"Schäfchen im Trockenen":Herrschaft des Geldes

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Quicklebendiges Theater, das sich kongenial mit Anke Stellings Text verbindet: Theresa Dörr, Sylvana Krappatsch und Katharina Hauter in "Schäfchen im Trockenen". (Foto: Björn Klein)

Das Schauspiel Stuttgart zeigt eine grandiose Bühnenfassung von Anke Stellings "Schäfchen im Trockenen" und einen "Iwanow" von Robert Icke.

Von Adrienne Braun

Am Ende entscheidet eben doch der Fußboden über Existenzen. Bei Resi war es West-PVC mit Schlieren, die an den Schnittkanten unschön aufeinander stießen. Dabei hätte sie es fast geschafft - Abitur, Studium, große Wohnung und hehre Ideale. Letztlich wird ihr der Küchenboden der Kindheit aber doch zum Verhängnis, denn mit Terrazzo kann er nicht mithalten. Deshalb kübelt Resi ihre geballte Wut heraus, Wut auf die Herkunft, die sich nicht abschütteln lässt, Wut auch auf die feinen Freunde mit ihrem "neoliberalen Geschwätz von Aufstiegschancen". Resi steht als erfolglose Schriftstellerin mit vier Kindern plötzlich auf der Straße. "Kreativ-Prekariat" nennt sich das heute.

Das Schauspiel Stuttgart nähert sich nun aus zwei Richtungen der Frage, wie das Geld ins menschliche Gefüge hineinregiert. In Anton Tschechows "Iwanow", den Robert Icke für das Schauspielhaus bearbeitet hat, geht es den Männern nicht "um die ideale Frau, sondern um ein ideales Investment". Im Kammertheater rechnet Resi dagegen mit der Erbengeneration ab, die sich mit linken Parolen schmückt und ihre "Schäfchen im Trockenen" hat, so der Titel des Romans von Anke Stelling, für den sie in diesem Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen hat. Die Regisseurin Sabine auf der Heyde hat "Schäfchen im Trockenen" nun grandios auf die Bühne gebracht und damit bewiesen: Romanadaptionen können gelegentlich doch gelingen.

Mit nichts als ein paar Requisiten skizzieren die Schauspieler die Typen vom Prenzlauer Berg

Einen Aufklärungsroman nennt Anke Stelling diesen wutschnaubenden Monolog, mit dem Resi ihre 14-jährige Tochter für den Kampf gegen eine Gesellschaft munitionieren will, die es nicht gut meint mit jenen, die aus dem falschen Milieu stammen. Die Tochter erlebt es längst am eigenen Leib. Ihre Klassenkameraden fahren in den Herbstferien in den Urlaub. Sie nicht.

Mit nichts als ein paar Requisiten und Perücken skizzieren die vier Schauspieler im Kammertheater diese verschiedenen Lebenswelten und Typen vom Prenzlauer Berg: das linke Pärchen mit Rastalocken, den Architekten mit schwarzer Brille. Dazwischen Resis tobende und greinende Kinder. "Man muss sich vorher überlegen, ob man sich Kinder leisten kann", hört man die Freunde kommentieren. Das familiäre Chaos hätte "durch den Gebrauch von Kondomen" verhindert werden können.

Bewundernswert, wie Therese Dörr, Katharina Hauter, Sylvana Krappatsch und Sebastian Röhrle die Textmassen stemmen und die enormen Tempiwechsel meistern. Die Inszenierung von Sabine Auf der Heyde ist rasant und dicht und serviert quicklebendiges Theater, das sich kongenial mit Stellings scharfzüngigem Bombardement verbindet. Eine harsche Kritik am Kapitalismus, bei dem Ideale, Überzeugungen, Freundschaften auf der Strecke bleiben - und letztlich auch der Sinn des Lebens flöten geht.

Robert Ickes "Iwanow" am Schauspielhaus könnte man somit als Fortsetzung von "Schäfchen im Trockenen" lesen, denn er erzählt von der Depression, die auf den wirtschaftlichen Niedergang folgt. Für seine "Orestie" am Schauspiel Stuttgart wurde der junge Brite mit dem Kurt-Hübner-Regiepreis ausgezeichnet. In seinem "Iwanow", den er in die Gegenwart verlegt hat, zeigt Icke nun eine vergnügungshungrige Gesellschaft, die an der Langeweile und dem eigenen Zynismus zu ersticken droht. Sie schießen Feuerwerk in den Himmel, trinken sich komatös und jagen sich nach dem großen Gelage Insulinspritzen in den Wanst. Generation Diabetes.

Während Stellings Text brandaktuell ist, will Icke die Aktualisierung nicht recht gelingen. Er setzt auf sprachliche Platitüden wie "das ist okay" und "Mach dich locker". Die Not, die die Figuren bei allem koketten Selbstmitleid plagt, verflüchtigt sich hinter dem groben Vokabular. "Ich hasse meine Scheißgedanken", sagt Iwanow. Er hat es mit Tabletten, Alkohol, Geselligkeit und Flirts versucht - und ist innerlich doch tot. Kein Gefühl für seine Frau, die Krebs hat.

"Machen Sie eine Therapie und bearbeiten dies alles", rät der Arzt (Felix Strobel) dem lebensmüden Mann, aber Benjamin Grüter bietet keine überzeugende Lesart des Iwanows an, spielt ihn nicht depressiv, nicht zynisch, nicht müde, sondern einfach nur farblos. Stattdessen wird im Schauspielhaus viel geschrieen - und doch wenig gesagt über die dumpfen Seelen, die Tschechow einst ins Rennen schickte und die Resis Freunden ähnlicher sind, als es diese "Iwanow"-Adaption verrät. Robert Icke erzählt nichts vom gesellschaftlichen Umfeld, nichts von den psychischen Abgründen, weshalb dieser Iwanow, wie es einmal heißt, tatsächlich einfach nur ein "totales Scheißarschloch" ist.

© SZ vom 29.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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