Süddeutsche Zeitung

Salzburger Festspiele:Küss mich, wenn du magst

Hauptsache, Kunsttourismus! Die Salzburger Festspiele finden im Sommer tatsächlich statt - in abgespeckter Form und dank wundersamer Vorgaben. Die lesen sich wie eine Anleitung zu einem Ischgl-Inferno II.

Von Reinhard J. Brembeck

Ja, die Salzburger Festspiele werden dieses Jahr als eines der wenigen Festivals überhaupt stattfinden. Allerdings auf den August verkürzt und von 200 auf 90 Vorstellungen geschrumpft, mit höchstens 1000 Zuschauern pro Show. Das Programm wird bald bekannt gegeben. Interessanter als diese Nur-zum-Teil-Absage sind die politischen Vorgaben, die dieses Wunder von Salzburg ermöglichen. Die Maßgaben lesen sich wie eine Bastelanleitung zu einem Ischgl-Inferno II. Österreichs Gesundheitsminister Rudolf Anschober und die mächtige Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer haben für die Kunst das weltweit als heilsbringend eingestufte Mindestabstandsmantra modifiziert, um nicht zu sagen: gekippt. Damit die Auditorien mindestens halb voll werden, soll eine schachbrettartige Besetzung mit nur einem freien Platz zwischen den Zuschauern genügen. Ist der freie Platz, wie in Theatern üblich, weniger als einen Meter breit, muss das Publikum Masken tragen. Auf der Bühne darf es noch näher und lockerer zugehen. Kulturstaatssekretärin Mayer setzt auf die Eigenverantwortung der Kunstmacher. Wenn der Regisseur einen Kuss will, mögen die Ausführenden eigenverantwortlich entscheiden, ob sie sich küssen wollen oder nicht. Ein bisschen mehr Demokratie kann im noch immer von Männern beherrschten Theater schließlich nicht schaden. Zur Kenntnisnahme: Gerade hat in Frankfurt eine religiöse Sangesrunde, zugegeben kein Profichor, eine Massenansteckung ausgelöst.

Pausen und Büffets werden selbstredend zugelassen, deutsche Häuser sind da bei ihren zögerlichen Neustarts deutlich eingeschränkter. Die Vorstellung, dass sich in den engen Altstadtgassen Salzburgs und vor den drei Festspielhäusern mit in ihren beengten Eingängen bald wieder Menschentrauben ballen, wirkt wie ein Kapitel aus der Apokalypse. Österreich hat eine sehr niedrige Ansteckungsquote und sehr viel weniger Seuchenopfer als die meisten anderen Staaten. Vor allem aber dürfte der Kunsttourismus im Mittelpunkt der Entscheidungen stehen, der ist für Salzburg finanzessenziell. So schnell, wie der Shutdown vollzogen wurde, so schnell ist der Seuchenspuk jetzt vergessen. Möge die nach Kunst lechzende Welt also kommen und das so glückliche wie wundersame Österreich bestaunen! Jetzt muss sich nur noch das Virus kooperativ zeigen.

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Quelle:
SZ vom 27.05.2020
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