Süddeutsche Zeitung

Schauplatz Berlin:Der doppelte Luther

Das heidnische Berlin rüstet sich für das Reformationsjubiläum. Die Luther-Statue in Mitte soll ihren alt-neuen Platz wiedererhalten. Aber das ist nicht so einfach, schon gibt es einen grundsätzlichen Streit.

Von Stephan Speicher

Das Reformationsjubiläum rückt näher, und auch das heidnische Berlin rüstet sich. Die Luther-Statue in Mitte soll ihren alt-neuen Platz erhalten, aber das ist nicht so einfach. Vor der Marienkirche, südwestlich des Hauptportals, stand seit 1895 ein aufwendiges Luther-Denkmal. Ein erhöhter Freiplatz, umgeben von einer Balustrade, trug die Statue Luthers, umgeben von anderen Hauptfiguren der Reformation. Vom Straßenniveau führten zehn Stufen hoch, links und rechts der Treppe saßen Sickingen und Hutten, die ganze Anlage eine Feier der deutschen Nation. An den Namen des Bildhauers, Paul Otto, erinnern sich auch die Kenner kaum noch; Robert Toberentz, der die Anlage fertigstellte und den Kopf Luthers schuf, war die wohl feinere Natur, was sich an dieser Stelle aber auch nur in Spuren zeigte. Das alles wurde im Krieg zerstört, die Skulpturen eingeschmolzen. Allein die Luther-Statue überstand die Zeit, wurde zunächst in Weißensee abgestellt und im Herbst 1989 wieder an die Marienkirche umgesetzt, diesmal vor das nördliche Langhaus.

Nun soll sie zurück, aber natürlich nicht in der pompösen Form von 1895. Ein Ideenwettbewerb wurde ausgeschrieben, den ersten Preis gewannen Albert Weiss und die Architekten Zeller & Moye. Sie stellen die Originalstatue auf ihren kleinen Sockel, ihr gegenüber eine Aluminiumkopie mit spiegelnder Oberfläche in Chrom oder Nickel. In der leicht abgesenkten Bodenfläche sollen dank einer Lichtinstallation Zitate von Martin Luther King oder Dietrich Bonhoeffer aufblinken. In dem doppelten Luther erkannte die Jury mehrheitlich eine "Vielzahl von Interpretationen, sei es die Spiegelung der Umgebung, oder des Betrachters". Doch die Minderheit protestierte und hält an dem Protest fest. Hier werde Luthers Theologie ins Gegenteil verkehrt. Und das ist wohl richtig. Alle Religion will den Menschen in ein Verhältnis zum Göttlichen, etwas Absolutem setzen. Aber Luthers Theologie tut es in besonderem Maße. Das Prinzip des solus Christus erwartet die Rechtfertigung des Menschen allein durch Christus und seine Gnade, Christus wird als wirkend, der Mensch als empfangend gedacht. Das Selbstgespräch des duplizierten Luthers ist jedenfalls unreformatorisch. Für die Minderheitsmeinung spricht nicht nur das historisch-theologische Argument. Sie will in der neuen Anlage eine künstlerische Wahrheit sehen und nicht nur Stadtdekoration.

Die neue Anlage vor der Marienkirche sollte mehr sein als Stadtdekoration

Aus dem Streit um das Denkmal hat sich eine echt berlinische Sache entwickelt. Die Theologen und Historiker votierten ausnahmslos gegen den doppelten Luther und wurden doch überstimmt. Juristisch sicher unangreifbar und dennoch gegen ein demokratisches Prinzip. Denn die Demokratie lebt davon, dass die in der Abstimmung unterlegene Partei sich mit der Mehrheitsmeinung arrangiert - so haben wir entschieden, auch wenn ich selbst anders denke. Wenn wie hier blockweise entschieden wird, entsteht ein Problem. Gewiss müssen die Vertreter der säkularen Gewalten mitentscheiden, nicht allein, weil das Denkmal auf öffentlicher Fläche stehen und von der öffentlichen Hand finanziert werden wird. Aber die Hauptbetroffenen niederzustimmen, das ist politisch verkehrt. Ein Luther-Denkmal vor der Marienkirche in Berlin-Mitte muss als eine künstlerische Aussage im Sinne der evangelischen Kirche verstanden werden. Hier können sich Senat und Bezirk nicht mit der ortsüblichen Dickfelligkeit auf Stimmenmehrheit und finanzielles Engagement berufen.

Noch lässt sich das Problem lösen. Ein Ideenwettbewerb verpflichtet nicht. Der Senat teilt mit, er wolle keine Realisierungsentscheidung gegen die Kirche durchsetzen, im September werde eine "konsensfähige Lösung" gesucht. Angesichts der grundsätzlichen Einwände ist ein Konsens aber nicht denkbar. Wenn die theologisch-historischen Argumente ernst genommen werden, ist der doppelte Luther perdu. Vielleicht ist das Wort von der "konsensfähigen Lösung" nur die Floskel, mit der die Zeit gewonnen wird, die es braucht, sich aus der Situation wieder herauszuwinden.

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SZ vom 29.07.2016
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