Theater:Blutiger Wisch

Lesezeit: 3 min

Alexander Zeldin inszeniert an der Berliner Schaubühne seine Sozialstudie "Beyond Caring" über die Arbeit einer Putzkolonne in einer Schlachtfabrik.

Von Peter Laudenbach

Alexander Zeldins Gastspiel "Love" war im vergangenen Jahr die Entdeckung des Find-Festivals der Berliner Schaubühne. Der britische Autor und Regisseur zeigt in seinem semidokumentarischen Theater bei aller Lakonie ungeheuer eindringlich den Alltag in einem Wohnheim des kaputtgesparten Sozialstaats: aussortierte Menschen. Kleine Gesten, ein Zögern oder ein hilfloser Wutanfall reichen aus, um ganze Lebensgeschichten der Entwürdigung und zerstörten Hoffnung zu zeigen: Es genügt, genau hinzusehen. Und genau hinsehen, so empathisch wie unsentimental, kann Zeldin wie wenige andere Regisseure des Gegenwartstheaters. Nach den anderthalb Stunden der Aufführung hatte man jeden einzelnen Menschen in diesem Wohnheim kennengelernt, als hätte man ein halbes Leben mit ihnen verbracht.

Nun ist wieder ein Stück von Alexander Zeldin an der Berliner Schaubühne zu sehen, diesmal in einer Eigenproduktion des Hauses: "Beyond Caring". Es ist Zeldins erste Regiearbeit in Deutschland - und man muss sehr hoffen, dass dieser Regisseur des Welttheaters noch öfter an deutschen Bühnen präsent sein wird. "Beyond Caring" ist wieder ein nüchtern unaufgeregter Blick in die weniger gut ausgepolsterten Regionen der Gesellschaft. Ging es in "Love" um den menschlichen Preis sozialer Exklusion, geht es diesmal um schmutzige Arbeit im Niedriglohnbereich. Wir begleiten die Putzbrigade eines Schlachtbetriebs bei ihren Nachtschichten. Es ist nach Zeldins Uraufführung in London 2014 und seiner Inszenierung in Chicago seine dritte Umsetzung des Stücks. Angesichts des Skandals um die Ausbeutung der Schlachtarbeiter bei Tönnies wirkt es erstaunlich aktuell. Offenbar unterscheiden sich die Schmutzseiten des Kapitalismus zwischen den Ländern nicht sonderlich. Der Pausenraum der Putzkräfte ist an Neonlicht-Tristesse schwer zu überbieten. Wer hier zwischen Schlachtabfällen und Nasszelle seine Schichten abreißen muss, macht sich besser keine Illusionen über sinnerfüllte Arbeit (Bühne und Kostüme: Natasha Jenkins).

Michael (Kay Bartholomäus Schulze) ist seit gut zwei Jahren hier, ein schweigsamer Stoiker, der nicht viel mehr will, als in den Schichtpausen seine Dick-Francis-Krimis zu lesen. Schulze zeigt die abgrundtiefe Müdigkeit, die komplette Hoffnungslosigkeit eines anständigen Menschen, der weiß, dass das Leben nicht allzu viel Schönes für ihn bereithält. Sonja (Jule Böwe), Becky (Julia Schubert) und Ava (Hêvîn Tekin) sind die Neuen, erst mal für zwei Wochen vermietet von ihrer Zeitarbeitsfirma oder von der Arbeitsagentur zum Mindestlohn-Job abkommandiert. Vielleicht gibt's später eine Festanstellung, aber bis dahin müssen sie immer auf Abruf bereit sein, als wären sie für ein paar schlecht bezahlte Nachtschichten die Leibeigenen der Firma. Jule Böwe gibt ihrer Sonja die Hilflosigkeit einer getretenen Kreatur, die sich noch für das vom Vorarbeiter Jan (Damir Avdic) überreichte Einweisungsblatt devot mit einem schüchternen Lächeln bedankt. In der Pause tröstet sie sich mit dem immer gleichen Stoßseufzer ("Schon schön, wenn man Pause hat") und verschlingt ihre Kekse mit einer Süßigkeitengier, als sei das die Erlösung von den endlosen Putzschichten.

"Was könntest du tun, damit dir Zeitdruck mehr Spaß macht?"

Die burschikose Blondine Becky hat mehr proletarisches Selbstbewusstsein, vielleicht aber auch nur die Illusion, dass dieses "Dreckloch" nicht die Endstation ihrer Arbeitsbiografie ist. Als sie den Mackersprüchen des Vorarbeiters in die Parade fährt, streicht er ihr prompt den freien Samstag, um den sie ihn verzweifelt gebeten hatte, um etwas Zeit für ihre Tochter zu haben. Ava ist die Jüngste, eine Anfängerin auf dem Arbeitsmarkt, der ihr ihre schüchterne, warmherzige Freundlichkeit noch austreiben wird. Der Vorarbeiter Jan gefällt sich als Minidiktator seiner Brigade. Wie eine Karikatur kopiert er Management-Moden der Personalführung, wenn er seine Leute nach ihrer Motivation abfragt: "Was könntest du tun, damit dir Zeitdruck mehr Spaß macht?"

Zeldins Theater zeigt eine ausweglose Situation in Endlosschleifen. Es kommt ohne größere Handlungsentwicklung und dramatische Zuspitzungen aus, auch wenn Ava in einer Doppelschicht einen Zusammenbruch hat und Becky ihren Selbsthass und Verzweiflungsdruck abreagiert, indem sie Michael rüde und aggressiv zu einer kurzen, harten Sexnummer drängt. Dieser Blick auf die Tristesse lebt von der unsentimentalen Sympathie für die Figuren und der Genauigkeit der Milieukenntnis: Zeldin weiß, wovon er erzählt. Um zu verstehen, wie das Arbeitsleben ganz unten aussieht, hatten er und die Schauspieler lange Gespräche mit Putzkräften. Damit die Schauspieler wissen, wie sich eine Putzschicht in der Fabrik anfühlt, haben sie selber eine übernommen, ab fünf Uhr morgens. Im Ergebnis gibt die Aufführung der Putzbrigade das, was die Arbeitswelt den sogenannten Unqualifizierten oft genug nimmt: Würde.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: