Satire in der Flüchtlingkrise:"Stachel in der Political Correctness"

Lesezeit: 4 min

Die Karikatur des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo löste Empörung aus, weil sie den toten syrischen Jungen Aylan Kurdi unter der Überschrift "So nahe am Ziel ..." zeigt. Daneben steht ein Plakat mit McDonald's-Werbung: "Zwei Kindermenüs für den Preis von einem". Gibt es Grenzen für Satire, wenn es an die Würde des Todes oder auch die eines Menschen geht? Ein Gespräch mit Alexander Filipović, Professor für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München.

Von Klara Fröhlich

SZ: Herr Filipović, dass die "Charlie Hebdo"-Karikatur viele Menschen angesprochen hat, ist verständlich. Aber was genau an der Karikatur löste so viel Verärgerung aus?

Alexander Filipović: Diese Karikatur arbeitet ganz klar mit Schock-Elementen. Wir kennen das Foto von Aylan Kurdi alle, weil es zur Ikone für die Flüchtlingskrise geworden ist und durch alle Medien ging. Diese Karikatur bezieht sich auf das Bild. Da liegt der tote Junge am Strand. Auf dem Schild daneben ist ein McDonald's-Clown. Klar, dass da Leute sofort drauf anspringen und sich aufregen. Es ist ein Stachel in der Political Correctness.

Was heißt das?

Es gibt eine gesellschaftsweite Regelung, was politisch korrekt ist, was in der Gesellschaft gesagt werden darf und was nicht. Das ist mit neuen Normen und Werten, mit einer geschlechtergerechten Sprache und fairem sprachlichen Verhalten gegenüber Minderheiten verbunden. Die Leute setzen Moral allerdings mit dieser politischen Korrektheit gleich. Das ist aber etwas ganz anderes. Satire spielt an dieser Stelle mit den Grenzen.

Was Satire ja auch eigentlich machen soll, oder?

Ja, schon. Aber sie muss eine konstruktive Perspektive haben, die man auch erkennen muss. Wir merken an den Diskussionen um Satire eher, dass wir Schwierigkeiten haben, in der Öffentlichkeit über Werte und Moral zu streiten. Wenn die Leute sich die Karikatur mal in Ruhe angucken würden, zwei Tage lang nichts posten und erst mal überlegen würden, was sie darstellen könnte, dann wäre viel gewonnen.

Satiremagazin
:Online-Ausstellung für "Charlie Hebdo"

Ein halbes Jahr nach dem tödlichen Anschlag auf "Charlie Hebdo" wird dem Pariser Magazin eine Ausstellung gewidmet - online und auf Deutsch.

Zu was für einer Erkenntnis würden die Leute dann kommen?

Dass sich die Karikatur nicht über das Kind lustig macht, sondern eher ins Bewusstsein holen will, dass Flüchtlinge in eine Welt kommen, in der nicht alles so perfekt ist, wie sie glauben. Oder wie wir selbst glauben. Hier gibt es McDonald's, Konsum und einen niveaulosen Markt. Wir sollen uns nicht so vorkommen, als lebten wir im gelobten Land.

Die Reaktionen auf die Karikatur waren also übertrieben?

Man muss bedenken, dass so eine Satirezeitschrift in den Zeiten von Echtzeit-Öffentlichkeit in den sozialen Medien ganz anders wirkt als vor zehn Jahren. Von jetzt auf gleich ist das Bild in den Timelines und Newsfeeds der Menschen. Das hat dann natürlich eine andere Wirkung, als liege so ein Heft an irgendeinem Pariser Bahnhof. Da kaufen es sich Menschen, gucken es sich im Zug mit mehr Zeit an, reden am nächsten Tag noch mal darüber. Manche echauffieren sich vielleicht auch. Aber das war's dann.

Heute haben viele Menschen Smartphones.

Ja, und sie können sofort auf ihren Handys kommentieren, kriegen Likes und Sympathien, weil sie sich für Flüchtlinge engagieren. Aber sie überdenken das was sie sehen weniger. Das sind Mechanismen mit denen Satiriker heute rechnen müssen.

