Sprache in der Diktatur:Kultur ist Protest

Vom Getöse der Macht und den Möglichkeiten des Sprechens, wenn die freie Rede unterdrückt wird: Ein philosophischer Sammelband.

Von Burkhard Liebsch

Viele Schriften zum Kulturbegriff schlagen zur Zeit einen erstaunlich optimistischen Ton an. So Steven Pinker in seinem Buch "Aufklärung", der beweisen will, dass die Welt so schlecht nicht ist, wie sie oft dargestellt wird. Der von dem Kasseler Philosophen Sarhan Dhouib herausgegebene Band wählt eine bescheidenere und zugleich genauere Herangehensweise. Er lädt dazu ein, das politisch Schlechte, die Unterdrückung der freien Rede, als Unrechtserfahrung über die Kulturen hinweg zu untersuchen. Dabei kommt es zu bemerkenswerten Vergleichen politischer Repressionserfahrungen nach dem Arabischen Frühling und in der ehemaligen DDR.

Ich bin nicht zum Schweigen verurteilt, also bin ich, lesen wir hier. Genauer müsste es heißen: Wir werden gehört, also existieren wir politisch - dank anderer, die uns Gehör schenken. So gesehen erweisen sich "Menschen in Freiheit als die eigentliche Heimat", ‒ als eine Heimat, die in autokratischen und diktatorischen Regimes "im Sterben liegt". Deshalb sind wir mitschuldig, wenn wir der Unrechtserfahrung nicht unsererseits zur Sprache verhelfen.

In diesem Sinne müsste auch hierzulande gelten: "Kultur ist nicht Zustimmung, sie ist Protest". Das lehren uns die Autoren in diesem sehr lesenswerten Buch, die nur gelegentlich ein wenig zu philologisch vorgehen. Sie alle wissen, dass sie es mit politisch verstörtem Weltvertrauen und verwundeten Menschen zu tun haben, die uns "in der eigenen Versehrtheit die Welt erkennen" lassen, in der wir leben.

Es ist unsere gemeinsam geteilte Welt, die eine ständig zur Paranoia tendierende politische Macht in autokratischen und diktatorischen Regimes missbraucht. Scheinbar will sie allein die politische Rede beherrschen und alle ihr nach dem Munde reden lassen. Darin zeigt sich die eigentümliche Schwäche und Ohnmacht solcher Macht: Ständig muss sie nach Abweichungen fahnden und sie verfolgen, weil sie sich selbst als allseits gefährdet erlebt.

Was widerständiges Sprechen und Schweigen dagegen ausrichtet, wird detailliert untersucht: vom Rückzug in die sprichwörtlichen Küchen der sowjetischen Intelligenzija über Flüsterwitze und paradoxe Taktiken, um das Offensichtliche in der Öffentlichkeit zu verbergen, bis hin zu demonstrativem Verstummen, das kaum zu zensieren ist.

Subversive Strategien der Wortergreifung, einer Rede in Andeutungen, die die herrschende Macht nicht versteht, und des gezielten Schweigens können gewiss wenig gegen eine Gewalt ausrichten, die stets mit ihrer Ausweitung und Brutalisierung drohen kann. Sie zeigen aber, dass sich ein "Reich des Schweigens", wie es Baschar al-Assad in Syrien zu errichten versuchte, niemals restlos beherrschen lässt.

Wenn niemand mehr offen widersprechen kann und schließlich alle, die überlebt haben, nur noch sagen, was erlaubt ist, muss die okkupierte Macht mit sich und ihrem fortwährenden "Getöse" allein bleiben und ihre ganze Sinnlosigkeit offenbaren. Das machen in diesem Band nicht zuletzt eine Vielzahl von arabischen Stimmen deutlich, die zum Dialog über die gewaltsame Zerstörung jeglichen Dialogs einladen und eine wichtige Frage zurückgeben: Seid ihr in Europa bereit, für freimütige Rede zu bezahlen? Wie subtil hat euch eine Macht im Griff, die weniger droht und unterdrückt, als vielmehr mit Lebenschancen lockt, die rasch verspielt werden, wenn ihr euch frei äußert?

Der Band wirbt nicht nur für ein transkulturelles Verständnis arabischer Lebensumstände, er reißt den Leser auch aus der Selbstgefälligkeit eines politischen Selbstverständnisses, das sich im Rahmen einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung über solche Machtfragen erhaben wähnt.

Sarhan Dhouib (Hrsg.): Formen des Sprechens, Modi des Schweigens. Sprache und Diktatur. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2018. 450 Seiten, 49,90 Euro.

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