Sammler:Die Chemie muss stimmen

Kunstsammlerehepaar Ingrid und Thomas Jochheim

Ingrid und Thomas Jochheim vor einem kleinen Teil ihrer Kunstsammlung.

(Foto: Claus Rottenbacher)

Ingrid und Thomas Jochheim haben ihren ersten Christo zur Hochzeit bekommen. Kurz danach begann ihre intensive Auseinandersetzung mit Kunst.

Von Johanna Pfund

Wenige Wochen nachdem Christo und Jeanne-Claude den Reichstag verpackt hatten, das war im Herbst 1995, flogen Ingrid und Thomas Jochheim nach New York, um das Künstlerpaar endlich einmal persönlich zu treffen. Fast wäre der Termin geplatzt, weil der vermittelnde Galerist nicht mitfliegen konnte, sein Reisepass war gestohlen worden. Und ohne die vertraute Mittelsperson wollten Christo und Jeanne-Claude das ihnen noch unbekannte Unternehmerpaar aus Recklinghausen nicht treffen. Doch schließlich ließen sich die Künstler überreden, auf einen Cocktail. Christo erinnerte sich an diese erste Begegnung durchaus, er erzählte noch vor Kurzem von einem "jungen, energiegeladenen Sammlerpaar". Für Ingrid Jochheim aber ging damals mit dieser Begegnung nichts weniger als ein Traum in Erfüllung: "Die Arbeiten von Christo und Jeanne-Claude waren schon immer eine Liebe von uns."

Es ist eine Liebe, die sie und ihr Mann über Jahrzehnte hinweg gepflegt haben und die gewachsen ist, mit regelmäßigen Telefonaten und Treffen. Telefonate vor allem mit Jeanne-Claude, wie Ingrid Jochheim bei einem Rundgang durch die aktuelle Ausstellung im Palais Populaire in Berlin erzählt. Denn Christo telefonierte nicht gern. Und es ist eine Liebe, die nicht nur mit Telefonaten gepflegt wurde, sondern die auch ihre Erinnerungsstücke hat; im Falle der Jochheims sind dies ziemlich viele.

Allein für die Schau im Palais Populaire stellt das Ehepaar 70 Werke von Christo und Jeanne-Claude zur Verfügung. Gut 30 Unikate sowie Fotografien von Wolfgang Volz sind darunter. Das Projekt Arc de Triomphe in Paris, das nun 2021 umgesetzt werden soll, ist mit einer Special Edition aus dem Jahr 1989 vertreten. Auch Werke zu nie realisierten Projekten sind zu sehen: Den Kölner Dom beispielsweise durften Christo und Jeanne-Claude nicht verpacken, die Bäume an der Pariser Prachtstraße Champs-Élysées ebenso nicht. In der Schau, die Friedhelm Hütte, Leiter der Kunstabteilung der Deutschen Bank, kuratiert hat, kann man vor diesen Werken stehen und sich überlegen, wie es wohl aussehen würde, wenn der Kölner Dom zur Abwechslung mal nicht hinter Gerüsten, sondern gleich vollständig unter einer Hülle verschwinden würde. Die Ausstellung ist eine Zeitreise, Chronologie eines Künstlerlebens und auch wie das Lebenswerk der Jochheims; immerhin zehn Prozent ihrer 700 Werke umfassenden Sammlung sind mit Christo und Jeanne-Claude gezeichnet.

Bereits vor zwei Jahren hat das Ehepaar Jochheim mit seiner Sammlung eine Schau mit Werken von Christo und Jeanne-Claude bestückt, im Mönchehaus Museum Goslar. Dort kuratierte Direktorin Bettina Ruhrberg eine Ausstellung mit 29 Unikaten. Damit schlossen sich gleich mehrere Kreise: Christo hatte 1987 den renommierten Kaiserring der Stadt Goslar erhalten. Und die Direktorin hatte er schon kennengelernt, als sie noch ein Kind war - denn ihr Vater hatte zu den Befürwortern der Reichstagsverhüllung gehört.

Die Jochheims hingegen, die in Recklinghausen ein Unternehmen für Heimtiernahrung führten, hatten zunächst wenig mit Kunst zu tun. Zur Hochzeit aber gab es ein verpacktes Objekt von Christo und Jeanne-Claude, das einst Ingrid Jochheims Vater erworben hatte. Die intensive Auseinandersetzung mit Kunst begann, als sich das Paar auf die Suche nach Dekoration fürs eigene Heim machte, damals vor 42 Jahren. "Wir redeten mit einem jungen Künstler über Malerei, Bildaufteilung, Technik und die Bezüge zur Kunstgeschichte - und waren infiziert", erzählt Ingrid Jochheim. Aus der Begegnung wurde eine Freundschaft, aus dem Interesse an Dekoration eine Kunstsammlung. Seit das Paar vor gut 15 Jahren sein Unternehmen verkauft hat, widmet es sich seiner Sammelleidenschaft - und lebt mit den Kunstwerken in seinem Haus und in der Berliner Wohnung.

Vertreten sind Nouveaux Réalistes und Pop Art - erworben, als diese Dinge zwar schon teuer, aber noch nicht unerschwinglich waren. So finden sich neben Werken von Christo und Jeanne-Claude auch welche von Robert Rauschenberg oder Jeff Koons, ebenso von Jonathan Meese und von jungen Künstlern, bei denen man noch nicht absehen kann, wohin die Reise geht. "Aber das ist uns egal", sagt Ingrid Jochheim. Vielleicht ist es die "Zukunft in Blue Chips". Wobei die Blue Chips sie gar nicht so interessieren. Die Maxime lautet: "Es muss uns gefallen, und mittlerweile entscheidet unser Sohn bei jungen Positionen mit, ob wir etwas kaufen oder nicht."

Es muss nur die Chemie stimmen - so wie sie mit Christo und Jeanne-Claude gestimmt hat. Künstler, Galeristen, andere Sammler, die Jochheims versammeln gerne alle, die Kunst lieben. Selbst das eigene Haus öffnet das Ehepaar für Führungen. Allein in den vergangenen sechs Jahren besichtigten 2000 Besucher die Werke in der Berliner Privatwohnung - so wie es amerikanische Sammler gerne tun. Zunächst hätten sie ihre Tür nur zögerlich geöffnet, wurden aber eines Besseren belehrt. "Wir haben keine einzige schlechte Erfahrung gemacht, denn alle Besucher schätzen wie wir die Kunst, und es entsteht ein wertvoller Austausch", sagt Thomas Jochheim.

Und was kaufen die beiden in Zeiten eines überhitzten Kunstmarkts? Gute Frage, findet Ingrid Jochheim, aber auch nicht so wichtig: "Wir wollen ja leben mit unserer Kunst, sie muss eine Verbindung zu uns haben."

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