Schauplatz Berlin:Alles verschoben

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In Berlin wird alles Originäre verschoben, innerhalb des Stadtgebiets. Brunnen, der Kaisersaal, und nun die Bierstube Alt-Berlin nahe dem Alexanderplatz, Geburtsjahr 1893. Franz Biberkopf hätte gestaunt.

Von Lothar Müller

Was in Berlin nicht schon alles verschoben wurde! Anfang der Dreißigerjahre wurde der Schinkel-Festsaal aus einem abgerissenen Bürgerhaus in das Palais am Festungsgraben eingebaut. Als die Nazis Berlin in Germania verwandeln wollten, verschoben sie die Siegessäule von ihrem Platz vor dem Reichstag zum Großen Stern. Nach dem Fall der Mauer schwebte am Potsdamer Platz der Kaisersaal, immerhin 1300 Tonnen schwer, aus dem alten Grandhotel Esplanade langsam auf Luftkissen ins entstehende Sony Center. Noch im alten, skandalgeschüttelten Westberlin der 1970er Jahre war dem Esplanade der nahe St. Georgs-Brunnen abhanden gekommen. Man hatte ihn vor der Sprengung der Ruine des Vergnügungsetablissement "Bayernhof" (ja, so hieß das) in seine Einzelteile zerlegt und dann in Charlottenburg wieder aufgebaut.

In die Tradition des Verschiebens von Innenräumen wurde, in der Sparte Vergnügungsetablissements, kürzlich eine der ältesten Kneipen Berlins aufgenommen. Mit Stolz führte die "Bierstube Alt-Berlin" ihr Geburtsjahr 1893 im Fenster, unwiderstehlich lockte der leuchtende Spruch "Das schönste aller Dinge, ein schneller Schluck bei Heinz & Inge" die Passanten der Münzstraße nahe dem Alexanderplatz ins entschlossen düstere Innere. Franz Biberkopf muss hier eingekehrt sein, als er, aus dem Gefängnis in Tegel entlassen, an der Rosenthaler Straße die Elektrische verließ und durchs Scheunenviertel stromerte.

In Berlin, Hauptstadt der DDR, hätte sich Franz Biberkopf noch zurechtgefunden, auch wenn unklar ist, ob er mit Bertolt Brecht hätte ins Gespräch kommen können. Als dann David Bowie, später Quentin Tarantino und schließlich sogar Jürgen Klopp auftauchte, war das nicht mehr seine Zeit. 2014 musste die alte Kneipe einer Boutique weichen. In der heutigen Münzstraße stünde Biberkopf staunend vor Stetson-Hüten. Die Kneipe aber wurde vor kurzem neu eröffnet, in einem rot gestrichenen Anbau des Ballhaus in der Chausseestraße, mit der alten Eichenholz-Vertäfelung, Originaltresen und Original-Leuchtreklame, düster wie eh und je. Noch ist sie keine Eck-Kneipe, aber die Nachbarschaft ist vielversprechend. An der nächsten Ecke beginnt die geheimnisvolle Welt des BND, schräg gegenüber werden demnächst die Luxuswohnungen in dem extravaganten Gebäude bezogen, das Daniel Libeskind errichtet hat. Und wenn Biberkopf vom Alexanderplatz zurück nach Tegel muss, kommt er hier vorbei.

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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