Süddeutsche Zeitung

Schauderhafte Filmgärten:Wo der Horror in den Hecken lauert

Sie wünschen sich ein schönes Plätzchen im Grünen? Dann sollten Sie erst einmal das Buch von Nina Gerlach lesen. Es zeigt, wie der Garten in der Geschichte des Films zum Ort des Bösen wurde - und warum Sie sich vor gestutzten Buchsbäumen in Acht nehmen sollten.

Jan Füchtjohann

Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Städte: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wohnt heute in der Stadt, im Jahr 2030 könnten das bis zu fünf Milliarden Menschen sein. Doch ein wichtiger Sehnsuchtsort liegt noch immer jenseits der Apartments, Wohnungen und Baracken: Die Rede ist vom Garten, jenem Traum von ganz woanders, der sich dann doch nur in der Vorstadt erfüllt.

Meine Frau will einen Garten. Die Kinder sehnen sich nach Grün. Wie kann man ins mittlere Alter kommen, ohne diese Sätze mal gesagt, gedacht oder wenigstens gehört zu haben? "Meine Wünsche sind", so sprach schon Heinrich Heine über seinen Traum vom einfacheren Leben in mehr Natur, "eine bescheidene Hütte, ein Strohdach, aber ein gutes Bett, gutes Essen, Milch und Butter, sehr frisch, vor dem Fenster Blumen, vor der Tür einige schöne Bäume, und wenn der liebe Gott mich ganz glücklich machen will, lässt er mich die Freude erleben, dass an diesen Bäumen etwa sechs bis sieben meiner Feinde aufgehängt werden."

Womit wir dann auch schon mittendrin wären im Garten der Ambivalenz. Bäume und Blumen, laue Luft und leiser Wind, Singvögel und plätscherndes Wasser - das ist ja noch lange nicht alles. Der Garten war von Anfang an auch die Heimat der Schlange. Er erinnert an ein Paradies, aus dem die Menschen herausgeworfen wurden, weshalb sich die Gärtner von heute mit Spaten, Scheren und Gift bewaffnen müssen, wenn sie sich ihr Stück Eden zurückholen wollen. Kein Wunder, dass sie am Ende immer die Mörder sind, in deren Beeten die Blumen des Bösen gedeihen.

Aber wie soll das eigentlich aussehen, ein böser Garten? Gibt es so etwas überhaupt? Die Kunsthistorikerin Nina Gerlach hat viel Zeit im Kino verbracht und nun ein Buch über die dort gezeigten Gärten veröffentlicht: "Gartenkunst im Spielfilm. Das Filmbild als Argument". Denn im Film, so schreibt sie, sind Räume immer "mitverantwortlich dafür, dass wir lachen, weinen oder uns gruseln. Der Rezipient weiß durch sie, wer 'der Böse' und wer 'der Gute' ist (. . .) In einer düsteren Burg wird man wohl kaum einen redlichen und sittsamen Bewohner erwarten."

Tatsächlich zeigt bereits das älteste bekannte Filmfragment aus dem Jahr 1888 einen Garten, durch den unscharfe Gestalten huschen. Wenig später reißen die Brüder Lumière den ersten Gärtner-Gartenschlauch-Gag. "Der Garten", schreibt Gerlach, "ist die Urform des cineastischen Sets." Doch schon bald ziehen dann die Schurken in die Gärten: Der skrupellose Medienmogul in Orson Welles' "Citizen Kane" wohnt inmitten eines neobarocken Gartens. Stanley Kubrick lässt in "Paths of Glory" ("Wege zum Ruhm") drei Unschuldige im Barockgarten von Schleißheim bei München hinrichten. Und auch der größenwahnsinnige Rassenideologe Hugo Drax aus dem James-Bond-Film "Moonraker" lebt in der Gartenkulisse von Vaux-le-Vicomte, dem ersten französischen Barockgarten. Hier ist der Garten des Bösen also noch recht leicht zu erkennen: Vorsicht vor gestutzten Buchsbäumen!

