Klassik:Schatten im Licht

Salzburger Festspiele 2021 - keine Honorarpflicht bei aktueller Berichterstattung

Dirigent Teodor Currentzis wurde über Salzburg zum Weltstar.

(Foto: Astrid Ackermann)

Teodor Currentzis dirigiert in Salzburg die beiden letzten Symphonien Mozarts. Das macht er in bekannter Raserei. Interessanter aber ist etwas anderes.

Von Egbert Tholl, Salzburg

Offenbar ist dies die vorherrschende Publikumstemperatur bei den diesjährigen Salzburger Festspielen: haltlose Begeisterung. Dirigiert Teodor Currentzis sein Orchester "musicAeterna", ist dies fast so etwas wie eine self-fulfilling prophecy. Letztlich wurde der Dirigent über Salzburg zum Weltstar, und dass er eine oft sehr eigenwillige Auffassung von den von ihm dirigierten Werken hat, führte zwar anfangs zu gewissen Irritationen, die aber längst überwunden sind. Die Leute gieren danach zu erleben, was er sich wieder einfallen lässt.

Currentzis wird nicht müde, dem Klassikbetrieb ein neues Hören beizubringen

Dabei ist dieses Konzert im großen Festspielhaus recht lapidar angekündigt, die beiden letzten Symphonien Mozarts sollen es sein, die g-Moll KV 550 und die C-Dur KV 551, absolutes Kernrepertoire jenes Klassikbetriebs, dem Currentzis nicht müde wird, ein neues Hören beizubringen. Gemessen an dem, was Currentzis hier in Salzburg schon mit Mozarts Opern veranstaltet hat, wie er deren Faktur aufbrach, andere Stücke von Mozart hineinschob, Experimente mit dem Hammerklavier durchführte, könnte man nach diesem Konzert jedoch konstatieren, es habe kaum besondere Vorkommnisse gegeben. Es war einfach nur ein mitreißendes Konzert.

Was auch nicht weiter verblüffend ist, wenn dieses mit der C-Dur-, der sogenannten "Jupiter"-Symphonie, zu Ende geht. Denn in deren Schlusssatz kann Currentzis all das ausleben, was ihn und die "musicAeterna" auszeichnet: den unabdingbaren Furor des Musizierens. Wie immer sehr profund von den Bässen und den Pauken vorangetrieben ist dies die Demonstration einer Raserei am Rande des Möglichen, durchgestaltet mit einer wogenden Dynamik, aber doch auch befallen von leichten Abnützungserscheinungen. Das sehr gut gebaute Toben wird ein bisschen zu einem Zustand, wirkt nicht mehr absolut zwingend.

Nach der Arie kann man sehr gut von den Sitzen springen. Weinen muss man nicht

Als Zugabe singt danach Nadezhda Pavlova die Arie "Non mi dir" der Donna Anna aus Mozarts "Don Giovanni". Pavlova ist die Anna in der diesjährigen Neuproduktion dieser Oper, welche von Currentzis geleitet wird. Nun singt sie die Arie mit allergrößter Zartheit, mit einer inbrünstigen Verlorenheit im Pianissimo, aber auch mit äußerster virtuoser Klasse. Perfekt führt sie Donna Annas Liebesklage vor. Danach kann man sehr gut von den Sitzen springen und begeistert sein. Weinen muss man nicht.

Viel interessanter als das Ende sind die Anfänge der beiden Konzerthälften. Es beginnt mit dem Chor und dem Sopransolo aus Mozarts dann doch eher selten zu hörender Kantate "Davide penitente", einer Vertonung von Psalmen Davids, ein Flehen: "Die klagende Stimme erhob ich, von Bösem erdrückt." Die Klage entsteht aus dem Nichts, die Musik setzt an der Schwelle der Wahrnehmbarkeit ein, und Currentzis modelliert wie ein bildender Künstler mit seinen Händen aus Orchester und dem "musicAeterna"-Chor in jedem Detail einen Klangkörper wie ein Individuum. Das hat wirklich etwas von Erschaffung einer Klangwelt, in die sich auch Pavlova organisch einfügt. Der direkte Übergang zur g-Moll-Symphonie, die ja grundsätzlich und hier ganz besonders tastend, verschattet, schüchtern beginnt, ist dann umwerfend, zwingend.

Und auch ein bisschen inszeniert. Pavlova bleibt vorne sitzen und hört sich die ganze Symphonie an, der Chor bleibt bis zum Ende des ersten Satzes stehen. Currentzis steht fast zwischen den Musikerinnen und Musikern, geht manchmal noch tiefer hinein in diesen mit ihm verschworenen Haufen, der ja auch stehend musiziert, die Geigen und Bratschen, ein ganz enges Miteinander, das Currentzis antreibt, manchmal auch einfach, indem er so wirkt, als lausche er nur noch versonnen.

Die Kantate ebenso wie die "Maurerische Trauermusik", die im zweiten Teil der "Jupiter"-Symphonie vorangestellt ist und die Currentzis vor ein paar Jahren hier in Salzburg reichlich genial in seine Interpretation von Mozarts "Titus"-Oper eingebaut hatte, sind nicht einfach Ouvertüren, um den Chor zu beschäftigen und auf einen abendfüllende Konzertlänge zu kommen. Die beiden Stücke legen Fährten, denen Currentzis in den Symphonien nachgeht. Selbst in die C-Dur-Symphonie dringen so Schatten ein, strahlt, bis auf den Schlusssatz, die Musik keineswegs in nur heiterer Freude, die g-Moll wird in Gänze zu einem poetischen Grübeln. Das ist viel mehr als die Aufführung zweier sattsam bekannter Symphonien, das ist ein Gesamterlebnis.

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