Danny Brown - "uknowhatimsayin¿" (Warp Records)
"It's gonna be a big deal", hatte schon vor zwei Jahren Danny Brown angekündigt, eine ganz große Sache sollte es werden, sein neues Album, eine Kooperation mit einer Hip-Hop-Legende. Auch wenn man nicht jede großspurige Aussage des Rappers für voll nehmen muss, in diesem Fall ist er den Erwartungen gerecht geworden: Produziert wurde "uknowhatimsayin¿" von niemand geringerem als Q-Tip, Kopf von A Tribe Called Quest. Brown zeigt sich hier wieder als Gonzo-Großmaul des amerikanischen Hip-Hop: Auf den Zuhörer prasseln verquere Wortkaskaden ein, die in mal Cartoon-, mal in Stand-up-Comedy-haften und mal in komplett manischen Erzählsequenzen von Sex, Drogen und einem Alltag zwischen Apathie und Wahnsinn erzählen. Eingebettet wird die Erzählwut von Q-Tips Beats und Sample-Schichten, die gleichzeitig an den funky Oldschool-Sound der Neunziger anknüpfen und trotzdem herrlich herausfordernd sind, die brummen und sirren und stolpern und knarren wie alte Stoßdämpfer auf ausgebeultem Asphalt. In der Single "Dirty Laundry" etwa. Das ist vielleicht das Erstaunlichste an dieser Platte: Browns Fiebertraum-Raps vertragen ziemlich viel Funk.
DIIV - "Deceiver" (Captured Tracks)
Eine harte Zeit hat Zachary Cole Smith, Sänger und kreatives Schaltzentrum der New Yorker Band DIIV, hinter sich: Nach einem ordentlichen Debüt tat sich Smith erst vor allem als eifriger Heroin-Junkie nach Cobain'schen Vorbild hervor, dann als toller Melodienerfinder und Gitarrist, der seine Erfahrungen auf dem weitverzweigten, wunderbar launischen, abwechselnd warm- und kühlströmenden zweiten Album der Band, "Is The Is Are", verarbeitet, um dann in den vergangenen Jahren durch die Drogenentzugshölle zu gehen. Folglich ist die neue Platte "Deceiver" (Captured Tracks) um einiges düsterer und introspektiver geraten: Die Gitarren kreisen immer noch unermüdlich, diesmal allerdings mehr in Richtung Noise-Rock und Shoegaze. Manchmal klingt es, als könnte sich Smith nicht entscheiden, ob er eine Hommage an My Bloody Valentine aufführen oder die Band doch lieber bloß parodieren will. Trotzdem schaffen es nicht viele, wie etwa in "Blankenship", mit so viel Dringlichkeit von einem großen Unbehagen zu erzählen, und das im Grunde allein mit Gitarren.
Wilco - "Ode to Joy" (dBpm Records)
Mitte der Neunziger gehörten Wilco zum Schwarm der jungen Wilden, die dem alten, stiernackigen Genre Countryrock kräftig Feuer unterm Traktor legten. 25 Jahre später findet sich Jeff Tweedy - Sänger, Gesicht und Songautor der in Chicago ansässigen Band - selbst auf der Veranda wieder, als höchst produktiver, aber zunehmend verschrobener Walt Whitman der Generation X. Auf "Ode to Joy", dem insgesamt elften Album, klingt seine Band nun so kosmisch und meditativ wie nie zuvor: wie aus Kiffwolken geatmete Lyrik, hypnotischer, fein gemaserter Folk mit elektronischen Schlieren. Introversion als Antwort auf die amerikanische Tageslage - poetisch, dankbar und ganz sicher subversiv, aber ohne den grandiosen Biss früherer Wilco-Jahre.
