Salzburger Festspiele:Gib dem Affen Überzucker

Mit Purcells "King Arthur" eröffnen Jürgen Flimm und Nikolaus Harnoncourt die Salzburger Festspiele.

WOLFGANG SCHREIBER

"Vom großen Welttheaterschwindel" zu reden über die (neu gegründeten) Salzburger Festspiele, wie der Störenfried Karl Kraus in den vergifteten frühen Zwanzigern, das würde heute niemandem mehr einfallen. Denn das Universaltheater der Künste und der Schönheit, heilsästhetische Idee dieser Festspiele aus katholisch-barocker Wurzel, ist lebenswichtig geworden. Zum Beispiel für den Standort Salzburg oder die Wirtschaftsdaten des Landes.

Sylvie Rohrer als schöne Emmeline und Michael Maerten als König Arthur.

Sylvie Rohrer als schöne Emmeline und Michael Maerten als König Arthur.

(Foto: Foto: AP)

Auslastungszahlen der Festspielstadt sind der Kompass, weil sie die Menschen direkt betreffen. Konsequent wird die Idee immer wieder bedient: am sinnfälligsten und schönsten in der mythisch-archaischen Weise der Felsenreitschule. Nikolaus Harnoncourt und Jürgen Flimm waren also gut beraten, die Barockoper dort anzusiedeln, den guten sagenhaften König Arthus aus dem alten England dort Platz nehmen zu lassen - nein: zum Tanzen, Rennen und Springen aufzufordern, als hätte Henry Purcell 1691 das erste Musical der Theatergeschichte geschaffen.

Gesamtkunstpralinenschachtel

Globale Festspiele - und Salzburg ist noch immer das größte, künstlerisch am dichtesten besiedelte Musikfestival der Welt - lassen sich nicht so einfach mit der Premiere einer Neuinszenierung eröffnen, man braucht den Festakt mit Bundespräsident und renommiertem Festredner.

Das war in diesem Jahr der Ungar István Szabó und damit zum ersten Mal, wie Szabó mit Genugtuung feststellte, ein Filmregisseur an dieser Stelle. Er sprach über seine Kunst der laufenden Bilder, die Botschaft der Nahaufnahmen, der Blicke, über die Verführbarkeit durch die Bilder. Und über die Ambivalenz der "Schönheit der Ordnung" - je nachdem, in wessen Dienst, der echten oder der falschen Werte. Szabó am Schluss: "Wie ist die Kunst in Zeiten des Überlebenskampfes? Oder besser: Kann die Welt durch die Kunst vorwärts gehen? Ist die Welt durch Salzburg vorwärts gekommen?" Szabó kann "Ja" sagen, weil etwa Toscanini ab 1938 Salzburg verweigert habe, "solange hier die Nazis sind". Thema verfehlt, attestierte man in Salzburg Szabó postwendend . . .

Rekonstruierender Tüftelarbeit

Jürgen Flimm, der Regisseur von Purcells "King Arthur", hat im Hinblick auf die momentanen Weltläufte in einem Interview über die Gründe orakelt, warum er diese Oper als luxuriöse Barockrevue über die Bühne tanzen lasse: Je größer das Elend unserer Zeiten, desto mehr Glanz brauche es, um das auszuhalten. So gesehen ist das, was er und Harnoncourt in der Felsenreitschule veranstalten, der Wahrheit des historischen Augenblicks auf der Spur. Aber Flimm und sein Bühnenbildner Klaus Kretschmer suchten die Essenz in der Zuspitzung und Übertreibung von Bühnenopulenz und -wirbel. Darin lag das szenische Problem der virtuosen Darstellung.

Gib dem Affen Überzucker

Als geglückt darf man die Archäologie und Philologie der Aufführung ansehen, die Arbeit am Text. Denn ein "Stück" oder: eine vom Dichter John Dryden und vom Komponisten Henry Purcell hinterlassene eindeutige Werkgestalt des "King Arthur", der erst 1995 in Paris als "Werk" wieder entdeckt worden war, gibt es gar nicht. Flimm und Harnoncourt haben jedoch aus dem Patchwork der kaum überschaubaren Szenen, Texte und Musiken ein neues, praktikables Ganzes gefügt. Im Prinzip überzeugend, weil sie in rekonstruierender Tüftelarbeit stimmige Proportionen von gesprochenen, gesungenen, getanzten und instrumental gespielten Teilen hergestellt haben - plausibel und über weite Strecken auch vergnüglich nachvollziehbar.

Und mit Hilfe einer großen spielfreudig-extravaganten Schauspieler-, Sänger-, Tänzertruppe gelang da ein Musiktheater nach Art der prall gefüllten, neobarocken Gesamtkunstpralinenschachtel. Mit Zaubertricks, haufenweise Multimediaeffekten, Spaßehrgeiz. Nikolaus Harnoncourt selbst brachte das Wort vom Barockmusical in Umlauf.

Barock-Oper mit Musical-Anmutung

Purcells "King Arthur" ist eine verrückte "Halb-Oper", ein im alten England üblicher Reigen aus Sprechtheater, Gesangs- und Tanznummern, deswegen aufwändig und nur selten aufgeführt. "Dramatick Opera" nannten die Autoren ihr Werk, und die Entscheidung Flimms, hier eine Art Revue im Welttheaterformat zu zimmern, hat ihre Risiken - was die Raum-Zeit-Dimension und was den Zauber- und Spaßfaktor betrifft.

Das beginnt bei dem Einfall, die Wirkung der Natur-Arkaden der Felsenreitschule mit blauen Arkaden-Holzblenden fast zum Verschwinden zu bringen. Mittels Videoprojektion locken durch die Öffnungen hindurch nun Weite und Wolken: Technikspielerei im Architekturmonument. Mitten auf der Riesenbühne ausgespart eine vertiefte "Insel", darin die Musiker des Wiener Concentus Musicus. Gemeint ist die "Fairest Isle", die Glücksseligkeitsinsel Britannia, mit aller dazu gehörenden Ironie, versteht sich.

Aber die riesigen Spielflächen um die Orchesterinsel herum, die oft nur schwer zu bewältigenden Auftrittsrennstrecken rechts und links, vorne und hinten bereiten doch spürbar Gestaltungsmühe, so sehr dabei die Darsteller bei Atem bleiben. Zirkusreife Akrobatik und technisch hochwertige Gags lassen die unwirtliche Raumdimension oft vergessen. Es gibt bei Flimms Szenen-Powerplay sogar ausgereifte Commedia-dell'-Arte-Feinheiten. Die Ironie selbst aber, der british humour der in der Barockoper üblichen Deklination von augenzwinkernder Weltpolitik und Nationalstolz, von Liebe, Gewalt, Tod und Trickserei der Personage, das schlägt immer wieder um ins bloß Lustige oder in Klamauk, den herzustellen ja amüsanter ist, als ihn aus sicherer Distanz zu beobachten.

Gib dem Affen Überzucker

Wahrscheinlich führt die ganze Musical-Anmutung hier in die Irre, denn die zielt in der Regel auf Unterhaltung um fast jeden Preis mit Hilfe flapsiger Geschichten. So hat denn die Kostümbildnerin (Birgit Hutter) mit pausenlos poppigen Verkleidungen der Protagonisten und Choristen, hat die Choreografin (Catharina Lühr) neben Flimm alle Hände voll zu tun, nach Goethes Theaterdirektor "nicht Prospekte, nicht Maschinen" zu schonen bei dieser überdrehten Sause. Flimm und seine Mannschaften geben ihren Affen pausenlos Süßes, im Parkett herrscht Überzuckerung.

Harnoncourt sprach aber nicht nur von Musical, sondern von der Musik als einer "subversiven Energie" - das klingt ernster. Die hatte es bei der wirbeligen Aufführung nicht leicht. Harnoncourt steuerte dagegen, der Concentus, reich besetzt mit "Originalinstrumenten", produzierte ein im Duktus eher schweres, fast schon frühromantisches Klangbild, voll von poetischen Farben, nicht sehr beweglich in den rhythmischen Akzentuierungen. Seltsame Temposchwankungen und Verbreiterungen bestätigten sein Konzept der Ausdruckssuche nach der Barockoper - Gardiner ist dagegen Sanguiniker -, die "King Arthur" nicht sein kann. Viel mehr ein freches Konglomerat von Gesprochenem und Gesungenem. Ausdrucksgesättigt hier nicht nur der Schäfertanz, sondern das große Liebesduett, die berühmte Frostszene.

Ein tödliches Buh

Es gibt in der Aufführung genug darstellerische und sängerische Klasse, um das musikalische Gleichgewicht weder ins Pathos noch ins virtuos Zirkushafte kippen zu lassen. Wie Michael Maertens (König Arthur) und Dietmar König (Oswald), wie Christoph Bantzer (Merlin) und Sylvie Rohrer (die schöne Emmeline) als Schauspieler fast beängstigend intensiv oder, seltener, verinnerlicht ihre Rollen ausschöpften, auf welch exzessive Weise Alexandra Henkel (Philidel) und Werner Wölbern (Grimbald) als Luft- und Erdgeist über die Bühne schwebten oder auf ihr trampelten, mit wie lustvollem Engagement der Chor (Rupert Huber) agierte, das hielt die Mechanik der Aufführung temperamentvoll in Gang. Leidenschaftlich beatmet wurde sie aber erst durch Orchester und Sänger. Hier schufen die fünf Vokalsolisten - Isabel Rey, Barbara Bonney und Birgit Remmert, Michael Schade und Oliver Widmer - unverblümt den kraftvoll strömenden Ausdrucksgesang, mehr flächig-expressiv als betont feinziseliert.

Kein strenger Barockstil, sondern die bunte Mischung vieler Elemente stand für das Prinzip Bühnenzauber. Für alle viel Applaus: Als das Leitungsteam die Bühne betrat und das erste Buh sich vorwagte, warf sich Jürgen Flimm entsetzt, gekonnt, wie tot auf den Boden. Das hoch besetzte Salzburger Premierenpublikum, Karl Kraus und dessen "Ehre sei Gott in der Höhe der Preise" eingedenk, hatte ein Einsehen und feierte schließlich alle.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: