Alben der Woche:Der Einwand derer, die Angst haben vorm Einwanderer

Samy Deluxe veröffentlicht ein (musikalisch) dichtes Überraschungsalbum. Und Bushido den alten Brei aus Frauenverachtung, Gewaltfantasien und Straßenkriminellengehabe.

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Bushido - "Carlo Cokxxx Nutten 4" (Sony Music)

Bushido - "Carlo Cokxxx Nutten 4" (Sony Music)

Quelle: Sony Music

Ach, es kommt künstlerisch ja nichts Neues mehr auf Bushidos "Carlo Cokxxx Nutten 4" (Sony Music). Es bleibt derselbe alte Brei aus Frauenverachtung, Gewaltfantasien und Straßenkriminellengehabe, der irgendwann mal recht glaubwürdig Kleinbürger erschreckt hat, aber als Ausweis irgendeiner Authentizität auch dann längst nicht mehr taugte, wenn Bushido nicht selbst inzwischen mit der Polizei kooperieren würde. Deshalb vielleicht einfach nur eine sehr alte, überlieferte Weisheit: "Erst wenn die letzte Mutter gefickt, der letzte Gegner zerteilt, der letzte Homosexuelle zum Untermenschen degradiert ist, werdet ihr merken, dass man Koks nicht essen kann."

Jakob Biazza

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Samy Deluxe - "Hochkultur" (Universal Music)

Samy Deluxe - "Hochkultur" (Universal Music)

Quelle: Universal Music

Wie schön, dass sich Samy Deluxe da einen Tag nach seinem 42. Geburtstag noch ein Überraschungsalbum gönnt. "Hochkultur" (Universal Music) heißt es, und es ist, nun, wohl am ehesten eine recht würdige Verdichtung seines bisherigen Schaffens. Was den Hamburger seit dem damals bahnbrechenden "Deluxe Soundsystem", seinem Durchbruch mit Dynamite Deluxe, von vielen anderen Rappern unterscheidet, was ihn zum, Achtung: Künstler macht, ist schließlich eine immer drängendere Suche nach sich selbst. Doch, doch! Deshalb konnte man diesem Samy Sorge, wie er bürgerlich heißt, in den vergangenen Jahren ja auch immer wieder dabei zusehen, wie er sich auf dem Weg mit Karacho verrannte - mit einer recht anstrengenden Kunstfigur zum Beispiel. Oder mit ein paar Songs, die einfach zu bundespräsidial besorgt um den Zustand von Welt und Land waren, um noch Spaß zu machen. Jetzt kommt das alles zusammen: eine angenehme Ambition beim Basteln von etwas untypischen Beats, ein milder Hang zu so etwas wie Tiefgang, die noch immer vielseitigste Rap-Technik im Land - und endlich auch wieder genug Kiffer-Blödsinn. Exemplarisch zum Beispiel in dieser Zeile: "Dieser Weg war ein Eins-a-Lehrer/Am Anfang war ich nur ein Wanderer/Dann kam all der Einwand derer/die Angst haben vorm Einwanderer".

Jakob Biazza

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St. Vincent - "Nina Kraviz Presents Masseduction Rewired" (Loma Vista Recordings)

St. Vincent - "Nina Kraviz Presents Masseduction Rewired" (Loma Vista Recordings)

Quelle: Loma Vista Recordings

Und damit noch zwei Alben nachgereicht: Kein Song muss so bleiben, wie er ist. Denkt sich St. Vincent nun schon zum zweiten Mal, und zwar in Bezug auf ihr Grammy-prämiertes Album "Masseduction" aus dem Jahr 2017. An dieser Stelle wurde es damals als "unbeirrt eigenwilliger Indie-Elektro-Pop in der Tradition der Talking Heads" gelobt. 2018 gab es mit "MassEducation" eine auf dem Klavier eingespielte Akustik-Version. Jetzt folgt mit "Nina Kraviz Presents Masseduction Rewired" (Loma Vista) die Erweiterung in Richtung Clubkultur: ein Remix-Album, für das Annie Clark, wie St. Vincent bürgerlich heißt, den Job des Remixe-in-Auftrag-Gebens outgesourct hat an die russische Star-DJ Nina Kraviz. Die darf sich nun "Remix-Kuratorin" für ein ganzes Album nennen - eine brandneue Job-Beschreibung im Pop! Kraviz hat bei Produzenten wie Bjarki und PTU trippig-verspulte Techno-Versionen zum Song "Pills" bestellt, nun ja, das überrascht weniger. Sie klingen detailliert so, als seien sie für das mächtige Funktion-One-Soundsystem des Berghain produziert. Toll ist Fred Ps Version von "Happy Birthday Johnny". Sie erinnert an die Drum&-Bass-Phase des britischen Popduos Everything But The Girl. Ebenfalls ganz wunderbar: die "Slow Disco"-Version des norwegischen Produzenten EOD. Sie klingt, als würde Stéphanie von Monaco ihren Soft-Synthie-Hit "Irresistible" aus den Achtzigern noch einmal durch ein Schlumpf-Mikro singen.

Jan Kedves

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Kat Frankie - "Bodies" (Grönland)

Kat Frankie - "Bodies" (Grönland)

Quelle: Grönland

Kein Song muss so bleiben, wie er ist - denkt sich auch Kat Frankie. Die in Berlin lebende, australische Singer-Songwriterin veröffentlicht ihre "Bodies"-EP (Groenland), auf der sie mit einem Frauenchor Songs ihres "Bad Behaviour"-Albums neu einsingt, und ein neuer Song ist auch dabei: "How To Be Your Own Person". Man würde hier ja um das Klischeewort "Frauenpower" gern herumkommen, aber wie soll man das anders nennen, wenn weibliche Stimmgewalt, so nachdrücklich, so sanft, so harmonisch zu einem Klangkörper verschmilzt? Songs wie "Bad Behaviour" oder "Versailles" klingen in diesen akustischen Versionen, als wären sie von jeder Zeitlichkeit befreit. Sogar die Perkussionen haben die Frauen körperlich erzeugt: Klatschen, Fingerschnippen, Fußstampfen... Aus "Headed For The Reaper" wird so ein eindrückliches Spiritual.

Jan Kedves

© sz.de/crab
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