Süddeutsche Zeitung

Schauplatz Berlin:Das rosafarbene Einhorn

Fährt man mit der S-Bahn vom Bahnhof Zoo ostwärts, fällt kurz vor der Station Tiergarten ein merkwürdiger Bau auf: Ein blauer Kasten auf Stelzen, unter ihm eine riesige ringförmige rosa Röhre. Jeder kennt den Bau, aber nur wenige wissen Genaues.

Von Stephan Speicher

Fährt man mit der S-Bahn vom Bahnhof Zoo ostwärts, fällt kurz vor der Station Tiergarten ein merkwürdiger Bau auf: ein blauer Kasten auf Stelzen, unter ihm eine riesige ringförmige, rosa Röhre. Jeder in Berlin kennt den Bau, jeder ahnt, dass er eine besondere Funktion hat, kaum einer weiß, was tatsächlich los ist. Die Röhre ist ein Umlauftank. Ein Propeller, angetrieben von zwei Schiffsdieseln mit zusammen 5500 PS, sorgt für eine Strömung, in der Versuche im Schiff- und Wasserbau, an Turbinen und dergleichen durchgeführt werden. In den letzten Jahren hatte das Äußere schlimm gelitten. Die Farben waren verblasst, die Metallpaneele rostig, die Polyurethan-Umschäumung der Röhre löchrig. Nun sind die umfangreichen Restaurierungsarbeiten abgeschlossen, alles sieht wieder so gut gelaunt aus, wie der Architekt Ludwig Leo es sich gedacht hatte.

Die Restaurierung wurde von der Wüstenrot-Stiftung finanziert, die sich im Denkmalschutz große Verdienste erworben hat und dies nicht nur durch das Geld, das sie zur Verfügung stellt, sondern mehr noch durch den methodischen Anspruch ihrer Projekte. Diesmal ging es um die Restaurierung eines technischen Denkmals, einer großen Maschine aus den frühen 1970er-Jahren, errichtet mit den Materialien des Industriebaus der Zeit, die zum größten Teil heute noch lieferbar sind. Man hätte die Blechpaneele durch gleichartige fabrikneue ersetzen, den Polyurethanschaum um die Röhre ganz abnehmen und neu auftragen können. Doch entschieden sich die Wüstenrot Stiftung, HG Merz Architekten und das Büro für Architektur, Denkmalpflege und Bauforschung Ewerin und Obermann für die strenge Linie: Was irgend zu erhalten war, wurde wieder aufgearbeitet. Der Schaum um die Röhre zum Beispiel wurde nur an den schadhaften Stellen ausgeschnitten und durch neues Material ersetzt. Es war ein Experiment. Ob der Aufwand gerechtfertigt ist oder verschlissene Industrieprodukte nicht doch billiger und ohne schmerzhafte Verluste durch neue, gleichartige ersetzt werden können, das muss man jetzt diskutieren.

Unbezweifelbar dagegen ist der städtebaulich-ästhetische Gewinn. Die Straße des 17. Juni ist im Dritten Reich imperial aufgerüstet worden für die geplante Ost-West-Achse, durch Verbreiterung, die Reihe der Kandelaber oder das Gebäude des Deutschen Gemeindetags, heute Ernst-Reuter-Haus. Dieser Achse streckt Ludwig Leos Umlauftank in Form und Farbe "die Zunge raus", wie HG Merz sagte. Ein ingenieurwissenschaftliches Instrument, das, aus der Nähe betrachtet, mit seiner nicht ganz gleichmäßigen Umschäumung etwas Organisches bekommt. Das nächste rosafarbene Einhorn wird man mit neuer Milde betrachten.

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Quelle:
SZ vom 24.11.2017
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