Aber was macht ausgerechnet den (neo-)barocken Garten so böse? Da wäre zunächst seine Größe. Dann die penible Ordnung mit ihren langen, geraden Achsen. Und nicht zuletzt die Symmetrie, mit der Rasenflächen, Beete und Wasserspiele verteilt wurden. Im Grunde ist der Barockgarten ein einziges großes Ornament, das man nur von oben sehen, planen und genießen kann - aus der Herrscherperspektive. Hier darf, im Unterschied zum englischen Landschaftsgarten, kein Grashalm wachsen wie er will, keine Hecke ihre natürliche Form behalten, kein Weg nach Lust und Laune um die Landschaft kurven. Stattdessen ist alles gerade, geometrisch und gestutzt, wie eine gewaltige Besserungsanstalt für die Natur.
Nina Gerlach zeigt in ihrem Buch sehr schön, wie die Regisseure des 20. Jahrhunderts mit ihrer Propaganda gegen die Geometrie an eine viel ältere Polemik anknüpfen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ereignete sich ein als "Gartenrevolution" bekannt gewordener geistesgeschichtlicher Paradigmenwechsel. Die englische Aufklärung erfand den "malerischen" Landschaftsgarten, der gerade das Irreguläre und Abwechslungsreiche als wahre und unverdorbene Natur zu feiern begann. Demgegenüber erschien der im geometrischen Garten manifestierte Anspruch, sogar die Natur bis ins Kleinste ordnen und beherrschen zu wollen, auf einmal monoton, falsch und größenwahnsinnig.
Zahlreiche Romantiker haben die Grundgedanken dieser Gartenrevolution bis in die Gegenwart getragen. Es ist kein Zufall, dass die Wege durch den Zentralgarten der freien Welt, den Central Park in New York, eben nicht gerade sind, dass die Seen dort unregelmäßige Ufer haben und es in manchen Nischen wuchert wie im Urwald. Auch im Münchner Olympiapark, dem demokratischen Gegenentwurf zum totalitären Berlin des Jahres 1936, führen alle Wege ständig hoch, runter oder um die Kurve: Abgelegt werden sollten mit den schlechten alten Idealen auch die alten Lineale.
Nach dem Ende des Kalten Krieges wird diese Symbolik dann auf den vorerst letzten Horror der Gegenwart übertragen: "Das ist meine Frau Carolyn. Sehen Sie, wie der Griff der Baumschere farblich zu ihren Gartenclogs passt?" Der Eröffnungsmonolog von Sam Mendes' Film "American Beauty" bringt den ganzen Abscheu des Films gegen das Vorstadtleben zum Ausdruck. Man sieht in jener Szene Suburbia zuerst von oben, und man erkennt, dass auch hier alles entlang langer Straßenachsen ausgerichtet wurde. Dann: Schnitt auf die depressive Hauptfigur im Bett und beim Masturbieren unter der Dusche, und schließlich auf seine Gattin Carolyn, die mit ihrer farblich passenden Schere eine Rose abschneidet. Sie steht im Vorgarten, umgeben von weiß gestrichenen Zäunen: ein zum Albtraum gewordener Kleinmädchentraum, in dem alles sauber und ordentlich, entfremdet und beklemmend aussieht. Hier zwitschert kein Vogel. Der Vorstadtgarten ist, so viel wird klar, kein bisschen besser als der Barockgarten, nur kleiner.
Das bewundernswert fleißige Buch von Nina Gerlach bespricht so wirklich alle der vielen, vielen Filmgärten: vom Avantgarde-Garten in Jacques Tatis "Mon Oncle" über die schattenlosen Bäume in Alain Resnais' "L'année dernière à Marienbad" bis zum verschneiten Hotel-Irrgarten in Stanley Kubricks "The Shining". Wenn man dieses Buch nach gut 500 Seiten beeindruckt weglegt, hört man plötzlich wieder, wie der Wind durch die Bäume rauscht, wie die Eiswürfel in den Gläsern klirren, die Vögel singen - und gruselt sich.
Nina Gerlach: Gartenkunst im Spielfilm. Das Filmbild als Argument. Wilhelm Fink Verlag, München 2012. 507 Seiten, 63 Euro.