Süddeutsche Zeitung

Salzburger Festspiele:Verzückung und Verzuckerung

Nur wer reinkommt, ist drin: Die Salzburger Festspiele bieten sehr viel Kunst, aber sie sind vor allem auch ein Gesellschaftsereignis.

Ch. Dössel

Da gab es neulich so einen Moment, an einem heißen Sommertag an der Uferpromenade der Salzach, als der ganze Zauber Salzburgs buchstäblich in der Luft zu liegen schien.

Von der Altstadt auf der anderen Seite des Flusses, die dalag wie ein prächtiges Barockgemälde im Sonnenlicht, wehte - vielleicht durch ein offenes Fenster in einem Probenraum - die Arie einer Opernsängerin herüber, und es war, als würden die glockenhellen Töne über die Dächer und Kirchturmspitzen tanzen, um sich nach ein paar kunstvollen Pirouetten in das pure Empfinden von Schönheit aufzulösen.

Solche Augenblicke der Verzückung machen die Magie von Salzburg zur Festspielzeit aus, auch wenn man nur über die Staatsbrücke gehen muss, um in der heillos überfüllten Getreidegasse - dort, wo Mozarts Geburtshaus dem Andrang der Massen noch immer standhält - sofort wieder das Gegenteil zu erleben: die absolute Verzuckerung. Salzburg zur Festspielzeit bietet immer beides, Zauber und Zaster, Kunst und Kommerz, Mozart und die nach ihm benannte Kugel: das Hohe und das Hohle beziehungsweise das fett Gefüllte, und oft liegt nicht mal eine Brücke dazwischen.

Warum fährt man jedes Jahr so gerne hin?

Die Übergänge sind fließend, und wer das Phänomen "Salzburger Festspiele" fassen oder auch nur beschreiben möchte, der wird sich hin und her gerissen finden zwischen den Extremen, wird sich dem Phänomen annähern müssen von verschiedenen Seiten - und ihm am Ende nolens volens dann doch erliegen. Oder warum fährt man jedes Jahr wieder so gerne hin?

Da gab es neulich so einen Moment, an einem heißen Premierenabend im ehemaligen Stadtkino "Republic", als man es wieder einmal gehasst hat, dieses Promi-Schaulaufen bei den Festspielen, das der Kunst regelrecht den Rang abläuft. Auf dem Programm stand die Uraufführung von Marius von Mayenburgs deutscher Familiengeschichte "Der Stein".

Spot an aufs Publikum

Normalerweise sind die Schauspielpremieren, gerade im kleinen, wenig feinen "Republic" oder auf der Pernerinsel in Hallein, nicht die großen Glamourevents. Das Schauspiel galt in Salzburg immer eher als "Schmuddelecke" - kein Vergleich zu den Opernpremieren im Festspielhaus, bei denen die Brillanten auf dem roten Teppich mit dem Bekanntheitsgrad der Besucher um die Wette glänzen.

Es war dies aber die Eröffnung des Regiewettbewerbs Young Directors Project (YDP), gesponsert von der Edelfüllerfirma Montblanc, und weil diese ihre special guests geladen hatte, waren bei "freier" Platzwahl nicht nur sämtliche vorderen Reihen bis weit in den Mittelgang für die Prominenz reserviert, bewacht von strengen Aufsehern. Die Aufführung begann auch mit mindestens zehn Minuten Verspätung, damit Eva Green, das James-Bond-Girl aus "Casino Royal" (in schwarzer Abendrobe mit Montblanc-Schmuck im Wert von über 1,2 Millionen Euro, wie hinterher zu lesen war), an der Seite des seinem Nachnamen stets alle Ehre machenden Clemens Schick - er spielt den Tod im "Jedermann" - einen verspäteten, eindrucksvoll getrippelten Auftritt haben konnte.

Während des Wartens rief eine austriakische Dame im glitzernden Pailletten-Top einem Bekannten im weißen Dinnerjacket in der Reihe vor ihr zu, dass sie an diesem Tag noch zum Shoppen in Düsseldorf war ("mit dem Habsburger-Flieger"), und hernach waren die Kameras ausschließlich ins Publikum gerichtet, nicht etwa auf die Schauspieler oder den Autor. Nicht nur Thomas Ostermeier, der polyglotte Intendant der koproduzierenden Berliner Schaubühne, fand das befremdlich: "So etwas kenne ich vom Festival in Avignon nicht."

