Auf dem Mannheimer Bahnhofsplatz steht inmitten des Fußgängerbereichs ein Verkehrsschild wie viele andere Verkehrsschilder auch - in schwarzer Schrift auf gelbem Grund ist da zu lesen: Gurs 1170 km. An diesen Ort in Südfrankreich wurden die badischen Juden im zweiten Weltkrieg deportiert, die meisten von ihnen kamen später nach Auschwitz.
Viele Menschen tummeln sich an diesem Samstag auf dem Bahnhofsplatz, die meisten haben blau-weiße Schals um den Hals und eine Bierflasche in der Hand. Andere tragen grüne Berufskleidung, sind bisweilen mit Helmen, Schlagstöcken und Schutzanzügen ausgerüstet.
Es ist Fußballtag in Mannheim, der Emporkömmling aus Hoffenheim spielt hier im Carl-Benz-Stadion, weil die eigene neue Arena noch nicht fertig ist. Fußballfan trifft Polizist - das Verkehrsschild nach Gurs beachtet niemand. Zwei Fahrräder sind daran angekettet.
Die Fußball-Bundesliga und das frühere Konzentrationslager Gurs haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Vermutlich ist die Familie Hopp derzeit die einzige, die oft an beides denken muss.
Der Name Hopp taucht auf
Dietmar Hopp, Mitbegründer der Softwarefirma SAP und Multimilliardär, hat den Dorfklub TSG Hoffenheim als Mäzen bis an die Spitze des deutschen Fußballs gebracht. Weniger Freude als das Projekt Fußball bereitete der Familie indes ein Buch, das sie vor ein paar Jahren überreicht bekam und in dem der Weg der zwei jüdischen Brüder Mayer nachgezeichnet ist.
Zweier Brüder, die samt ihrer Familie aus Hoffenheim nach Gurs gebracht worden waren und deren Eltern später in Auschwitz starben. Die selbst über verschlungene Wege gerettet wurden, sich nach dem Krieg trennten, in die USA beziehungsweise nach Israel auswanderten. Die ihre deutschen Pässe wegwarfen und ihre Namen änderten: Aus Manfred Mayer wurde der Amerikaner Frederick Raymes, aus Heinz Mayer der Israeli Menachem Mayer.
Und die nach mehr als 50 Jahren ihre Erinnerungen aufschrieben, weil sie Briefe der Mutter aus dem KZ gefunden hatten und die Kinder nach den Großeltern fragten. In diesen Erinnerungen taucht auch der Name Hopp auf: Emil Hopp, Vater der Geschwister Dietmar, Rüdiger und Karola, zur NS-Zeit SA-Truppführer in Hoffenheim.
"Da sind wir schon ziemlich erschrocken", gesteht Rüdiger Hopp, der 69-jährige, in der Öffentlichkeit kaum bekannte ältere Bruder von Dietmar. Die Hopps lasen dort, dass der Vater 1935 mit zwei Kameraden in die Hoffenheimer Synagoge eingebrochen war und die Gruppe sich eine Prügelei mit dem Vater Mayer lieferte. Die Mayers wohnten in der Dienstwohnung der Synagoge.
Und Emil Hopp war es auch, der am Morgen nach der Reichspogromnacht am 10. November 1938 auf Befehl ein paar SA-Leute in Hoffenheim zusammentrommelte und das jüdische Gebetshaus endgültig zerstörte. Die Mayers mussten bei Freunden unterschlüpfen. Zwei Jahre später schickte sie die Gestapo nach Gurs.
Zwar sei die damalige Rolle des Vaters bekannt gewesen, sagt Rüdiger Hopp, doch über Einzelheiten habe man geschwiegen. Da unterscheidet sich die Familie Hopp nicht weiter von vielen anderen deutschen Familien. Und wenn doch mal etwas hochkam, habe sich Vater Emil auf den Befehlsnotstand unter Hitler berufen. Der 68-jährige Dietmar Hopp, meint: "Mit mir hat der Vater nie darüber gesprochen."
Lesen Sie auf Seite 2, wie offensiv die Geschwister Hopp mit der NS-Vergangenheit ihres Vaters umgehen.
Nun ist es nicht leicht, im Detail zu erfahren, für welch furchtbare Dinge der eigene Vater im Dritten Reich verantwortlich war. Die Hopps beschlossen auf die Brüder Mayer zuzugehen, vor allem wegen des letzten Satzes im Buch: "Lasst uns nicht die Schuld der Väter an den Kindern heimsuchen", schreibt dort Frederick Raymes. "Das habe ich als ausgestreckte Hand verstanden", sagt Rüdiger Hopp. Im Jahr 2003 während eines Urlaubs in Florida kam es zu einem ersten Treffen.
Dennoch fürchtete sich die Familie Hopp auch, die Geschichte könnte dem berühmten Dietmar Schaden zufügen. Sein Name steht für eines der größten deutschen Unternehmen, den Computerriesen SAP. Und nun auch für den Aufstieg der Hoffenheimer Fußballer, durch den sich sein Bekanntheitsgrad in Deutschland um die Mitglieder der Fußballgemeinde - und damit drastisch - erweitert hat.
Rüdiger Hopp gibt zu, er habe zunächst bei den Autoren nachgefragt, ob man in der deutschen Übersetzung den Namen Hopp streichen könne. Die Antwort: ein "klares Nein". Wenn die Opfer Namen tragen, sollten das auch die Täter, sagten die Angehörigen der Brüder Mayer. Die Hopps respektierten diesen Wunsch und es begann eine seltene Geschichte der Vergangenheitsbewältigung und Aussöhnung zwischen Familien von NS-Opfern und -Tätern.
Die Hopps finanzierten die deutsche Übersetzung des Buches. Aus dem englischen Titel "Are the Trees in Bloom Over There?" (Blühen bei Euch die Bäume?) wurde "Aus Hoffenheim deportiert - Menachem und Fred" (Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2005, 208 Seiten, 16,90 Euro).
Darin schreiben Menachem Mayer und Frederick Raymes meist in Dialogform von ihrer Kindheit, der Leser erfährt aus sehr persönlicher Perspektive die Geschichte zweier jüdischer Kinder, deren Schicksal sich unaufhaltsam zuspitzt. Wie sie von der heimischen Dorfjugend mit Steinen beworfen und verprügelt werden. Wie sie ins Lager kommen, von den Eltern getrennt werden, weil eine Hilfsorganisation es schafft, sie im Waisenhaus zu verstecken.
Und schließlich sind Briefe der Eltern aus dem KZ dokumentiert, bis zu ihrer Abfahrt nach Auschwitz. Am 10. August 1942 hören die Brüder Mayer zum letzten Mal von ihren Eltern, der Vater schreibt: "Vertragt Euch, Manfred und Heinz, das sind meine Sorgen."
Freundschaft zwischen Tätern und Opfern
Zur Vorstellung der deutschen Übersetzung in Hoffenheim luden die Hopps beide jüdischen Familien nach Deutschland ein. Es war das erste Mal, dass sich die Kinder und Enkel der Brüder Mayer begegneten. Und weil sie zustimmten, dass ein Kamerateam diese Rückkehr sowie weitere Besuche in Gurs und Auschwitz begleitete, ist ein Dokumentarfilm darüber entstanden, der unter dem Namen "Menachem und Fred" Anfang 2009 in die deutschen Kinos kommen soll. Die Geschwister Hopp werden darin auch zu sehen sein.
"Wir haben unsere Unterstützung für den Film zugesagt unter der Bedingung, dass nicht wir, sondern die Familien Mayer und Raymes im Mittelpunkt stehen", erzählt Rüdiger Hopp. Auf den Hofer Filmtagen Ende Oktober wurde er zum ersten Mal dem Publikum vorgestellt, es gab Standing Ovations.
Zwischen den Familien des damaligen Täters und der Opfer hat sich nun eine Freundschaft entwickelt. Frederick Raymes, der "viele Jahre lang alles Deutsche ablehnte, seine Muttersprache unterdrückte, sein Judentum verleugnete und sich weigerte, einen VW oder Braun-Rasierer zu kaufen", forderte bei einem Abschlussessen in der Nähe Hoffenheims seine Familie und die seines Bruders auf, sich für die Initiativen der Hopps "mit einem lang anhaltenden Beifall zu bedanken".
Doch wie wird nun die Öffentlichkeit, wie werden die in Vereinsfarben gekleideten Biertrinker in den Stadien reagieren? Dietmar Hopp sagt: "Ich gehe davon aus, dass die Leute intelligent genug sind, die Schuld nicht bei uns zu suchen." Er wirkt dabei nicht so, als würde er etwas bereuen.