Sat 1: Schawinski mit Buch:Chapeau, Roger!

Er hat etwas erlebt, in drei Jahren als Chef von Sat 1: Roger Schawinski. Darüber hat der tapfere Schweizer sogar ein Buch ("Die TV-Falle") geschrieben.

Hans-Jürgen Jakobs

Der Chef eines Privatfernsehsenders hat schwer zu leiden. Nicht nur, dass er sein eigenes Programm ab und an schauen muss, vor allem, wenn er es Werbekunden erklären soll - nein, er hat auch so schwierige Aufgaben wie die Betreuung von Stars zu bewältigen. Geht es dabei um Schwergewichte wie Otti Fischer, dann wird der TV-Chef schon mal zum Pausenclown. Da dirigiert also die Frau des Stars inmitten sensibler Vertragsverhandlungen den soeben am Meniskus operierten Fernsehmanager zum Münchner Oktoberfest, und lässt ihn dann in der Bierhalle mit dem verletzten Bein auf die Bank steigen und wieder herunterspringen. Ohne viel Bier ist das gar nicht zu schaffen.

Von solcherlei Gefahr für Leib und Leben berichtet der Schweizer Roger Schawinski, 62, in seinem Buch "Die TV-Falle". Von Ende 2003 bis Ende 2006 war der Eidgenosse ausgezogen, um als Geschäftsführer des Berliner Senders Sat 1 Andere das Fürchten zu lehren und sich selbst ein bisschen Spaß zu bringen. Der Mann steigerte den Gewinn und quälte sich mit seinem Qualitätsversprechen - vor allem bringt er denkwürdig schnell nach seinem Ausstieg aus der seelenlosen Renditefabrik Pro Sieben Sat 1 Media AG seine goldenen Erinnerungen zu Papier.

Da herrschte also ein Literat im Kommerzsender, und keiner hat's gemerkt. Nun aber kommt Roger Schawinski rüber mit all den Ungeheuerlichkeiten aus dem TV-Alltag, mit dem Bierbankhüpfen und dem morgendlichen bangen Blick auf die Quotenstatistik ("Fernsehen kann süchtig machen"), mit den Erzählungen von zickigen Telenovela-Diven und gierigen Produzenten, von undankbaren Eigentümern und unberechenbaren Redakteuren.

Einmal enthüllt Schawinski, wie sehr sein zeitweiliger Late-Night-Star Anke Engelke getroffen war durch einen Veriss in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, geschrieben von einem Journalisten, mit dem sie ein "gewisses Vertrauensverhältnis" hatte. "Bitte aufhören!" stand über dem Text, und das tat Frau Engelke dann auch - obwohl sich der Sat1-Chef so sehr um sie bemühte und extra im letzten Moment aus einem startklaren Flugzeug stieg, das ihn eigentlich nach Nizza bringen sollte. Er aber kämpfte lieber um seinen unglücklichen Star in Köln. "Die Geschichte mit der einzigartigen Anke Engelke war eine der schmerzhaftesten meiner ganzen Zeit bei Sat 1", bilanziert der Buchautor, der Mann in der Fernsehfalle.

Chapeau, Roger! möchte man ihm zurufen, dem Kämpfer, der in der Fernsehwelt alles besser und freundlicher machen wollte. Aber wie soll das gelingen, wenn vorher angeblich nichts war? "Bei Sat 1 hatte man sich während der gesamten ersten 20 Jahre nie ernsthaft darum bemüht, eine eigene News-Kompetenz zu erwerben", schreibt Schawinski über einen Sender, der einmal "Verlegerfernsehen" war.

Für junge flotte Betriebswirtschaftler, die einmal eine TV-Station führen möchten, hält das 254-Seiten-Werk aus dem Züricher Verlag Kein & Aber durchaus nutzwertige Tipps bereit. Zum Beispiel, dass man niemals versuchen sollte, aus einer Telenovela eine Daily Soap zu machen. Oder dass die Bilder im Fernsehen nicht dunkel sein dürfen, auch wenn die Serie "Blackout" heißt. Oder dass das System der Serienproduktion in Deutschland einfach zu schwerfällig ist. Oder wie sehr der DB1-Wert zählt, der Deckungsbeitrag jeder Sendung.

Quasi nebenbei enthüllt Schawinski, dass er schon im Dezember 2001 Chef von Sat 1 hätte werden sollen - und damals zum Gespräch mit dem langjährigen Eigentümer Leo Kirch in München weilte. Kirch sei nach wenigen Minuten in ein anderes Büro gerufen worden: Er müsse "nur kurz mit einem Herrn Müller von der Commerzbank reden".

