Süddeutsche Zeitung

Salzburger Festspiele:Ein Bühnengedicht

"Der Meine wollte mich verkaufen / und's Geld versaufen": Jossi Wieler inszeniert bei den Salzburger Festspielen "Das Bergwerk zu Falun" nach Hugo von Hofmannsthal.

Von Egbert Tholl, Salzburg

Es kracht gewaltig im Salzburger Landestheater. Ein Stück Putz fällt herab vom Portal. Es staubt. Scheu öffnet sich der Vorhang, man blickt auf ein Trümmerfeld aus Betonhohlsteinen, von der Seite kommt der Schauspieler André Jung. Er sieht sich die Zerstörung lange an, nimmt einen herabgestürzten Scheinwerfer zur Hand, der funktioniert nicht, er wirft ihn weg. Jung wirkt für einen Moment wie der Hausmeister des Theaters, aber er ist der Geist der Aufführung, die eine Aufführung zu nennen fast zu prosaisch ist. Denn der Regisseur Jossi Wieler erfindet mit Hugo von Hofmannsthals "Das Bergwerk zu Falun" ein Bühnengedicht, das man nur bei den Salzburger Festspielen erleben kann.

Es war eine sehr gute Idee von Jossi Wieler, dass er 2018 die Leitung der Stuttgarter Staatsoper abgab. Vielleicht nicht unbedingt gut für die Staatsoper, aber fürs Theater. Wieler, der am Tag vor der Salzburger Premiere seinen 70. Geburtstag feierte, war Hausregisseur in Basel, am Schauspielhaus Hamburg, an den Münchner Kammerspielen, hatte auch schon einige Opern inszeniert, bevor er 2011 die Stuttgarter Oper übernahm. Vier seiner Inszenierungen wurden zum Theatertreffen eingeladen, wiederholt wurden seine Arbeiten in den Umfragen von Theater heute und der Zeitschrift Opernwelt zu den Aufführungen des Jahres gekürt. Und nun, befreit von der Last der Intendanz, kann er auch wieder das machen, wofür die Zeit fehlte: Sprechtheater.

Im Herbst vergangenen Jahres gab er sein Debüt am Deutschen Theater Berlin mit Peter Handkes "Zdeněk Adamec", er inszenierte einige Texte von Elfriede Jelinek, die auch einen mäandernden Essay fürs Programmheft schrieb, er widmete sich so wundersam surrealen Texten wie Leonora Carringtons "Fest des Lamms". Wieler würde nie ein Stück auf die Bühne bringen, das man einfach so runterinszenieren kann. Er liebt das Suchen, das Ungewisse, die innere Welt hinter den Worten. Und hier trifft er sich mit Hofmannsthal.

Die Dramaturgin Marion Tiedtke nahm sich den Text vor und schmiss die Hälfte raus

Die bekannteste Version der "Falun"-Geschichte stammt von E.T.A. Hoffmann und ist 80 Jahre älter als Hofmannsthals Stück. Der schrieb es mit guter Kenntnis von Hoffmanns Erzählung 1899, arbeitete danach noch länger daran; erschienen ist es erst posthum, uraufgeführt wurde es noch später, 1949 in Konstanz, viele Aufführungen kamen danach nicht mehr. Es ist lang, es ist durchaus verworren, es feiert das Gegenbild zu einer Realität, die durchrationalisiert und befreit von Geheimnissen ist. Und es ist gereimt, nicht immer glückhaft. Klage einer Witwe: "Der Meine wollte mich verkaufen / und's Geld versaufen / da bin ich fortgelaufen."

Die Dramaturgin Marion Tiedtke nahm sich den Text vor, schmiss die Hälfte raus und tat ein Märchen von Johann Peter Hebel hinein, das um denselben Stoff kreist und 1811 erschien. Darin beschreibt Hebel das Vergehen von Zeit anhand einer Kette historischer Ereignisse, mit vielen Herrschern und vielen Kriegen, siebenjährig oder länger, Napoleon oder Maria Theresia. In der Aufführung dehnt die einzigartige Hildegard Schmahl die Aufzählung weiter, Weltkriege, Hitler, eine kreisrunde Litanei.

