Schauplatz Berlin:Benn, Brecht und die Mona Lisa

Zu einem Gipfel der Poesie hatte Monika Grütters, die Kulturstaatsminsterin, ins Bundeskanzleramt geladen. Es wurde schön gelesen, aber Fragen blieben, etwa diese: Warum hatte Brecht immer einen Chauffeur bei sich?

Von Lothar Müller

Kleine Erregungswogen gingen durch das Publikum. O, dass wir unsere Ururahnen wären. Am Nachmittag hatte der Kulturausschuss des Bundestages darüber debattiert, ob in Berlin nicht doch ein Freiheits- und Einheitsdenkmal gebaut werden soll. Wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nun aber hatte Monika Grütters, die Staatsministerin für Kultur und Medien, zu einem "Gipfel der Poeten" ins Kanzleramt geladen. Gottfried Benn starb am 7. Juli 1956 in Westberlin, Bertolt Brecht auf der anderen Seite der Mauer wenige Wochen später am 14. August 1956, die 60. Todestage warfen ihre Schatten aus dem vergangenen ins neue Jahr. Die Dramaturgin Anika Steinhoff vom Deutschen Theater hatte Gedichte und Briefstellen ausgestellt, in denen die Dichter den Frauen nachstellten und aneinander vorbeigingen.

Warum bloß hatte der arme B.B. immer einen Chauffeur bei sich?

Hinter den Schauspielern Hans Löw und Alexander Khuon, die gelegentlich zu stutzen schienen angesichts des demonstrativ rüden Tons, in dem Benn & Brecht Frauen und Engel traktierten, ging der Blick über den dunklen Tiergarten hinaus bis nach Schöneberg. Doktor Benn ließ einen Mann und eine Frau durch die Krebsbaracke gehen, Bertolt Brecht erinnerte sich an die Marie A. und bat um die Nachsicht der Nachgeborenen. Noch immer hängen im Elternhaus Benns keine Gainsboroughs. Wer aber die Fragen des lesenden Arbeiters im Ohr hat, fragte sich, als Brecht wieder einmal mit Ungeduld dem Radwechsel zuschaute: Warum hatte er immer einen Chauffeur bei sich? Benn huldigte derweil dem Satzbau. Ein großes Rätsel aber gaben am Ende einige Zeilen Brechts aus seinen letzten Lebensjahren auf: "Beim Anhören von Versen / Des todessüchtigen Benn / Habe ich auf Arbeitergesichtern / Einen Ausdruck gesehen / Der nicht dem Versbau galt und kostbarer war / Als das Lächeln der Mona Lisa." Das war, meinten die einen, die späte Anerkennung Benns durch seinen Antipoden. Nein, sagten die anderen, das war die letzte böse Botschaft des Jüngeren an den Älteren, eine Bekräftigung aller Absagen an die bürgerliche Dekadenz, die Überbietung des berühmtesten Lächelns der Kunstwelt, das seinen Ruhm der Zweideutigkeit verdankt, durch einen proletarischen Gesichtsausdruck, von dem man nur nicht genau weiß, wo auf der Skala zwischen Befremden und Verachtung seine Eindeutigkeit angesiedelt ist. Benn blieb davon unberührt: "Kann keine Trauer sein. Zu fern, zu weit, / zu unberührbar Bett und Tränen."

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