Aber was macht ausgerechnet den (neo-)barocken Garten so böse? Da wäre zunächst seine Größe. Dann die penible Ordnung mit ihren langen, geraden Achsen. Und nicht zuletzt die Symmetrie, mit der Rasenflächen, Beete und Wasserspiele verteilt wurden. Im Grunde ist der Barockgarten ein einziges großes Ornament, das man nur von oben sehen, planen und genießen kann - aus der Herrscherperspektive. Hier darf, im Unterschied zum englischen Landschaftsgarten, kein Grashalm wachsen wie er will, keine Hecke ihre natürliche Form behalten, kein Weg nach Lust und Laune um die Landschaft kurven. Stattdessen ist alles gerade, geometrisch und gestutzt, wie eine gewaltige Besserungsanstalt für die Natur.

Nina Gerlach zeigt in ihrem Buch sehr schön, wie die Regisseure des 20. Jahrhunderts mit ihrer Propaganda gegen die Geometrie an eine viel ältere Polemik anknüpfen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ereignete sich ein als "Gartenrevolution" bekannt gewordener geistesgeschichtlicher Paradigmenwechsel. Die englische Aufklärung erfand den "malerischen" Landschaftsgarten, der gerade das Irreguläre und Abwechslungsreiche als wahre und unverdorbene Natur zu feiern begann. Demgegenüber erschien der im geometrischen Garten manifestierte Anspruch, sogar die Natur bis ins Kleinste ordnen und beherrschen zu wollen, auf einmal monoton, falsch und größenwahnsinnig.

Zahlreiche Romantiker haben die Grundgedanken dieser Gartenrevolution bis in die Gegenwart getragen. Es ist kein Zufall, dass die Wege durch den Zentralgarten der freien Welt, den Central Park in New York, eben nicht gerade sind, dass die Seen dort unregelmäßige Ufer haben und es in manchen Nischen wuchert wie im Urwald. Auch im Münchner Olympiapark, dem demokratischen Gegenentwurf zum totalitären Berlin des Jahres 1936, führen alle Wege ständig hoch, runter oder um die Kurve: Abgelegt werden sollten mit den schlechten alten Idealen auch die alten Lineale.

Nach dem Ende des Kalten Krieges wird diese Symbolik dann auf den vorerst letzten Horror der Gegenwart übertragen: "Das ist meine Frau Carolyn. Sehen Sie, wie der Griff der Baumschere farblich zu ihren Gartenclogs passt?" Der Eröffnungsmonolog von Sam Mendes' Film "American Beauty" bringt den ganzen Abscheu des Films gegen das Vorstadtleben zum Ausdruck. Man sieht in jener Szene Suburbia zuerst von oben, und man erkennt, dass auch hier alles entlang langer Straßenachsen ausgerichtet wurde. Dann: Schnitt auf die depressive Hauptfigur im Bett und beim Masturbieren unter der Dusche, und schließlich auf seine Gattin Carolyn, die mit ihrer farblich passenden Schere eine Rose abschneidet. Sie steht im Vorgarten, umgeben von weiß gestrichenen Zäunen: ein zum Albtraum gewordener Kleinmädchentraum, in dem alles sauber und ordentlich, entfremdet und beklemmend aussieht. Hier zwitschert kein Vogel. Der Vorstadtgarten ist, so viel wird klar, kein bisschen besser als der Barockgarten, nur kleiner.

Das bewundernswert fleißige Buch von Nina Gerlach bespricht so wirklich alle der vielen, vielen Filmgärten: vom Avantgarde-Garten in Jacques Tatis "Mon Oncle" über die schattenlosen Bäume in Alain Resnais' "L'année dernière à Marienbad" bis zum verschneiten Hotel-Irrgarten in Stanley Kubricks "The Shining". Wenn man dieses Buch nach gut 500 Seiten beeindruckt weglegt, hört man plötzlich wieder, wie der Wind durch die Bäume rauscht, wie die Eiswürfel in den Gläsern klirren, die Vögel singen - und gruselt sich.

Nina Gerlach: Gartenkunst im Spielfilm. Das Filmbild als Argument. Wilhelm Fink Verlag, München 2012. 507 Seiten, 63 Euro.

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SZ vom 07.08.2012/cag
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