Salzburg, "diese biedere, konservative Stadt"

Später, beim Montblanc-Empfang in der Galerie von Thaddaeus Ropac, trafen sich dann alle wieder: der Adel und die Adabeis. Sunnyi Melles, Iris Berben und Sonja Kirchberger posierten vor den Kameras als strahlendes Dreigestirn im kleinen Schwarzen. Corinne Flick, Anja Kruse und Sidney Picasso waren auch da, nicht zu vergessen die in Salzburg allgegenwärtige Bianca Jagger. Ach so, und die Künstler natürlich, für die es Applaus und Reden gab.

Aber obwohl man sich des flauen Eindrucks nicht erwehren konnte, dass dieser Empfang für viele der eigentliche Anlass des Abends war, stellte es sich irgendwann doch wieder ein: dieses unvermeidbare Salzburg-Feeling, das sich immer auch am Genius loci und dem Reiz der Kulisse berauscht. In diesem Fall: einer Terrasse, die hinausführt auf den nächtlichen Mirabellgarten, mit Panoramablick auf Festung und Sterne. Und im Inneren der Galerie bewegte man sich mit Sektglas und Häppchen zwischen den imposanten Werken von Anselm Kiefer aus dessen Zyklus "Maria durch ein Dornwald ging".

Überhaupt der Monsieur Ropac und seine Galerie. Seit er sie 1983 als 23-Jähriger eröffnet hat, ist er nicht mehr wegzudenken aus dem Festspielgeschehen. Zwar lebt der gebürtige Kärntner vorwiegend in Paris, wo er seit 1990 eine viel größere Galerie betreibt, die Schaltzentrale seines Erfolgs. Doch zur Festspielzeit ist Ropac regelmäßig in Salzburg. Denn nur dann gebe es "in dieser biederen, konservativen Stadt", die sich über jedes moderne Kunstwerk im öffentlichen Raum sofort mokiere, diese "Stimmung des kreativen Prozesses".

"Zu sehr mit der Yellow Press eingelassen"

Eine Stimmung, von der Ropac profitiert und zu der er selber beiträgt, indem er große Künstler und deren (potentielle) Kundschaft empfängt, für sie Karten und Essen organisiert und das genießt, was er "interessante Synergien" nennt. Ropac ist nicht nur ein Händler, sondern auch ein Vernetzer - und als Gastgeber ein Magnet. Als den "Max Reinhardt unserer Tage" bezeichnet ihn Thomas Oberender, der Schauspielchef der Festspiele, und als "einen der wenigen Kosmopoliten in dieser Stadt".

Lange Zeit hatte Ropac, der Kunstnarr mit der leisen Stimme und den guten Manieren, ein anderes Image: das des "Festspiel-Burschen, der Eliette von Karajan die Schleppe trägt", wie es der Stern 2001 in einem Porträt formulierte; eines Societylieblings, dessen Galerie in Salzburg über die happy rich and beautiful funktioniert. "Natürlich habe ich den Festspielen viel zu verdanken", sagt der 48-Jährige, der auch in seinem Büro einen gewaltigen Kiefer hängen hat, "aber die Schublade, in die ich dadurch kam, ist nicht die meine."

Er habe auch Fehler gemacht: sich zu sehr mit der Yellow Press eingelassen, die in Österreich "alles sofort hysterisiert". In Paris sei das anders, da lasse man sich nicht so leicht beeindrucken. "Da merkt man dann schon den Unterschied zu einer Stadt, die wirklich sophisticated ist."

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Anna Netrebko als Stargast herumgereicht wird und wo die Prominenz auf Touristen trifft.

Die legendären Festspiel-Empfänge in seiner Villa Emslieb gibt Ropac immer noch. Aber dezent, unter Ausschluss von Klatschpresse und Fotografen. Das kleine Schloss, in dem schon der junge Mozart Konzerte gegeben hat, dient hauptsächlich der Repräsentation und gleicht einem Museum für zeitgenössische Kunst, so übervoll ist es mit Gemälden und Skulpturen von Ropac-Künstlern wie Alex Katz, Tom Sachs oder Tony Cragg. Neulich, beim Festessen für Anselm Kiefer mit anschließender Party im Kreis illustrer Gäste (vom Direktor der Mailänder Scala bis hin zu Maximilian Schell), hat der Hausherr hier bis in die Nacht getanzt.

