Sat 1: "Anna und die Liebe":Psychopathentum de luxe

Jeanette Biedermann spielt die Hauptrolle, ihr Traummann ist ein verkitschter Märchenprinz - diese Telenovela müsste furchtbar sein. Ist sie aber nicht. Vom Fernsehen gegen die eigenen Vorurteile.

R. Schneeberger

Ja, diese Sendung ist süß wie Schokoladenpudding, bisweilen auch genauso schleimig. Jeanette Biedermann spielt die Hauptrolle, DSDS-Alexander Klaws wurde hier in Lohn und Brot gebracht - und der männliche Hauptdarsteller mit seinem hündchenhaft verträumten Blick heißt in der Sendung Jonas und hört im wirklichen Leben auf den Namen Roy (Roy Peter Link). Das spräche alles für schlechten Stil. Aber für eine Sendung dieser Gattung ist sie die De-luxe-Version mit Chili-Note: Sie hat Feuer und sogar so etwas wie Geschmack. Ein seltener kleiner Glücksmoment im deutschen Vorabend-Programm

Sat 1: "Anna und die Liebe": Spaß am Schauspiel: Das falsche ...

Spaß am Schauspiel: Das falsche ...

(Foto: ScrSh: sde)

Orientiert an der Sat1-Telenovela "Verliebt in Berlin" geht es auch hier um eine Berufsanfängerin, die sich in ihren Chef verliebt - allerdings mit der glaubwürdigeren Storyline, dem besseren Spannungsbogen - und der geeigneteren Hauptdarstellerin. Damit ist "Anna und die Liebe" besser als der Vorgänger - und das liegt ausgerechnet an Jeanette Biedermann. Im Gegensatz zu Alexandra Neldel, die schon vor "Verliebt in Berlin" schauspielerisches Talent bewiesen hatte, zeigt Biedermann mehr und nicht weniger Können als sonst, was der Serie echten Auftrieb gibt.

Vielleicht ist das der Grund, warum die Serie nach anfänglichen Startschwierigkeiten inzwischen richtig gut läuft und bis zu 15 Prozent Marktanteile in der Gruppe der 14- bis 49-Jährigen einheimst: Hier kommt es eben nicht auf die möglichst glitzernde Oberfläche einer Werbeagentur an, um die sich die Handlung dreht, sondern um das Gegenteil: die menschlichen Verfehlungen, die großen und kleinen Schwächen im Miteinander, im Berufs- wie im Familienleben und im Freundeskreis.

Konkurrenz und Eifersucht unter Geschwistern, peinliche Sprachstörungen, entstellende Hautkrankheiten, sich steigerndes Psychopathentum, unerwiderte Liebe und Beziehungen aus Bequemlichkeit, fehlende Intelligenz und gesteigertes Geltungsbedürfnis - abgesehen von ein paar Ausreißern darf sich getrost an sein eigenes Umfeld erinnert fühlen, wer wochentags um 18.30 Uhr oder samstags von 11 bis 14 Uhr Sat1 einschaltet.

Hier sind es nicht die gestylten Großstadt-Yuppies, die ihr Glamourleben offenbaren, oder die netten Menschen aus einfachen Verhältnissen, die ihr Herz zeigen sollen, wie sonst in Vorabend-Serien üblich. Und wenn doch, ist immer noch genügend Ironie darin versteckt. Hier sind die großen Themen Liebe, Tod und Eifersucht einmal ganz konsequent authentisch und doch hübsch spannend verdichtet ausgebreitet. Hier haben Menschen Fehler, das bietet enormes Potenzial.

Außerdem haben wir es bei dieser Serie mal mit einem richtig guten Casting zu tun. Das ist selten im deutschen Fernsehen und wird in Bezug auf die Glaubwürdigkeit einer Handlung und die Ästhetik einer Sendung, zumal in diesem Genre, völlig unterschätzt.

Mag sein, dass sich das demjenigen, der nur mal kurz reinzappt, nicht so recht erschließen mag. Aber wer von Anfang an dabei war, um sich das vermeintliche Elend anzuschauen, der wurde jedes Mal überrascht - bisher.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum die Sendung plötzlich kippt.

