die Schlagzeilen geriet, möchte sie mit ihrem Engagement bei "Meet a Muslim" nicht vermischt wissen. Und es stimmt ja: Die Idee eines regelmäßigen Ortes für die Begegnung von Muslimen und Nicht-Muslimen ist gut und wichtig. Pflichtveranstaltung für alle Berliner? Der Senat sollte darüber nachdenken.