Salzburger Festspiele:Ganz große Geste

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Bis jetzt hatte Riccardo Muti "zu große Ehrfurcht" vor der Missa solemnis. In Salzburg kann er es unter besten Bedingungen versuchen. (Foto: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli)

Riccardo Muti dirigiert in Salzburg zum ersten Mal Beethovens "Missa solemnis".

Von Michael Stallknecht

Es ist ein einsamer Rekord: Seit fünfzig Jahren ist Riccardo Muti - mit Ausnahme eines einzigen - jährlich bei den Salzburger Festspielen zu erleben, 270 Aufführungen hat er dort dirigiert. Nur an eines der kanonischen Hauptwerke hat sich der italienische Maestro, der kürzlich seinen achtzigsten Geburtstag feierte, bislang nie herangetraut, weder in Salzburg noch andernorts: Ludwig van Beethovens Missa solemnis. Doch selbst viel gesuchte Dirigenten hatten in den vergangenen Monaten Zeit zur Sichtung ihrer Bestände - und Muti nutzte diese, um erneut zu studieren, was Beethoven selbst sein "größtes Werk" nannte und wovor Muti laut eigener Aussage bis jetzt "zu große Ehrfurcht" hatte.

Sie zu überwinden, hat er im Großen Festspielhaus in Salzburg selbstverständlich die besten Voraussetzungen bekommen. Zum einen mit der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und den Wiener Philharmonikern, die ihn als Dirigenten lieben, zum anderen mit den von ihm selbst verlesenen Solisten: Rosa Feola begegnet Beethovens teilweise abstrusen Sopranhöhenforderungen mit technischer Raffinesse, auch der Tenor Dmitry Korchak ist um edel gerundete Durchschlagskraft nicht verlegen. Alisa Kolosova bringt eine weich konturierte Altstimme ein, nur der Bass Ildar Abdrazakov klingt seltsam mulmig und unklar - womit sich leider auch der Eindruck der gesamten Aufführung umreißen lässt. Denn Mutis Blick auf Beethoven bleibt enttäuschend schematisch, klanglich undifferenziert, im Zusammenspiel des Ensembles oft auch schlicht unpräzise.

Beethovens "größtes Werk" muss nicht klingen wie ein religiös verzückter Elefant

Daran mag die Ehrfurcht durchaus ihren Anteil haben. Denn was Muti sucht, ist die ganz große Geste. Wer aber Pathos anstrebt, wird in der Missa solemnis schnell fündig. Wo sich Haydn oder Mozart noch elegant durch das altbekannte Messformular der katholischen Kirche wanden, suchte Beethoven die persönliche Bekräftigung des Textes und steigerte deshalb viele tradierte Floskeln für dessen Vertonung ins Monumentale. Das erzeugt eine latent manichäische Kontrastdramaturgie zwischen himmelstürmender Ekstase und flehender Innigkeit, auf die sich Muti vollständig verlässt: In den großen Ausbrüchen tost und tobt die Aufführung ohne Rücksicht auf Binnenstrukturierung und Klangstaffelung, wozu der Wiener Staatsopernchor die entsprechend opernhaften Effekte beisteuert.

Kaum dagegen verfügt er über eine oratorienhaft schlanke Stimmführung, mit denen sich etwa die großen Fugen im "Gloria" und "Credo" erhellen ließen, die hier als bloße Klangwolken daherkommen. Den innigen Stellen dagegen sucht Muti Gewicht zu verleihen, indem er das Piano in langsamen Tempi geradezu zelebriert, ohne den Phrasen dabei ein Ziel zu geben, instrumentale Stimmen ineinander greifen zu lassen. Das erzeugt eine bleierne Blockhaftigkeit. Es fehlt an Übergängen, auch an Momenten einer heiteren Glaubensgewissheit, wie sie Beethoven etwa am Ende des "Credo" oder des "Agnus Dei" erreicht. Wie man die monumentale Architektur verflüssigen, sie zum Schwingen bringen kann, hat zuletzt der Dirigent René Jacobs in seiner grandiosen Neuaufnahme mit dem Freiburger Barockorchester gezeigt. Der Vergleich mit Muti mag unfair sein, da dieser als bekennender Traditionalist der historischen Aufführungspraxis denkbar fernsteht. Doch auch in einem traditionellen Zugang muss Beethovens "größtes Werk" nicht klingen wie ein religiös verzückter Elefant, der sich abwechselnd trompetend aufbäumt und winselnd auf den Bauch wirft.

Sondern zum Beispiel so, wie Rainer Honeck, der Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, das große Violinsolo im "Benedictus" spielt: mit glühendem Vibrato, aber fein durchgeformter Phrasierung und reicher dynamischer Schattierung. Da entsteht mindestens momenthaft das freie, himmlisch leichte Schweben, zu dem sich Beethoven durchaus aufschwingen kann - der Dirigent dieser Aufführung allerdings nicht.

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