Anna und das Ende

Denn kaum dass die Serie im Juni ihren Quoten-Höhepunkt und Anfang August einen neuen erreichte, kaum dass sie am Donnerstagabend ihre 250. Folge feierte, zu der sich entscheiden sollte, ob es eine zweite Staffel geben wird, bricht alles ein: Jeanette Biedermann, so hieß es in der vergangenen Woche, steige aus der Serie aus, was vom Sender zwar nicht bestätigt, aber auch nicht wirklich dementiert wurde.

Jeanette Biedermann und Roy Peter Link als Anna und Jonas in der Sat1-telenovela Anna und die Liebe

... und das richtige Traumpaar, das niemals eins werden darf: Katja liebt Jonas liebt jetzt doch Anna - Liebeswirren und Geschwisterfehden geraten bei "Anna und die Liebe" längst nicht so schwülstig wie sonst üblich.

(Foto: ScrSh: sde)

"Wir sind froh, dass sie uns noch für so viele Folgen erhalten bleibt", wird ein Sprecher zitiert. Wie viele das sind und ob sie tatsächlich durch ihre alte GZSZ-Kollegin Josephine Schmidt ersetzt werden soll, wird nicht bekannt gegeben. 252 Folgen wurden ursprünglich für die erste Staffel veranschlagt - nun will man zwar keine zweite Staffel ankündigen, aber mit der ersten so lange weiter machen, wie der Erfolg es zulasse.

Dabei ist das inzwischen schon gar nicht mehr wichtig. Die Serie hat sich nämlich gerade totgelaufen. Seit dem Höhepunkt des Zuschauerinteresses geht es inhaltlich bergab: Leider hat der böse Sohn den guten Vater erschlagen, und mit Mathieu Carrière muss die Serie auf ihr schauspielerisches Zugpferd verzichten. Seitdem folgen alberne Nebenstränge, kommen und gehen neue und alte Charaktere, die immer beliebiger werden. Damit verliert die Serie genau das, was sie bisher glänzen ließ: Glaubwürdigkeit, Spannung, Lust am Schauspiel - und die Lust des Zuschauers, jedes Mal aufs Neue verblüffend gut unterhalten zu werden.

Auch das anfangs so reizvoll umgesetzte Thema "schüchternes Mädchen hat etwas zu sagen, wird aber nicht wahrgenommen" hat sich ins Gegenteil verkehrt: Anna wird nun reihenweise zum Gegenstand des Verliebtseins, die ehemals Zurückhaltende soll zur "rotzfrechen Berliner Göre" avancieren. Diese Rolle aber hat die Biedermann schon immer gespielt. Darin liegt kein Reiz mehr verborgen.

Die verbliebenen Darsteller, vor allem diejenigen, die die wie üblich glaubhafteren Bösewichte verkörpern, bemühen sich zwar noch nach Kräften. Aber man kann es drehen und wenden, wie man will: Es steht und fällt alles mit der Hauptdarstellerin. Da sich diese nun nicht mehr anstrengen muss, ist es mit der Spannung leider vorbei.

Ob es nun an ausgepowerten oder ausgetauschten Drehbuchschreibern liegt oder die Macher ihrer eigenen Idee nicht mehr vertrauen: Seit ein paar Wochen ist die Serie in der Beliebigkeit angekommen. Das ist schade. Denn seit August 2008 waren plötzlich nicht mehr alle deutschen Fernseh-Vorabende grau.

Deutschlands elfte Telenovela war eine Happy Hour inmitten ansonsten öder Vorabend-Serien à la "GZSZ", "Unter uns" (beide RTL) und "Marienhof" (ARD). Einziger Trost: Wird die Serie bald abgesetzt, muss man nicht mehr um ihren Niedergang trauern. Es gab mal eine Zeit, da hatte Sat 1 ein richtig gutes Format, werden Soap-Kenner sich verschwörerisch zuraunzen. Verschenkt, verspielt, vergessen. Pünktlich zur 250. Folge der Serie. Happy Aua!

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