Samra & Capital Bra - "Berlin lebt 2" (Universal Urban)
"Berlin lebt 2" ist trotz vermeintlicher Härte ein Album voller Hilfeschreie. Die starken Momente sind keine Partyhymnen, sie sind die reine spätkapitalistische Verzweiflung: "Gib mir Tilidin, ja ich könnte was gebrauchen, Wodka E, um die Sorgen zu ersaufen", singt Samra heiser auf "Tilidin", und dann "lieber Gott, ich fühle mich so einsam". Capital Bra wirkt nicht weniger depressiv, zwischen inflationärem Luxuslabel-Dropping taucht immer wieder seine weinende Mutter auf, sitzengelassen von seinem Vater ("Zombie"). Er selbst lache zwar viel, sei aber "innerlich gefickt" und fragt sich warum "die Menschen bloß so kalt" sind. Das könnte man alles leicht als Pose abtun, aber es wirkt weit glaubwürdiger als die üblichen Deutschrap-Fabeln über Millionendeals als Pseudo-Mafiapaten (auf "Berlin lebt 2" durchaus auch vorhanden). Und jetzt stehen Samra und Capital Bra mit Mitte 20 in ihren Gucci-Trainingsanzügen da, hochgeboxt von den Berliner Randbezirken, so ziemlich jeder Song an der Chartspitze, baden in Ruhm und Aufmerksamkeit und spüren: nichts. Leere, Ausweglosigkeit. "Die Welt ist grau, ich hol' dich ab im Lamborghini babyblau" verspricht Capital Bra, "und wir fahren, und wir fahren.. ich weiß nicht wohin genau."
Seeed - "Bam Bam" (Warner Music)
Demba ist weg, gestorben vor gut einem Jahr, und weil man im Pop ja nie ganz weg ist, ist er natürlich trotzdem immer noch da auf dem neuen Seeed-Album. Auf dem letzten Song, den man unbedingt als ersten hören sollte. "What a Day" heißt er, posthum entdeckt auf einer Festplatte und dann ohne Demba fertig produziert. Ein dunkler Song. Natürlich ein dunkler Song, was sollte es auch sonst sein, wenn einer aus dem Grab oder dem Himmel oder von wo auch immer man eben hingeht noch einmal seine Liebe schickt. Aber wegen der Liebe strahlt der Song auch. Und wer ihn hört und dann direkt weiterspringt, also beim ersten Stück der Platte landet, "Ticket", eine Art Dreampop-Afro-Beat-Groove und wirklich enorm schön, bei dem wird sehr beseelt etwas kaputt gegangen sein. Und dann ist es vorbei mit Sommer-Sonne-Karibik-Assoziationen. Dann ist nur noch Herbst. Dann wird "Bam Bam" (Warner) zu einem sehr gelungenen Abschieds-Album. Vom Freund, klar. Von der Liebe. Vielleicht aber - das ist reine Spekulation, aber ein bisschen klingt es so - auch vom Fan? Falls dem so wäre: Man ginge mit einem Album, das sehr mit sich und der Welt versöhnt scheint.
Angel Olsen - "All Mirrors"
Von diesem Album hat Angel Olsen zwei Fassungen aufgenommen, eine reduzierte und eine schwelgerische mit Orchester. Sie hat überlegt, welche sie veröffentlicht, und sich für die falsche entschieden. Wobei das natürlich Mutmaßung ist, denn die reduzierte kann man zum Zeitpunkt dieser Rezension noch nicht hören. Bei "New Love Cassete" funktioniert der Bombast ganz gut, "What Is It" ist dagegen nur anstrengend, Rock'n'Roll im gemächlichen Trott mit Schepperdrums, mehr künstlich als künstlerisch angereichert mit Gefiedel. "Impasse" klingt wie für James Bond geschrieben. Die Arme muss die ganze Zeit gegen sie bedrängende Hallwände, Gitter aus Geigenstahl und wie von überdimensionierten Dudelsäcken ausgefurzte Bässe ansirenen. Tröstlich immerhin die Aussicht, dass die andere Version des Albums auch noch veröffentlicht wird. Es besteht Hoffnung!