Satire in der islamischen Welt:Spott ist groß

  • Nicht nur im Westen gibt es Satire auf Islamismus und religiöse Gewalt.
  • Humor war in der arabischen Welt schon immer die Waffe der Machtlosen. Heute ist das Lachen die höchste Form des Widerstandes gegen die Dschihadisten.
  • Die Zeichner, Sänger und Autoren gehen damit ein hohes Risiko ein.
  • Dieser Text erschien im September 2014 in der Süddeutschen Zeitung. Wegen seiner aktuellen Relevanz ist er nun hier in leichter Bearbeitung noch einmal zu lesen.

Von Sonja Zekri

Karikaturen, Spott, auch Häme über Islamismus, Fanatismus und religiöse Gewalt sind kein Monopol des Westens. In der arabischen Welt kursieren gerade jetzt wunderbare, zum Brüllen komische Satiren auf die Dschihadisten. Und die Zeichner, Sänger, Regisseure und Autoren gehen mindestens ein so hohes Risiko ein wie ihre Kollegen von Charlie Hebdo.

Kennen Sie den? Stehen drei Dschihadis am Straßenrand. Fährt ein Libanese vorbei. Er kommt aus Beirut, kennt das Bohemeviertel Gemmayzeh, wo einer der extremistischen Zottelbärte früher Mädchen abgeschleppt hat. Bei Gebeten weiß der Libanese nicht Bescheid. Also: wird erschossen.

Der Zweite, ein Passant, hat wirklich keine Zeit für die Fragespiele der Terroristen: "Wie oft kommt der Buchstabe A in der religiösen Textsammlung von Al-Buchari vor?" und so. Er verlangt: "Erschießt mich lieber gleich." Bitte schön.

Aber der Dritte, ja, der Dritte, ist Jordanier, er heißt Chocha, Pfirsich, er ist Christ und das ist ein Problem. "Den töte ich", sagt ein Dschihadi. "Du hattest schon vier", sagt der andere. "Aber ein Christ bringt besonders viele Pluspunkte im Himmelreich." "Ach nee, und warum kriege ich die nicht? Vergiss nicht, wer dich zum Islamischen Staat gebracht hat!"

Das jordanische Opfer macht einen Vorschlag zur Güte: Soll doch jeder eine Kugel auf ihn feuern, so gebe es Segnungen für beide. Aber da gehen sich die beiden Streithähne schon an die Kehle, Chocha hält die Anspannung nicht mehr aus, verdreht die Augen, japst und stirbt. Die Dschihadis, enttäuscht, tätscheln ihm die Wangen: "Chocha, Liebling, komm zu dir, wir wollen doch Segnungen von dir, danach kannst du ja wieder sterben!"

Am Ende des Videos gibt es noch eine kurze anti-israelische Pointe, aber die wichtigste Botschaft dieser palästinensischen Satire ist klar: Der Islamische Staat ist schlimm, schlimmer, am schlimmsten, vor allem aber ein Witz. Grobmotorisch. Bildungsfern. Ästhetisch eine Zumutung.

Der Westen pocht auf Bekenntnisse

Während die zivilisierte westliche Welt auf Lichterketten der Muslime gegen den Islamischen Staat oder zumindest auf wirklich mal eindrückliche Bekenntnisse zur Gewaltfreiheit pocht, antworten die Glaubensgenossen der Dschihadis auf ihre Art: Sie fackeln ein Feuerwerk an Spott ab, dass das Internet glüht, auch im Irak, der eigentlich gerade wenig zu lachen hat. Der Sender Irakiya zeigt beispielsweise ein Rennen à la IS: Auf der Zielgerade zieht der Läufer mit Shorts und Bart eine Pistole und erschießt einfach alle anderen Sportler.

Humor war in der arabischen Welt wie in vielen Gegenden mit reicher Diktaturtradition schon immer die Waffe der Machtlosen. Heute, da das Kalifat ganze Staaten bedroht, ist Lachen die höchste Form des Widerstandes, denn es enthält alles, was IS nicht ist: Das Bekenntnis zum toleranten Islam, Freude an der Zivilisation.

Der IS als "gigantische Parodie"

Natürlich liefern die Dschihadis einen billigen Vorwand für alle, die schon immer etwas gegen den Islam hatten - auch unter den Witzen. Aber der Publizist Mouin Rabbani hat in der Online-Zeitung Jadaliyya sehr richtig bemerkt, die "größte Ironie" des Dschihadisten bestehe darin, dass gläubige Muslime die Steinzeitvision eines "Islamischen Staates" als "gigantische Parodie" betrachten.

