Satire:Der Flutscheffekt

Leseprobe

Mit "Ein fast perfektes Wunder" legt der italienische Bestseller-Lieferant Andrea De Carlo wieder einen Roman vor, in dem alles passt. Sehr unterhaltsam nimmt der die Kulturszene aufs Korn. Eine Eisdielenbetreiberin macht einen Rockstar verrückt.

Von Maike Albath

Eines verblüfft an Andrea De Carlo immer wieder: Die Zuverlässigkeit, mit der er alle zwei Jahre einen dickleibigen Roman von rund 400 Seiten vorlegt, es können auch mal 600 oder sogar 1000 sein, dieses Mal sind es 399. Immer wieder beklagt der Mailänder, 1952 als Sohn eines berühmten Architekten geboren und seit den achtziger Jahren ein Bestseller-Autor, die Malaise der Gegenwart und den schnöden Materialismus, die Hässlichkeit der Städte, die soziale Kälte. Aber ebenso zuverlässig lässt er seine Helden zur Besinnung kommen und ein schon verloren geglaubtes Glück am Horizont aufblitzen. Windschnittig erzählen kann er außerdem: zugängliche Sprache, typisierte Figuren, symmetrische Perspektivwechsel. Und obwohl man das vorher schon alles weiß, trifft De Carlo die Leserinneninstinkte. Der Flutscheffekt setzt ein.

"Ein fast perfektes Wunder" heißt das neuste Produkt aus seiner Werkstatt. Es geht um die gerade noch junge italienische Eisdieleninhaberin Milena Migliari, die es nach Südfrankreich in das Städtchen Fayence verschlagen hat, und um den alternden Rockstar Nick Cruickshank, Frontmann der Bebonkers, Bewohner eines großen Anwesens in derselben Gegend. Ein Stromausfall droht Milenas liebevoll hergestellte Eissorten aus handverlesenen Zutaten zu vernichten, als eine Riesenbestellung von zehn Kilo eingeht. Ein paar Kilometer weiter in einem Olivenhain fährt unterdessen Nick, der einst rebellische Sänger, Texter und Komponist, einen dreirädrigen Karren gegen einen Baum. Der gebürtige Engländer hat bereits mehrere Familien zerschlissen und ist in einem prekären Zustand, denn seine hyperaktive Freundin Aileen, Modedesignerin, Erfinderin eines veganen Anti-Leders und an Gourmet-Eis interessiert, plant für das kommende Wochenende die Vermählung plus Benefizkonzert, weshalb jede Menge Freunde aus dem Show-Biz anreisen werden. Tief im Innern trägt der zerfurchte Rockstar eine empfindsame Seele mit sich herum und will eigentlich nur eines: auf seiner Mandoline neue Melodien zupfen. Fast wie Milena, die von früh bis spät Walderdbeeren- und Kaki-Eis rühren möchte. Aber ihre Geliebte Valerie hat sie schon verplant: Ein Kind soll her, künstliche Befruchtung, Samenspende, alles ist arrangiert.

Unterhaltsam ist die Lektüre wegen der Verwicklungen, bei denen De Carlos seine satirischen Fähigkeiten beweist. Vampiristische Reporter, Selfie-süchtige B-Promis, abgewrackte Bassisten, kühl kalkulierende Manager geben sich ein Stelldichein. Die Kulturszene kennt De Carlo noch von zu Hause, denn sein Vater war mit dem Schriftsteller und Verlagslektor Elio Vittorini befreundet, später tingelte De Carlo durch die USA, schrieb darüber 1981 sein erstes Buch, für das Italo Calvino den Klappentext verfasste: "Cream Train". Im Jahr darauf folgte ein zweiter Roman, und Andrea De Carlo galt als das neue große Talent. Was die formale Gestaltung und die Sprache anging, wechselte er kurze Zeit später eher ins leichte Fach und schrieb Roman um Roman, darunter "Zwei von zwei" (1989), in dessen düsterer Bilanz der schlingernden Alternativkultur sich eine ganze Generation wieder erkannte. In "Ein fast perfektes Wunder" setzt er auf Altbewährtes. Dass man den Roman wegschlotzt, wie Nick Milenas Eiscreme, liegt an De Carlos sympathisch-leutseliger Art. Er glaubt an das Gute im Menschen und klagt das Recht auf Träume ein.

Andrea De Carlo: Ein fast perfektes Wunder. Roman. Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Diogenes Verlag, Zürich 2017. 399 S., 24 Euro.

E-Book 20,99 Euro.

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