Schauplatz Berlin:Auf nach Schöneweide

Metropole ist mehr als Partymeile. Wer einen Eindruck bekommen will von der Industriemetropole, die Berlin einmal war, der sollte in den Südosten fahren, nach Schöneweide, in den "Industriesalon". Dort existiert die Elektropolis noch.

Von Jens Bisky

Öde wird man Oberschöneweide nicht mehr nennen wollen, obwohl der müde Namensscherz "Schöneweide - Schweineöde" wohl noch lange erhalten bleibt. Heute wirkt es dort mal zu quirlig, eilend, ratslos, ein paar Schritte weiter dann zu ruhig, als habe die Gegend ihren Rhythmus noch nicht wieder gefunden, seit sie in den Neunzigerjahren aus dem Takt kam. Was diesen bis dahin bestimmte, zeigt der Industriesalon Schöneweide: die heroischen Jahre der Berliner Moderne und deren improvisationsreiches Fortleben in der DDR.

Zur Biegung der Spree im Südosten der Stadt, dorthin, wo einmal schöne Weiden gelegen haben müssen, fuhr man ins Grüne, bis Emil Rathenau dort um die 100 000 Quadratmeter für die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, die AEG, erwarb. 1897 gingen das erste Drehstromkraftwerk Deutschlands und das Kabelwerk Oberspree (Starkstromtechnik!) in Betrieb. Stolz prangen die Zahlen an den Wänden des Industriesalons, 800 Elektromotoren trieben Maschinen, 2000 Glühlampen und 400 Bogenlampen leuchteten. Der AEG-Chefdesigner Peter Behrens, Künstlerischer Beirat der sozialpolitisch wie ästhetisch ehrgeizigen Firma, entwarf Bauten für die Nationale Automobilgesellschaft, weithin zu sehen ist der siebzig Meter hohe Turm. Am 1. Oktober 1917 begann die Fahrzeugproduktion.

Hier hört man von einem Berlin, das Industriemetropole war und als Elektropolis leuchtete

Es ist immer interessant, von einem Berlin zu hören, das Industriemetropole war, als Elektropolis Zehntausende anzog und sie glauben ließ, hier werde die Zukunft ihre Form finden. Nun, über Behrens und das Zeitalter der großen Industrien wurde viel geschrieben. Berührend ist der Industriesalon, weil er Erinnerungen an das Arbeiten in der DDR sammelt und ausstellt, weil er an die Erfahrungen der Deindustrialisierung erinnert. Das geschieht unsentimental, aber auch ohne öde Abgebrühtheit. Woanders geschieht es kaum.

Kabelwerk Oberspree, Transformatorenwerk Oberspree, Werk für Fernsehelektronik wurden nach der Vereinigung mal so, mal so geschlossen, eine Zeit lang, etwa von Samsung, in Teilen weiterbetrieben, bis auch das aufhörte. Tausende verloren Arbeitsplatz und Lebensmittelpunkt. Man kennt das Drehbuch zur Genüge: Denkmalschutz für die Gebäude, Überlebensversuche in kleinen Firmen, Initiativen, Vereine, dann die Universalretter, die keine sind: Wissenschaft und Kunst. Die Hochschule für Technik und Wirtschaft residiert auf dem einstigen Industriegelände, Galerien und Ateliers gibt es. Viel ist noch geplant, die gelben Ziegelfassaden der AEG-Stadt leuchten wieder.

Im Industriesalon kann man Arbeitsplätze aus dem VEB Werk für Fernsehelektronik bestaunen, sich handwerkliche Findigkeit erklären lassen. Röhren über Röhren sind zu sehen und Sender, die den Empfang des RIAS mit Piepen, Jaulen und dergleichen unterbinden sollten. Anfangs nutzte man viele kleine 50-Watt-Störsendern, später große Apparate, amplitudenmodulierten 2-kW-Störsender.

Prunkstück des Salons ist die Elektronische Toccata-Orgel, in den Fünfzigerjahren im Werk für Fernmeldewesen entwickelt. Etwa 230 Röhren brauchte man, um Toccata-Kompositionen wiederzugeben, der Stromverbrauch war groß. Nur eine dieser Orgeln ist erhalten, sie tat einst Dienst in der Komischen Oper. Sie kann heute nicht mehr alles so wie früher, ein Film erläutert, was noch geht, fremd klingende Begleitmusik zum Stadtschicksal der Deindustrialisierung.

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