Darum geht's: Der Seemann Elis kehrt von einer Ostindienfahrt heim, findet seine Mutter tot, ist nun allein auf der Welt und dieser müde. Der alte Torbern - der wundervolle Geist André Jung - verheißt ihm ein Glück im Bergbau, und unterhalb der Welt trifft Elis auf die Bergkönigin und den Jüngling Agmahd, mit dem er einst verbunden war, als wären sie "Brautleute", der jedoch auf See starb. Oben, in Falun, liebt Anna den Elis, ihr Vater, Pehrson Dahlsjö, für den Elis in den Berg geht, will die beiden verheiraten, doch da ist ein Sehnen und Zehren in Elis, der noch einmal hinab will in der Königin Reich, wo man die Zeit nicht kennt. Elis kehrt nicht wieder, der untote Torbern kann endlich sterben. In der Geschichte wird nach 50 Jahren der nicht verweste Leichnam Elis' entdeckt, und die nun alte Anna stirbt über diesen; in der Aufführung schließt sich hinter Lea Ruckpaul der Vorhang, Anna bleibt allein zurück.

Die Figuren erwachen aus den Trümmern und dem Staub und finden zueinander in wechselnden Begegnungen

Jossi Wieler hat ein Ensemble aus sechs Darstellerinnen und Darstellern zusammenkomponiert, die bei aller Individualität vereint sind im herrlichen Umgang mit dieser vordergründig aus der Zeit gefallenen Sprache, die sie durchaus ausstellen, vortragen, mit genau so viel Manierismus versehen, dass sie klingt und singt. Gemeinsam sind sie damit beschäftigt, aus den Trümmern eine Welt zu bauen, die Drehscheibe kreist, ein Mauerring entsteht, den Torbern am Ende wieder einreißt. Musik (Lars Wittershagen) weht von Ferne heran, doch eigentlich sind die Worte die Musik.

Aus den Trümmern und dem Staub erwachen am Anfang die Figuren, finden zueinander in wechselnden Begegnungen, Elis trifft auf Ilsebill, mit der es mal eine Zeit zusammen gab, und Hildegard Schmahl verwandelt sich irritierend verführerisch in eine junge Frau. Edmund Telgenkämper spielt erst einen Fischer und dann den Dahlsjö, also die am ehesten der Realität zugewandten Figuren, aber auch er durchleuchtet diese mit einer tastenden, aufregenden Skepsis im Sprechen. Sylvana Krappatsch ist die Bergkönigin und die Erscheinung des Knaben Agmahd, wesenhaft kaum zu fassen, Verheißung, Verwünschung.

Und dann ist da die Liebe. Die Liebe von Anna zu Elis, von diesem von Lea Ruckpaul mit berückender Klarheit gespielten Mädchen, das eine Poesie hat ohne jedes Raunen. Eigentlich wäre sie der Kristall, den Elis im Berg sucht, aber das kapiert er kaum, weil schon bei Hoffmann die Menschen immer an dem Ort sind, an den sie nicht gehören, und woanders sein wollen, was sie aber nicht finden, weil es das Woanders gar nicht in der Realität gibt.

So, wie Marcel Kohler den Elis spielt, hat man auch nicht viel Vertrauen darauf, dass der ein Glück finden kann. Kohler ist riesengroß und äußerst zart. Ein bisschen muss man bei ihm an Robert Smith denken, den Sänger der Band The Cure, großer, dunkler Engel auch er. Kohler ist gerade 30 Jahre alt und trägt schon so viel in sich. Er kann ein Sehnen spielen, und wenn er einmal Lea Ruckpaul von hinten umarmt, sie umklammert und überwölbt, da wird sie noch zierlicher und er noch größer, und er ist wie ein großer Alb, der nicht halten kann, was er halten will. Und das ist dann auch eine Erklärung von Welt, die man empfinden, nicht analysieren muss.

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