Das Bild von dem toten Aylan hätten Sie in Medien nicht gezeigt, die Karikatur schon. Warum?

Es ist erst mal eine Zeichnung und deswegen etwas anderes als ein Foto. Bei dem Foto würde ich dafür plädieren, es so nicht in der Zeitung zu zeigen, weil es Menschen vielleicht so berührt oder ergreift, dass sie das gar nicht wollen. Leser sollten selbst entscheiden können, ob sie es angucken wollen oder nicht.

Nein, sie bezieht sich zwar auf dieses Bild. Aber es ist eine abstrahierte Zeichnung, bei der man keinen Gesichtsausdruck sieht. Das ist ein großer Unterschied.

Trotzdem stellt sich die Frage, ob man den Tod dieses kleinen Jungen für so eine Botschaft benutzen darf.

Ja, das stimmt. Aber dadurch, dass dieses Bild eine Ikone der Flüchtlingskrise geworden ist, finde ich das in Ordnung. Denn es geht nicht in erster Linie um den Jungen, sondern um den Umgang westlicher Gesellschaften mit der Flüchtlingkrise.

Das Satire-Website "Postillon" hat eine Fake-Meldung über den Lastwagen mit 71 toten Flüchtlingen in Österreich gemacht. Da heißt es: "Alles wieder gut: Österreich versenkt Lastwagen mit toten Flüchtlingen im Mittelmeer." Der erste Satz: "Jetzt hat alles wieder seine Richtigkeit." Darunter sieht man ein Bild von einem Kran, an dem ein Lastwagen überm Meer hängt. Ist das Satire oder einfach nur makaber?

Das ist natürlich starker Tobak. Der Postillon schafft es, die Kritik knallhart auf den Punkt zu bringen: Die Leute regen sich erst dann auf, wenn so ein Lastwagen bei uns in Österreich entdeckt wird. Aber alle Menschen, die im Mittelmeer sterben oder an den Küsten fremder Länder stranden, die gehen uns nichts an, denn das passiert ja weit weg.

Also geht diese satirische Aufarbeitung Ihnen nicht etwas zu weit?

Man muss ja kritisieren, dass Menschen sterben. Als Satiriker muss man die Schrecklichkeit des Todes irgendwie darstellen und ins Bild setzen können. Dieser Lastwagen ist nicht offen. Man sieht die Menschen nicht, die darin gestorben sind, wie es auf einem Bild in der österreichischen Kronen Zeitung abgebildet wurde. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte man noch einmal genauer hinschauen müssen. Aber so kann man das zur Kritik benutzen. Gerade weil es manche Menschen aufrüttelt und zum Nachdenken anregt.

Also darf man Ihrer Meinung nach humorvoll auf das Leid und auch auf den Tod von Menschen in Satire eingehen?

Ich glaube nicht, dass es bei Satire immer humorvoll zugehen muss. Die Charlie-Hebdo-Satire ist in keiner Weise witzig und die ist auch nicht witzig gemeint.

"Der Postillon" hat aber schon einen absurden Humor ...

Ja, aber jeder sieht, dass es eigentlich um ein ernstes Thema geht. Das bewirkt, dass man sich dem Thema zuwendet. Humor steht dem Tod auch nicht immer entgegen. Wenn etwas Schreckliches in der Welt oder sogar in unserer unmittelbaren Umgebung passiert, führt das nicht dazu, dass wir den Lebensmut schlechthin verlieren. Der schrecklichste Tod lässt noch Platz für ein Lachen an einer anderen Stelle.

Wo liegt denn dann die Grenze zu schlechter Satire?

Satire sollte eine Botschaft haben, aus der man etwas lernen kann. In Bezug auf diesen Punkt kann man Satire auch kritisieren. Wenn beispielsweise die kritische Botschaft zu dünn ist. Trotzdem müssen wir lernen, mit aus dem Kontext gerissener Satire umzugehen. Gerade in einer Zeit, in der Kommunikation schneller und schneller wird, müssen Menschen selbst begreifen, wie sie mit Satire umgehen wollen. Dann ist es nämlich auch Moral.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: