Salzburger Festspiele:In der Höhe hinreißend

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Oberflächenglamour im richtigen Maß: Regula Mühlemann als Händels Bellezza.

(Foto: Monika Rittershaus, Salzburger Festspiele)

In Salzburg wird Händels Oratorium "Il trionfo del tempo e del disinganno" wieder aufgeführt - in einer absolut stimmigen Inszenierung.

Von Michael Stallknecht

Die Melodie war ein Hit, und Georg Friedrich Händel wusste es. Gefunden hat er sie für seine allererste Oper in Hamburg, und er verwendete sie deshalb an entscheidenden Schnittstellen seines Werkes wieder, bis sie mit dem Text aus "Rinaldo", seiner ersten Oper für London, weltberühmt wurde und bis heute immer wieder gecovert wird: "Lascia ch'io pianga". "Lascia la spina, cogli la rosa" lauten die Worte im Oratorium "Il Trionfo del Tempo e del Disinganno", mit dem sich der gerade mal 22-jährige Händel in Rom die Aufmerksamkeit höchster Kirchen- und Gesellschaftskreise sicherte. Bei den Salzburger Festspielen verschafft sie nun der geborenen Römerin Cecilia Bartoli einen der Momente, mit denen die Mezzosopranistin das Publikum von jeher dazu bringen konnte, den Atem anzuhalten: indem sie die mehrfach wiederholte Melodie in ein immer feineres Piano zurücknimmt, bis sie nur noch auf einem fil di voce, als silberner Stimmfaden, von einsamer Zärtlichkeit durch das Salzburger Haus für Mozart schwebt.

La Bartoli bereitet eben, was der Name ihrer allegorischen Figur verheißt: piacere - Vergnügen. Dass sie damit in der Handlung des in Salzburg szenisch realisierten Oratoriums nicht gewinnen kann, liegt am Libretto aus der Hand eines veritablen römischen Kardinals. Bei Benedetto Pamphili triumphieren titel- und pflichtgemäß Tempo, die Zeit, und Disinganno, die Enttäuschung im Sinne von Erkenntnis, indem sie die im Mittelpunkt stehende Allegorie der Schönheit von der Vergänglichkeit aller irdischen Vergnügungen überzeugen. In der bereits bei den Salzburger Pfingstfestspielen herausgekommenen und nun von den Sommerfestspielen wiederaufgenommenen Inszenierung übersetzt der Regisseur Robert Carsen das in den Oberflächenglamour gegenwärtiger Castingshows: Unter allgegenwärtigen Kameraaugen wird Bellezza als "the world's next topmodel" aus einer Tänzertruppe von gutaussehenden, feiernden, knutschenden jungen Menschen erwählt. Solche Bilder könnten schnell peinlich werden, wenn Carsen sie nicht mit seinem feinen Sinn für eine klare, zurückgenommene Ästhetik auszubalancieren wüsste. In der Ausstattung von Gideon Davey weichen die äußerlichen Augen der Kamera zunehmend Spiegeln, in denen nicht nur Bellezza, sondern auch das gern auf Oberflächenglanz gebürstete Salzburger Publikum seiner selbst ansichtig wird. Mindestens die Schönheit gelangt dabei zur Selbsterkenntnis, wenn sie sich im Spiegel zunächst als Kind, dann als künftige alte Frau begegnet. Sie kommt - so will es der Text - überhaupt erst zu sich selbst, indem sie allem diesseitigen Oberflächenglanz entsagt und ihre Vervollkommnung in der ewigen Schönheit der jenseitigen Welt findet.

Am Ende begleitet eine Solovioline die Schönheit auf ihrem letzten Weg zu sich selbst

Die Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann hat in der Wiederaufnahme die Rolle der Bellezza übernommen, die sie in fein verästelten Abstufungen und Phrasierungen durchgestaltet. Der Glockenklang ihrer Stimme in der Höhe ist hinreißend, als ganze aber liegt die Partie ziemlich tief für sie, was sie im Farbspektrum deutlich einschränkt. Der Rest der Besetzung agiert nun merklich entspannter als in der unmittelbar auf den Lockdown folgenden Premiere, selbst Cecilia Bartoli, die ihre Rolle als Businesslady eines modernen Oberflächlichkeitskults inzwischen noch konsequenter aus dem Text entwickelt. Der Tenor Charles Workman bleibt eine ideale Verkörperung der hier als weltgewandter Pfarrer daherkommenden Allegorie der Zeit, weil seine eher geraden, in der Höhe warmen Töne auch akustisch den pastoralen Ton treffen. Zaubermomente gelingen dem Countertenor Lawrence Zazzo, indem er Phrasen lustvoll ausziseliert, Verzierungen und Vokalfarben fast schon liebkost, sodass sich die intellektuellen Freuden des Disinganno als sinnlich erfahrbar erweisen.

Schließlich hat der junge Händel zu dem moralfreudigen, in seiner Dynamik absehbaren Libretto Musik von oft besonderer Zärtlichkeit komponiert. Der Dirigent Gianluca Capuano gibt ihr die Zeit, die sie zur Entfaltung braucht, bringt Les Musiciens du Prince-Monaco aber bei Bedarf auch dazu, im Orchestergraben mit Verve und Drive aufzuspielen. Farbenreich entwickelt er die Musik als barocke Affektrhetorik, staffelt geschickt die Dynamik in den einzelnen Nummern wie über die Gesamtdauer von zweieinhalb Stunden hinweg (denen eine Erholungspause fürs Publikum durchaus nicht geschadet hätte). Noch mehr solistischen Glanz könnten freilich die vielen Passagen für Soloviolinen und -oboen entfalten, die Händel in der eher kleinen Orchesterbesetzung, darunter er selbst als Solist an der Orgel, vorgesehen hat.

Am Ende begleitet eine einsame Solovioline die Schönheit auf ihrem letzten Weg zu sich selbst, bei dem der Regisseur Robert Carsen sie einfach durch das hintere Bühnentor abgehen lässt. Die Bühne ist zum ersten Mal vollständig leer, die Aufmerksamkeit verheißenden Kameras längst verschwunden, alle Spiegel nacheinander gefallen. Es ist das ebenso lakonische wie wirkungssichere Schlussbild einer in sich absolut stimmigen Inszenierung, die vom Salzburger Publikum mit Ovationen gefeiert wird.

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