Shitstorm-Panik am Theater:"Wir verurteilen ihn"

Shitstorm-Panik am Theater: Die Schaubühne in Berlin.

Die Schaubühne in Berlin.

(Foto: Martin Müller/Imago)

Ein Schauspieler schreibt einen dummen Facebook-Post. Und die Berliner Schaubühne greift zu sehr drastischer Rhetorik.

Von Peter Laudenbach

Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht, das gilt im Journalismus und in der Kunst. Die Berliner Schaubühne meint es besonders gut. In einer Presseerklärung teilt sie der Welt mit, dass sich das Theater energisch von den "rassistischen und diskriminierenden Posts" distanziert, die einer ihrer Schauspieler auf seinem privaten Facebook-Account verbreitet hat.

Mit der Rundmail weckt das Theater erst recht Interesse für die Facebook-Mitteilungen des mäßig bekannten Schauspielers. Er veröffentlicht dort vor allem mit großer Hingabe Aufnahmen seiner Restaurantessen, dazwischen Fotos von Gastspielreisen und der Bücher, die er gerade liest. Das einzig Auffällige ist der berufsbedingte Narzissmus und die freundliche Harmlosigkeit. Der Post, der in der Schaubühne für Aufregung gesorgt hat, ist inzwischen gelöscht. In ihm hatte sich der Schauspieler ziemlich wirr als Geschichtsphilosoph versucht. Auch das kann man als Theater-Milieuschaden verstehen. Wenn sich Theaterkünstler berufen fühlen, ihr Publikum über die Weltlage im Allgemeinen und Kapitalismus, Rassismus und Sexismus im Besonderen zu belehren, sind Moral-Furor und Begeisterung über die eigene Meinungsfreude schon mal wichtiger als Kleinigkeiten wie Sachkenntnis. Die Ausdrucksspezialisten auf der Bühne fühlen sich prinzipiell für alles zuständig. Das Theater ist von Schillers "moralischer Anstalt" zur moralisierenden Anstalt geworden.

Aus Furcht vor einem Shitstorm nimmt man keine Rücksicht auf seinen Schauspieler

Angeregt zu seinem verunglückten Facebook-Geplauder wurde der Schauspieler von einer Fernsehsendung zu den Verbrechen des Kolonialismus, vermutlich Raoul Pecks "Rottet die Bestien aus" (wo in der Parallelisierung der Kolonialverbrechen mit dem Holocaust einiges durcheinandergeht). Das animierte ihn am Laptop zu konfusen Spekulationen: Ist die Geschichte des Fortschritts nicht immer brutal? Und was wäre, wenn die amerikanischen Ureinwohner die europäischen Eroberer besiegt hätten? Und: "Hätten die 'Indianer' uns von den Nazis befreit?"

Wirres, etwas zynisches Zeug, nicht sehr einfühlsam und respektvoll gegenüber den Opfern des kolonialistischen Menschheitsverbrechens. Dass die Schaubühne, vermutlich nach allerlei Krisensitzungen, sich davon zu einer Presseerklärung genötigt sieht, kann man nur als Angstreflex verstehen. Aus Furcht vor einem Shitstorm greift sie zu einer drastischen Rhetorik, ohne Rücksicht auf den Schauspieler zu nehmen, der seit 22 Jahren im Ensemble ist: "Dieser Post verharmlost den Massenmord an der indigenen Bevölkerung in Nordamerika. Wir verurteilen ihn."

So wird aus einem peinlichen, dummen, anmaßenden, aber auch belanglosen Facebook-Eintrag ein Aufreger-Thema. Das Theater verwechselt sich dabei mit einem moralischen Weltgericht. Der pompöse Tonfall der Presseerklärung und der wirre "Ich-erkläre-Euch-die-Weltgeschichte"-Post des gedanklich überforderten Schauspielers sind zwei Seiten derselben Medaille.

Weshalb hat die Leitung der Schaubühne nicht einfach mit dem Schauspieler gesprochen und ihn gebeten, den schrillen Post zu entfernen und sich bei seinen wenigen Facebook-Followern dafür zu entschuldigen? Stattdessen richtet sie ihn öffentlich hin und lässt die Öffentlichkeit wissen, dass ihr Ensemblemitglied "an einem Einzelcoaching zum Thema Rassismus und Diversität teilzunehmen" hat.

Antirassismus-Workshops können sinnvoll sein. Es ist nur richtig, wenn sich Privilegierte ihren Vorurteilen, Ressentiments und den blinden Stellen ihrer Selbstwahrnehmung stellen, erst recht im Narzissmus-Business des Kulturbetriebs. Aber wenn das keine Marketingmaßnahme sein soll, sind Antirassismus-Workshops kein Thema für Presseerklärungen. So, wie das Theater seinen Schauspieler öffentlich zu einem Coaching verurteilt, wird es zur Disziplinarmaßnahme - und zum Alibi der Intendanz bei offenbar jederzeit zu befürchtenden Shitstorms.

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