Schnörkellos und luxuriös

Aber nicht Walzer auf dem Parkett des Boulevards, sondern Disco-Freestyle auf dem eigens dafür angebrachten Dancefloor im traumhaft schönen, fackelgesäumten Garten. Da gab es dann mehr Pop als Pomp, und der 63-jährige Kiefer tanzte ab wie ein Dreißigjähriger. Das viel beraunte Gesellschaftsleben der Festspiele kann schon auch sehr locker und unaufgeregt sein. Aber es gilt der Satz aus Helmut Dietls "Kir Royal": Nur wer reinkommt, ist drin.

Bei den Bayreuther Festspielen sei die Kunst wichtiger als alles andere; in Salzburg alles andere wichtiger als die Kunst - das hat, sinngemäß zusammengefasst, Ioan Holender, der Direktor der Wiener Staatsoper, kürzlich im Kurier geschrieben. Daraus mag viel Wiener Neidpolemik sprechen, und wer je in der protestantischen Beamtenstadt Bayreuth gelebt hat, der weiß, dass diese schon optisch und atmosphärisch gar nicht das Zeug zum Dekadenten und Hypertrophen hat, vom strengen "Monotheismus der Wagner-Spiele" (Jürgen Flimm) mal ganz abgesehen. Das katholisch-barocke Salzburg hingegen fordert den Zierrat geradezu heraus, und weil die Stadt so klein und voll ist, vergrößert und vergröbert sich darin alles wie in einem Brennglas. Auch deshalb wirken diese Festspiele so schnörkelhaft und luxuriös.

Auf dem Laufsteg vor dem Festspielhaus: Glanz und Gloria von Thurn und Taxis. Wer die teuer aufgerüschten Herrschaften aus Politik, Kultur und Wirtschaft und die protzigen Wagenkolonnen des ubiquitären Sponsors Audi sieht, kann verstehen, was Ulrich Khuon, der Intendant des Thalia Theaters Hamburg, meint, wenn er diesem exklusiven Referenzrahmen eine "gewisse Selbstgefälligkeit" attestiert und vom "Distinktionsgewinn" der Festspiele spricht: "Man ist hier schon sehr unter sich und definiert sich über das Geld. Es lugt aus allen Fugen." Einerseits findet er diese "soziale Separierung" problematisch, andererseits, kein Zweifel, befördere sie den Anspruch und allerhöchste Qualität.

Einerseits - andererseits: Es ist diese dauernde Ambivalenz, die das Phänomen Salzburg ausmacht. Einerseits ist es schrecklich enklavenhaft und pompös. Mit geschätzten 200 Sponsoren-Empfängen und Galadiners nehmen die Gesellschaftsevents genauso viel Raum ein wie die insgesamt 202 Opern-, Konzert- und Theateraufführungen. Da sind all die Mode-, Buch- und CD-Präsentationen oder der "Schmuck-Cocktail" eines Juweliers im Schloss Fuschl (mit Caroline von Monaco) noch gar nicht mitgezählt. Andererseits: dieser künstlerische Reichtum! Diese hochkarätige Vielfalt!

Stargast Netrebko und die Medien

Salzburg zieht Musiker und Sänger von Weltklasse an - und heran. Wo ist Anna Netrebko berühmt geworden? Na, in Salzburg! Wo hatte jetzt ihre Schwangerschaftsvertretung, die junge Nino Machaidze, ihre große Chance? Hier natürlich, in Gounods "Roméo et Juliette", an der Seite von Rolando Villazón, von dem sich herausgestellt hat, dass seine Uroma und sein Großvater Österreicher waren. Was will man mehr?

Und die hochschwangere Netrebko, die es sich mit Salzburg nicht verderben will, ist ja trotzdem da: als herumgereichter Stargast bei Galas und Empfängen und als Begleiterin ihres Lebensgefährten Erwin Schrott, der den Leporello im "Don Giovanni" singt. Die Klatschspalten vermelden, die Diva folge ihrem "Lover" auf Schritt und Tritt: "Netrebko und Schrott - eine Liebe in Salzburg."