Dieser Herr Müller war der Chef der Großbank, der just an diesem Tag - so Schawinski - die entscheidenden Kirch-Kredite über 450 Millionen Euro gekündigt hätte, "die einige Monate später zum Zusammenbruch seines Lebenswerks führen sollten". Wenn man allerdings Leo Kirch und seine Berater richtig versteht, war es angeblich der seinerseitige Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer, der im Februar 2002 mit unbedachten Äußerungen erst den Kollaps bewirkt hätte. Darüber werden Milliarden-Prozesse geführt.

Ein großes Kapitel ("Lizenz zum Gelddrucken") widmet Schawinski jenen TV-Unternehmern, die als "unabhängige Dritte" auf den großen Privatsender RTL und Sat 1 zur Sicherung der Meinungsvielfalt ein eigenes Programm veranstalten. Finanziert werden diese "Drittprogramme" von den Sendern, "und zwar zu Kosten, die faktisch vom Staat festgelegt werden", erregt sich Schawinsi. Es gehe zum Beispiel bei Regionalprogrammen, die auf solche Art entstehen, weder um Quotenerfolg noch um journalistische Qualität, sondern nur darum, "sich diese Pfründe möglichst langfristig zu erhalten". Man produziere Sendungen die dem jeweiligen Landesfürsten, seiner Staatskanzlei und der von ihnen abhängigen Landesmedienanstalt Freude bereiten sollen: "Nirgends ist der Eingriff der Politik direkter als im engen regionalen Bereich."

Als Protagonisten des Systems führt Schawinski den Filmemacher Alexander Kluge und dessen Verbündeten Stefan Aust (Spiegel) vor, aber auch den Mainzer Produzenten Josef Buchheit, der für Sat1 als Unabhängiger "Weck-Up" und "Planetopia" fertigt. Aufgeregt schildert der Ex-Sat1-Chef, wie er sich seitens der rheinland-pfälzischen Politik unter Kurt Beck (SPD) unter Druck gesetzt fühlte, als er Buchheits "Automagazin" nicht verlängern wollte.

Immer seichter

Auch wettert der Branchenveteran, der in der Schweiz zahlreiche Radio- und Fernsehsender aufgebaut hat, gegen die Öffentlich-Rechtlichen, die ihm einmal für den doppelten Preis (1,5 Millionen Euro) ein schon sicher geglaubtes Fußballspiel zwischen dem Hamburger SV und dem FC Sevilla noch entrissen. "Was für die einen nicht refinanzierbar ist, stellte für die Gegenseite ein Schnäppchen dar", mokiert er sich. Er sieht eine "Negativspirale" bei ARD und ZDF mit immer mehr seichten Filmen und Serien, vor allem am Nachmittag und am Vorabend.

Eigentlich sind alle im Umfeld Schawinskis mehr oder weniger Nieten ohne Nadelstreifen. Den Abgang des Investors Haim Saban, der mit Pro Sieben Sat 1 in nur wenigen Jahren viel, viel Geld gemacht hat, findet Schawinski beispielsweise nur noch "schwach, ganz schwach". Zum Abschied schaute Saban, der doch mal gesagt hatte: "I love Germany und Schweinebraten", nur ganz kurz in der TV-Zentrale in München-Unterföhring vorbei. Auf einem internen Managementkongress hatte der Finanzier aus Hollywood zuvor auf die Frage, warum er in Deutschland aktiv sei, frank und frei erklärt: "Es ist wegen des Geldes. Denn wenn ich euch erklären würde, dass ich es zur Förderung der deutschen Kultur tue, dann würde man mir, der kein Wort Deutsch spricht, dies auf keinen Fall abnehmen."

Solche Firmengeheimnisse verrät der ehemalige Sat1-Chef Schawinski. Er wettert, dass Saban zum Schluss fast 22 Millionen Euro an die vier Vorstände der Pro Sieben Sat 1 Media AG verteilte, aber nur 1,2 Millionen an die übrigen 2996 Mitarbeiter. Schawinski erhielt, wie jeder andere auch, demnach 400 Euro. Das ist entschieden zu wenig für einen, der so viel getan hat für den ältesten Sender der Gruppe - und sicher wieder ein Anlass, über Verteilungsgerechtigkeit zu diskutieren.

Aber was ist Geld schon wert, wenn ein Job so viele Einblicke in Menschliches bringt! Schawinski ist das Herz übervoll, und er lässt es fließen. So habe ihm einmal Otti Fischer gesagt, als er wegen eines Seitensprungs in der Boulevardpresse veräppelt wurde: "Ist doch gar nicht so schlecht, mitten in der Fußball-Weltmeisterschaft viermal auf Seite 1 in der Bild zu stehen!" Und Fischers schwieriger Frau Renate, die dem frisch am Meniskus Operierten seinerzeit auf der Wiesn so viel Pein bereitet hat, die bekommt auch noch ihr Fett ab.

Wofür schreibt man schließlich ein Buch! Und so plaudert Schawinski gerne den Kosenamen aus, den er in seiner Sat1-Zeit einst für sie gefunden hatte: "Tretmine".

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