Die libanesische Band Al-Rahel Al-Kebir (Der große von uns Gegangene) hat den Kern dieser Aussage in ein Lied umgesetzt: "Der Islam ist voller Gnaden/deshalb schlachten wir andere ab und verteilen das Fleisch/Wir wollen weniger Verkehr/deshalb sprengen wir Menschen in die Luft." Einer der Gründer sprach in der New York Times von einer "post-hysterischen Epoche", aber das klingt nüchterner, als die Zeiten sind. Kunst ist eine der größten Provokationen für die Extremisten, und eines ihrer wichtigsten Ziele.

Das pseudoreligiöse Getöse ist nur vorgeschoben

Einen bissigen Kommentar dazu hat ein Video des libanesischen Satire-Senders LBC abgegeben. Darin interviewt eine leicht bekleidete Schöne einen Dschihadi-Musiker, der mit seinen Band-Kollegen "Abu Dolch" und "Abu Kugel" gekommen ist: "Die Menschen hören heute die Musik von Bomben und Sprengstoffgürteln. Unsere Musik hat denselben Stil", sagt er. Dann sprengt er sich in die Luft.

Monatelang haben die Dschihadis das Netz dominiert, der Trailer für ihr nächstes Oeuvre ist gerade im Umlauf: "Flammen des Krieges" heißt es, mit, genau, Explosionen in Zeitlupe und verwundeten amerikanischen Soldaten. Für alle, die die Botschaft noch immer nicht verstanden haben, beispielsweise im Weißen Haus, werden die Dschihadis noch mal deutlicher: "Der Kampf hat erst begonnen."

Erzähltechnisch ist das alles ähnlich komplex wie "Bob der Baumeister". Sie sind eben nicht die Hellsten, die Jungs vom Kalifat. Sie haben im Irak ein Territorium von der Größe kleiner Länder erobert, und in Syrien bedrohen sie das verbliebene Häuflein der nicht-islamistischen Opposition, dabei haben sie selbst mal Präsident Baschar al-Assad als ihren Feind gesehen. Aber die feinen Zusammenhänge zwischen säkularer Diktatur und religiöser Diktatur arbeiten eben doch nur ihre Gegner heraus, begabte Satiriker wie der großartige Karl Sharro in einem Cartoon.

So fashionable wie Sandalen aus Autoreifen

Sagt Abu B: "Abu A, warum kämpfen wir eigentlich?" Antwortet Abu A: "Um den Tyrannen zu besiegen und den Kalifen an seine Stelle zu setzen." - "Und was macht der Kalif?" - "Er herrscht ganz allein und bestraft alle, die ihm nicht gehorchen." - Schweigen. Noch mehr Schweigen. Sehr großes Schweigen. Dann Abu B: "Das ist ein richtig toller Plan."

Unser Kampf ist eine Massenbewegung, unaufhaltsam, anschlussfähig für weite Teile der Welt, protzen die Terroristen, unsere Kämpfer sind bescheiden, ehrlich und einfach, außerdem sehen sie toll aus. Aber für viele arabische Beobachter ist der vermeintliche Dschihadi-Cool so fashionable wie Sandalen aus Autoreifen. Eine Titelseite für eine Art Dschihadi-Vogue fantasiert über "Accessoires für den Neo-Abassiden". Ein Bild auf Youtube zeigt Seife und Schwämme und die Worte: "Folterinstrumente für Dschihadis". Und ein Plakat ist offensichtlich vom "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi inspiriert, der bei einem seiner raren Auftritte mit einer teuren Uhr überraschte. Es zeigt eine Omega-Reklame mit Kalif. Slogan: "Baghdadis Wahl."

Ultra-Fromme als notgeile Horde

Das pseudoreligiöse Getöse ist nur vorgeschoben, so der Kern vieler Witze, in Wahrheit geht es den Extremisten nur um eines, genau: darum. Die vermeintlichen Ultra-Frommen sind eine sabbernde, notgeile Horde. In einem libanesischen Clip also erschießt ein Bärtiger erst den Kameramann und fällt dann über die quiekende Moderatorin her.

Überhaupt kommen einige der schönsten Witze aus Libanon, der Wiege echten Glamours und großen Stolzes, auf die schier undurchdringlichen Probleme ihres kleinen Landes. In der libanesischen Online-Zeitung Now beschreibt Anthony El- Ghossain, wie Sunniten, Schiiten, Maroniten, Drusen, Patriarchen, Scheichs, Beys die Dschihadisten in den Wahnsinn treiben, weil sie immer neue Forderungen stellen. Überhaupt, zischt einer der Sprecher vom IS beim Blick auf ein Organigramm des Libanon mit Parteien, feudalen Clans, lokalen Chefs, religiösen Führern, Kriminellen, Botschaftern, ausländischen Teilnehmern und NGOs: "Wen zum Henker sollen wir hier überhaupt stürzen?"

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