Salzburger Festspiele:Fingerflink und kraftvoll lyrisch

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(Foto: SF / Marco Borrelli)

Matthias Goerne und Jan Lisiecki bieten einen Beethoven-Liederabend, wie man ihn lange nicht gehört hat.

Von Helmut Mauró

Ein Beethoven-Liederabend, wie man ihn lange nicht gehört hat. Weil es generell sehr selten Konzertabende mit Beethoven-Liedern gibt. Das Jubiläumsjahr des Komponisten kollidierte nun synästhetisch mit dem der Salzburger Festspiele, sodass im Haus für Mozart eine solch seltene Gelegenheit zwingend herbeigeführt wurde.

Matthias Goerne, begleitet von dem jungen kanadischen Pianisten Jan Lisiecki, hat das Programm mit Liedern nach Gedichten von Gellert, Goethe, Tiedge, Jeitteles und anderen bereits auf CD eingesungen. Im Live-Konzert klingt aber dann doch vieles ganz anders, lebendiger, beseelter, manchmal auch manierierter. Das ist aber eher selten. Goerne stellt zwar gerne und ausgreifend dar, mit ganzem Körpereinsatz sozusagen, aber er spielt sich dabei auch selber, freut sich an dieser Bühnenrolle, die er für sich selber erfunden hat. Insofern wirkt vieles authentischer als es sollte und ist, ermöglicht aber auch pathetische Zustände, die man sich von wenigen Sängern in so intimer Atmosphäre wie der eines Liederabends vorstellen kann. Goerne ist da unbefangen, ja geradezu wagemutig und verschwenderisch.

Sein Bariton ist noch immer stimmgewaltig, nur in der Höhe folgen die Stimmbänder nicht immer dem Willen des Sängers, und manchmal geraten schleifende Ansätze und Übergänge zu Rutschpartien. Das meiste davon geht aber unter im Gefühlsgetöse und leidenschaftlichem Überschwang, und es ist eher erstaunlich, wie Goerne und Lisiecki hierbei Maß halten, sodass über die stimmtechnische und klavieristische Finesse hinaus immer der Eindruck vorherrscht, alles entsteht unmittelbar aus der Musik, aus dem Textsinn, aus der Begriffsgeste und dem Musiksinn heraus. Denn mehr als um Inhalte geht es tatsächlich um Gesten, Formen, Gebilde, Gestalten.

Dabei arbeiten Goerne und Lisiecki quasi Hand in Hand, der Pianist agiert mitunter recht ungestüm und im Tempo fast ein bisschen zu flexibel. Da müsste er dem Sänger Paroli bieten mit einem sicheren Zeitmaß. So wie die Veranstalter dem Hörer ein Programmheft mit Liedtexten hätten bieten müssen. Man will dann doch wissen, was da auf er Bühne so großspurig verhandelt wird, wie eng Inhalte und Formen zusammenhängen oder sich voneinander fortentwickeln. Denn dass es um Großes geht, vermitteln beide Musiker nachdrücklich. Goerne immer unter Hochspannung, Lisiecki immer fingerflink und geistesgegenwärtig. Das Besondere dabei: Die Dauerspannung geht einher mit einem Grad an ruhiger Souveränität, der gleichsam die zerbrechliche Vor-Entwicklung mit erinnert. So ist auch Lautstärke immer Intensität, nie Überrumpelung, Nötigung, Wirkungs-Erpressung. Es ist also paradoxerweise ein nach innen gerichteter Ausdruck, der sich selbst ermächtigend über die brisante Frage nach Authentizität kühn erhebt und sie entmachtet. Goernes Stimme repräsentiert genau diese fruchtbaren Widersprüche, sie ist kraftvoll lyrisch, entschlossen poetisch. Eine Stimme beinahe für alles, die aber nie beliebig klingt, sondern immer persönlich dringlich.

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Bewundernswert, dass Goerne dabei kaum je ins Schmierentheatralische abrutscht, vielmehr die Kraftfelder und -linien der Komposition zu erspüren scheint und sich von diesen leiten lässt. So entgeht er der Banalität des anachronistisch Pathetischen, dem aus der Zeit gefallenen "hohen Ton", wie man das mal nannte. Das Salzburger Publikum geriet beinahe aus dem Häuschen.

© SZ vom 22.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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