Süddeutsche Zeitung

Salzburger Festspiele: "Jedermann":Die Rocky Horror Gothic Show

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Im Abenddunkel kann man's nun krachen lassen: Bei den Salzburger Festspielen bleibt der "Jedermann" ein Ereignis, aus dem Regisseur Christian Stückl so viel Theater und Komik herausgeholt hat wie möglich. Ein paar schöne Details sind hinzugekommen.

Christine Dössel

Die Kirche hätte ein Problem weniger, drängelte sich vor ihren Pforten regelmäßig eine solch erwartungsfrohe Menschenmasse wie vor dem Salzburger Dom bei der Eröffnung der Festspiele mit Hugo von Hofmannsthals "Jedermann". Das unsterbliche "Spiel vom Sterben des reichen Mannes" bildete auch am Mittwoch wieder ein Must-Have im Event-Kalender der Salzburger Festspiele. Der Jubel am Ende gilt immer auch dem Ereignis als solchen: Es ist wieder Festspielzeit, und wir sind dabei.

Große Neuigkeiten sind vom diesjährigen "Jedermann" nicht zu vermelden. Die Besetzung ist nahezu unverändert die vom Vorjahr, als Nicholas Ofczarek die Titelrolle und Birgit Minichmayr im orangeroten Kleid die Buhlschaft übernahm. Das Wetter hat gehalten, so dass die Premiere entgegen anderslautender Prognosen auf dem Domplatz stattfinden konnte - das ist in diesem Sommer schon eine Meldung.

Und wer den "Jedermann" bisher nur bei Sonnenlicht oder bei Regen drinnen im Festspielhaus gesehen hat, wird ihn durch die Verlegung in die Abendstunden nicht nur lichtdramaturgisch neu in den Blick nehmen. Vier Vorstellungen von insgesamt zwölf finden am Abend statt, das hat Regisseur Christian Stückl durchgesetzt, und er nutzt das Dunkel, um es vor dem Dom pyrotechnisch effektvoll krachen zu lassen.

Es ist dies ein weiterer Schritt auf dem Weg der Theatralisierung, Professionalisierung und Psychologisierung des überkommenen Katholikenspiels, den Stückl seit 2002 konsequent geht. Er ist auf diesem Weg sehr weit gekommen, hat mit dem hehren Bekehrungspathos respektvoll aufgeräumt, ganze Textpassagen umgeschichtet, Figuren klug gestrichen oder zusammengelegt, aus dem Stück so viel (Volks-)Theater und Komik herausgeholt wie möglich und ein paar schöne Details hinzuerfunden.

Und obwohl das alles rattert wie geschmiert, vom Einsatz der wunderbaren Riederinger Kindermusikantentruppe über die Rocky Horror Gothic Freakshow der Tischgesellschaft bis hin zum mephistophelisch-saftigen Auftritt von Peter Jordans Bilderbuchteufel, der den Text des "Glaubens" gleich mitspricht - machen sich doch Längen und Schwächen bemerkbar.

Birgit Minichmayr erweckt den Eindruck, als wolle sie gar nicht erst groß was damit zu tun haben. So distanziert hat man die sonst so Gewaltige lange nicht spielen gesehen. Kühl kalkulierend weiß diese moderne, sich erotisch keineswegs verausgabende Buhlschaft sehr genau, wann es an der Zeit für einen Rückzieher ist.

Nicholas Ofczarek ist ein arroganter Brutalo-Jedermann aus der Yuppie-Schicht, der gerne handgreiflich wird und sich auch sonst als veritables Arschloch geriert. Ofczarek kann so etwas vortrefflich, aber auch die Wandlung zum wimmernden Menschenwurm gelingt ihm mit durchaus eindringlicher Präsenz. Neu im Ensemble ist nur Lina Beckmann vom Schauspiel Köln in der Rolle der "Guten Werke". Wie sie als treudoof-fröhliches Aschenputtel dem Jedermann die Augen und irgendwie auch sein Herz öffnet, ist zwar arg lieslhaft. Beim Applaus aber wurde sie stürmisch bedacht.

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Quelle:
SZ vom 29.07.2011
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