Kinopremiere von "Sargnagel - der Film":Bist du deppert

Kinopremiere von "Sargnagel - der Film": Stefanie Sargnagel (links) ist nicht die einzige, die in "Sargnagel - der Film" die Hauptrolle spielen will - auch Hilde Dalik mischt mit.

Stefanie Sargnagel (links) ist nicht die einzige, die in "Sargnagel - der Film" die Hauptrolle spielen will - auch Hilde Dalik mischt mit.

(Foto: Golden Girls Filmproduktion)

Österreichs Krawall-Literatin spielt sich selbst: Stefanie Sargnagel debütiert in "Sargnagel - der Film" bei den Hofer Filmtagen.

Von Alex Rühle

In ihrem Debüt "Binge Living. Callcenter-Monologe" schrieb Stefanie Sargnagel, ihr Alltag ging da grad mal wieder komplett aus dem Leim, dass sie dringend ein Drehbuch für ihr Leben brauche. Acht Jahre später gibt es nun sogar einen ganzen Film über ihr Leben, in dem sie auch noch selbst die Hauptrolle spielt, also sich selber bzw. die Marke Sargnagel, womit man gleich schon drin ist im Spiegellabyrinth, weil was ist echt in einem Mockumentary, in dem Hilde Dalik als sie selbst nicht die Rolle von Stefanie Sargnagel bekommt, aber dafür dann zum Trost deren erfundene beste Freundin spielen darf, eine abgelebte Aushilfskellnerin, die in ihrer existenziellen Zerflustheit extrem authentisch wirkt, gern Schauspielerin wäre und irgendwann zu Sargnagel sagt: "Ich schaff's ja net a mal, mich selbst zu spielen."

Verzeihung. Zu verwirrend. Noch mal von vorn. Oder besser: von außen. Das Wiener Regie-Gespann Sabine Hiebler und Gerhard Ertl wollte angeblich ursprünglich einen Spielfilm über Stefanie Sargnagel drehen, bekam dafür aber keine Fördergelder. Also reichten sie das Ganze leicht verfremdet als Dokumentarfilm ein und hatten kurz darauf den Etat oder besser den Salat, weil sie jetzt so tun mussten, als würden sie eine Dokumentation über die Entstehung eines Spielfilms drehen. Viel Mühe haben sie sich bei ihrer Camouflage-Arbeit nicht gegeben, im Gegenteil, sie haben ihre ganzen Wiener Kultur- und Kunstfreunde eingeladen mitzuspielen, was natürlich extrem meta ist, weil genau darum soll's gehen, der depperte Kunstbetrieb und wie er sich mit seinen überhitzten Hypes um sich selber dreht.

In Österreich war der letzte große Hype besagte Sargnagel. Für alle, die die vergangenen Jahre unter einem Stein verbracht haben: Stefanie Sargnagel fing Anfang der Zehnerjahre an, über den Alltag im Callcenter und die Nächte in grindig herzlichen Wiener Beiseln zu twittern, was auf eine so charakteristisch eigene Art witzig war, dass bald schon Verlage ihre Tweets zu Büchern zusammenleimten. Die charakteristisch eigene Art brachte Sargnagel selbst mal so auf den Punkt: "Was mir am meisten Freude bereitet: mit Witzen den Leuten die Wahrheit ins Gesicht zu scheißen."

Jetzt also "Sargnagel - der Film", der am heutigen Mittwoch auf den Hofer Filmtagen gezeigt wird. Mitten drin sie selbst, mit dauerfadisiertem Gesicht, weil im Grunde is ja ois wurscht. Uranstrengend auch. Absurd eh. Sie, deren "Lieblingsantwort auf die Frage, was ich mache, immer war: 'Gar nichts'", hat plötzlich Lesungslisten und Interviewmarathons, Abgabedruck für ihr Manuskript und Stress mit rechten Hass-Tsunamis, über die sich ihr Manager natürlich freut, weil "läuft eh super, das mit dem Shitstorm bauen die bei Rowohlt gleich ins Marketing ein".

Um sie herum tobt der Metaklamauk, ein Produzent, der nie eine Zeile Sargnagel gelesen hat, aber spürt, dass da irgendein Thema drin ist. Der Liedermacher Voodoo Jürgens spielt sich selber, die Wiener Kulturreferentin Veronica Kaup-Hasler gibt die biestige Hausmeisterin des dunklen Sozialwohnungsblocks, in dem Sargnagel haust und der auch die Kulisse für dunkelste Ulrich-Seidl-Szenen abgeben könnte. Die Schauspielerin Hilde Dalik will unbedingt die Sargnagel spielen, weil das ist eine Rolle, mit der man endlich mal Preise gewinnen kann, geht aber mit ihrem verkniffenen Ehrgeiz und ihrem hochtourigen Diven-Getue allen auf den Zeiger.

Was aus dem Blick gerät: Die Sargnagel ist ja nicht nur krass und schlunzig

Ihr läppischer Freund, gespielt von dem Schauspieler und Regisseur Michael Ostrowski, soll Regie führen und in einer Szene, die extrem an das Ibiza-Video erinnert, überlegen Produzent, Regisseur und die grell geschminkte Dalik gemeinsam, welche Aspekte der Kunstfigur Sargnagel man am besten außen vor lässt, weil bloß nicht zu komplex. Das ist schon ziemlich lustig, aber verliert in dieser Feier der Oberflächlichkeit dann auch genau das aus dem Blick, was die Sargnagel erst so richtig interessant macht.

Die ist ja nicht nur krass und schlunzig, sondern hält mit dieser unbeeindruckten Derbheit dem hässlichen Machismo einen Spiegel vor. Ihr Männer macht immer noch eure schweinischen Flachwitze? Bitte schön, hier habt ihr meine Sprüche über Menstruationsblutklumpen. Sie hat mit Freundinnen die Burschenschaft Hysteria gegründet, die zum Schutz der Männer das Männerwahlrecht einschränken will, eine Frauen- und Transgenderquote von 80 Prozent in öffentlichen Ämtern fordert und im studentischen Wichs eine so gekonnte Parodie des identitären Wahnsinns abzieht, dass die Rechtspopulisten Sargnagel so glühend wie hilflos hassen. Und in ihrem Buch "Fitness" hat sie gezeigt, dass in Zeiten des Selbstperfektionierungsterrors die Totalverweigerung in Form des allabendlichen Abstürzens mit Freunden und viel Dosenbier eine so gemütliche wie souveräne politische Aktion sein kann.

All das wird außen vor gelassen, stattdessen schaut Sargnagel mit ihrem Stoneface den neuesten Volten des Drehbuchs zu. Angela Merkel schaut übrigens manchmal haargenau so drein wie die Sargnagel, in Momenten, in denen sie neben Putin, Johnson oder einem der anderen Ego-Clowns steht, ostentativ keine Miene verzieht und zu denken scheint: Ah geh, bist deppert? Vielleicht sollte die Sargnagel, jetzt wo sie das mit dem Film erledigt hat, einfach in die Politik gehen, die Konservativen brauchen dringend neue, junge Integrationsfiguren.

Sargnagel - Der Film, Österreich 2021 - Regie und Buch: Gerhard Ertl, Sabine Hiebler. Kamera: Anna Hawliczek, Carolina Steinbrecher. Mit Stefanie Sargnagel, Hilde Dalik. Golden Girls Filmproduktion, 96 Minuten.

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