Der Salzburger Normalbürger zeigt sich angesichts des Hypes hin und her gerissen. Bei einer aktuellen Umfrage der Salzburger Nachrichten sagten 63 Prozent der Befragten, dass sie die Festspiele nicht als die ihrigen wahrnähmen, sondern als "abgehoben, etwas für die Wirtschaft, Society und Eliten" - und dass sie "gar kein" oder nur "wenig" Interesse daran hätten. Andererseits bewerteten mehr als 90 Prozent der Befragten die Qualität als "hoch", 15 Prozent sogar als "außergewöhnlich", und 73 Prozent gaben an, dass sie ja doch die Zeitungsberichte über die Festspiele läsen. Na bitte! Was wäre Salzburg auch ohne seine berühmten Festspiele?

Kartenpreise bis zu 370 Euro

Auf jeden Fall: jährlich um 94 Millionen Euro ärmer. Denn so viel Geld ließen die Festspielbesucher allein 2007 nur für Unterkunft, Verpflegung und Einkäufe in der Stadt. Einer Studie der Wirtschaftskammer Salzburg zufolge bleibt der durchschnittliche Festspielgast sieben Tage und gibt an jedem dieser Tage 297 Euro aus - hinzukommen die Festspielkarten, für die er noch einmal 600 Euro berappt. Insgesamt erbrächten die Festspiele der Stadt "gesamtwirtschaftliche Effekte" von 227 Millionen Euro. Gewaltig.

Die öffentliche Subvention von 13 Millionen Euro nimmt sich dagegen mickrig aus, zumal, wie Intendant Jürgen Flimm nicht müde wird, zu betonen, "wir unheimlich viel selber einnehmen müssen: 75 Prozent unseres Gesamtetats von 50 Millionen. Das gibt's nirgendwo sonst auf der Welt".

Jürgen Flimm raucht Marlboro, hat kleine, müde Augen und sieht aus wie ein alter Haudegen, der schon tausend Schlachten geschlagen hat und es nicht mehr hören kann, wenn man ihn nach dem Spagat von Kunst und Kulinarik fragt. Er verweist auf sein dickes Programm aus Konzerten, Lesungen, Jugendveranstaltungen, Diskussionen und sagt, die Salzburger Festspiele seien längst nicht mehr der "closed shop", der sie einmal waren: "Das ist viel öffentlicher und breiter geworden.

Beim Franz wird niemand ausgeschlossen

Wir haben letztes Jahr 235000 Karten verkauft. Das ist enorm." Wenn der erste Premierenreigen "verrauscht" sei, dann käme hier "ein ganz normales und auch sehr sachverständiges Publikum". Klar, die Kartenpreise von bis zu 370 Euro seien hoch, "aber das geht auch schnell runter auf 50 bis 80 Euro, und das können sich viele leisten". Außerdem, das sagt Flimm auch noch, sei das Glamourpublikum ja nicht dumm: "Die haben Geld, aber die sind deshalb nicht blöd."

Er selbst sitzt dann aber doch lieber im gemütlichen "Triangel" statt bei den Exklusivrunden im "Goldenen Hirschen" oder im "Hangar 7", weil das "Triangel" so etwas wie die inoffizielle Kantine der Festspielkünstler und einfach eine wunderbare Wirtschaft ist. Hier sitzen sie alle, von der Netrebko bis hin zur "Jedermann"-Crew, und es spricht für Franz Gensbichler, den allseits beliebten Wirt, dass er niemanden ausschließt, weder Einheimische noch Touristen.

Ein Mittagessen kriegt man "beim Franz" für 4,90 Euro, er macht da keine Festspielpreise. Das Einzige, was er auf der Speisekarte ändert: Er widmet die Gerichte den Künstlern. Die "Miesmuscheln mit Knoblauchbrot" sind heuer nach Andrea Breth benannt, und das Rindersaftgulasch kommt à la Christian Stückl. "Luxus tötet Liebe", heißt Franz' Devise, und im Übrigen findet er, "dass Festspiele was ganz Normales sind". Wenn man bei ihm im "Triangel" sitzt, dann glaubt man das sogar.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2008/sst
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