Schauplatz Berlin:Nacktbaden in Neukölln

Lesezeit: 2 Min.

Die Hauptstadt hat eine lange Tradition der Freikörperkultur und des Nacktbadens. Aber wie steht es darum angesichts des mächtigen Trends, im Wasser immer mehr anzuziehen? Eine Antwort erhält man jeden Mittwoch im Stadtbad Neukölln.

Von Jan Kedves

Wofür kämpft, wer ohne Badesachen in der Halle schwimmt? Für mehr Nacktheit in geschlossenen Räumen, für weniger Gepäck im Rucksack, für gesundes Körpergefühl, weniger Scham, gute Aussichten oder einfach die Freiheit, ohne Badehose in der Halle schwimmen zu können? Die Berliner Bäderbetriebe halten für Interessierte in ihren 26 Schwimmhallen und vier Kombibädern noch genau ein einziges Zweistunden-fenster offen: mittwochabends in der Kleinen Halle des Stadtbads Neukölln.

Dass hier im neoklassizistischen Ambiente, unter ionischen Säulen und Wandmosaik, gekämpft wird, beziehungsweise: verteidigt, wird sofort klar. Früher war textilfrei in Berliner Bädern nichts Besonderes. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte man in die von Vereinen für Körperkultur betriebenen Licht- und Luftbäder am Kurfürstendamm gehen. Bis vor einigen Jahren gab es auch in den Hallen in Wilmersdorf und Charlottenburg noch ausgewiesene Nacktzeiten. Die wurden abgeschafft, laut Aussage des Betriebssprechers Matthias Oloew aufgrund mangelnden Interesses und der vielen Touristen, die mit der Nacktheit nicht klarkämen.

Im winzigen Becken in Neukölln drängeln sich aber fast dreißig Leute, manche unterhalten sich auf Englisch. Es können gar nicht alle gleichzeitig Bahnen ziehen, es geht sich nur aus, wenn immer ein paar am Rand hängen, hinten, wo die Beckenwand abgerundet ist, weswegen man sich dort gar nicht richtig abstoßen kann, sondern immer schräg abrutscht.

Es geht hier nicht um maximale Fitness, eher um Schwimmen als Statement. Wider den Trend, im Wasser heute immer mehr anzuziehen - beim Mermaiding mit Meerjungfrauenkostüm, beim muslimischen Schwimmen mit Burkini oder beim Aquafitness, bewehrt mit Schaumstoffgurten und Schwimmnudeln. Und es geht wohl um die Verteidigung der Berliner Nackttradition.

Wobei es Unterschiede gibt. Die Veteranen des Nudismus absolvieren den gesamten Gang vom Spind in die Dusche durch den langen Flur zum Becken ohne. Andere, meist jünger, knoten sich das Handtuch erst irgendwo unterwegs von der Hüfte. Und es gibt diejenigen, die vorher noch mit Badeshorts duschen gehen und sie dann erst kurz vorm Beckenrand fallen lassen. Es gibt so viele Nacktheiten wie Nackte. Im Becken sind alle frei. Bis auf die Schwimmbrille (manche). Und die rote Badekappe (einer). Der krault sehr souverän im Zickzack zwischen den anderen durch.

Von mangelndem Interesse kann jedenfalls keine Rede sein. Vermutlich würde sich ein zweites Nacktfenster in einer größeren Halle rechnen. Die beiden Bademeisterinnen grinsen: "Stimmt, wenn FKK ist, ist es immer am vollsten!"

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: