Salzburger Festspiele:Heimtückisch harmlos

Salzburger Festspiele: Todessehnsüchtiger Machtmensch: Davide Luciano als Don Giovanni.

Todessehnsüchtiger Machtmensch: Davide Luciano als Don Giovanni.

(Foto: Ruth Walz/Salzburger Festspiele)

Von heimtückischer Harmlosigkeit zu Erotikkälte: Romeo Castellucci inszeniert Mozarts "Don Giovanni" bei den Festspielen in Salzburg mit destruktiver Leidenschaft.

Von Reinhard J. Brembeck

"Lasciar le donne", die Finger von den Frauen lassen! Kaum hat Giovanni diesen impertinenten Vorschlag seines Assistenten gehört, bekommt er einen lebensbedrohlichen Anfall, zuckt, stürzt, liegt lange leblos da. Lasciar le donne: Davon hält auch Regisseur Romeo Castellucci rein gar nichts. Er hat sich viel mehr an der Frauenliste des Assistenten inspiriert, die die 1003 Eroberungen Giovannis nicht nach Namen, sondern nach Größe, Haarfarbe, Leibesfülle, Nationalität, Beruf und Liebeserfahrung katalogisiert. Mehr Macho geht nicht.

Der Großmeister Romeo Castellucci bindet seine artistischen Einfälle gern an den Alltag an. Also bringt er für seine Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Erotikstudie "Don Giovanni" bei den Salzburger Festspielen eine schier unüberschaubare Phalanx an Salzburger Frauen auf die Bühne, deren Namen er, anders als Assistent Leporello, akribisch im Programmheft vermerkt. Es sind zwar nicht 1003 Frauen, aber die Liste füllt immerhin eine halbe Seite. Doch mittlerweile ist Giovanni aus seiner Ohnmacht erwacht und versucht wieder das, was ihm sonst spielend leichtfiel, aber an seinem Lebensabend regelmäßig missglückt: die Frauenverführerei.

Während Dirigent Teodor Currentzis mit seinem Music-Aeterna-Orchester dunkles Moll aus dem Graben brodeln lässt, das bald in elegante Atemlosigkeit übergeht, lässt Castellucci - er ist sein eigener Bühnen- und Kostümbildner - eine Arbeitercrew mit Gabelstaplern eine klassizistische Kirche ausräumen. Altarkreuz - von Giotto? -, Heiligenfiguren, Kandelaber, alles muss raus. Später schwebt ein Auto aus dem Schnürboden in die leere Kirche, ebenso ein Rollstuhl. Der Assistent singt sein Frauenregister passenderweise an einem Kopiergerät, auf das sich ein zweites von oben herabsenkt.

Giovanni trägt schwarzen Bart, weißen Anzug und einen Hammer, sein Unterschichtkonkurrent Masetto, dessen Name sich der erotische Übermensch partout nicht merken kann, eine Sichel. Hammer und Sichel: Castelluccis assoziativ postmodernen Witze führen regelmäßig in die Irre. Eine Ziege rennt durch die Kirche, der aufgeblasene Aristokrat Ottavio stolziert mit Pudeln daher und geriert sich als römischer Imperator, dem Masetto wird eine Ratte zugeordnet. Eine von Giovannis vielen verlassenen Ehefrauen, Elvira, rückt mit ihrem Sohn an, der den sich gruselnden Papa über die Bühne verfolgt. Vor der Pause wird die Kirche mit Wohlstandsmüll endgültig zugestellt.

Dieser ganze erste Akt ist von heimtückischer Harmlosigkeit, unter der sich Mozarts Liebestrankklänge ungehindert ausbreiten können. Die Musik atmet nichts als Schweiß, Körper und Begehren. Teodor Currentzis, der selten zur Zurückneigung tendierende Popstar und Alleskönner der Klassik, geht das Stück erstaunlich dezent an, fließend elegant, untergründig verhalten, langsam. Aber auch das ist eine Falle. Wie sein Regisseur schaltet auch Currentzis im zweiten und finalen Akt dieses Vier-Stunden-Abends um auf Intensivierung, Verdichtung, Leidenschaftlichkeit, Tiefenbohrung. Erotikkälte.

Salzburger Festspiele: Von links: Federica Lombardi (Donna Elvira), Nadezhda Pavlova (Donna Anna), David Steffens (Masetto), Michael Spyres (Don Ottavio), Anna Lucia Richter (Zerlina).

Von links: Federica Lombardi (Donna Elvira), Nadezhda Pavlova (Donna Anna), David Steffens (Masetto), Michael Spyres (Don Ottavio), Anna Lucia Richter (Zerlina).

(Foto: Ruth Walz/Salzburger Festspiele)

Hier werden der für Salzburg so wichtige Katholizismus abgeräumt, genauso die Konsumglamourwelt, die gängigen Geschlechtermodelle. Giovanni wird als ein vor Geld triefender Machtmenschchef greifbar, der allen übel mitspielt und jeden Mann für eine Ratte hält. Davide Luciano in der Titelrolle ist aalglatt, perfekt gekleidet, immer Herr, nie Sympathieträger. Er ist seelenkalt. Selbst im Mandolinenständchen oder dem Zerlina-Duett ist er bloß eine singende Sex Machine. Frauen sind ihm nur als jene Masse interessant, als die sie ihm Castellucci auf die Bühne stellt. Sobald eine Frau aus der Masse heraustritt, sei es die höhere Zickentochter Anna, die alleinerziehende Mutter Elvira, die Gärtnerin Zerlina, verblasst ihr Reiz für ihn im Orgasmus. Nachschub muss her, sofort.

Selten sind Aufführungen so groß, dass die Leistungen der Sänger darin vollständig aufgehen. Dies ist solch ein Abend. Alle sind gut, alle überzeugen. Anna Lucia Richter (Zerlina) kombiniert Naturhaftigkeit mit Karrierebewusstsein, Nadezhda Pavlova (Anna) kämpft selbstquälerisch, stolz und mit gekonnten Koloraturen gegen die Erwartungen von Vater, Verlobtem und Vergewaltiger, Federica Lombardi (Elvira) versucht vergeblich, Selbstbestimmtheit, Erotik und Altern zu versöhnen. Sie alle sind Opfer. Nicht jene Giovannis, sondern eines lustfeindlichen Patriarchats, das eine Figur wie ihn als Kompensation hervorbringt.

Auch die Männer sind durch das Patriarchat beschädigt. Die naive Rebellion des Masetto läuft ins Leere, so sehr David Steffens auch aufdreht. Annas steifer Vater (Mika Kares) ist längst innerlich abgestorben, als ihn Giovanni ermordet. Und Vito Priante als Assistent changiert zwischen Giovanni-Imitation, Gefräßigkeit, Anpasslertum und Minirevolte.

Am Ende ist Don Giovanni nackt - eine Seltenheit auf Opernbühnen

Am schlimmsten aber ist Ottavio dran. Michael Spyres singt ihn betörend. Gegen Mozarts Wunsch bieten die meisten Aufführungen die beiden Arien Ottavios, die, im Ausdruck recht ähnlich, ein Weichei zeichnen. Spyres und Currentzis aber legen die beiden Stücke völlig unterschiedlich an. Das eine zeigt einen weltfremden Träumer, das andere zeigt ihn in Racheaktion. Plötzlich ergeben beide Stücke Sinn. Ottavio träumt sich, das glaubt er, seinem Namen schuldig zu sein, in die Antike zurück, er sieht sich als Caesar, als Friedensfürst, als Befrieder der ungezügelten Leidenschaft. Der Vorgriff auf Mozarts letzte Oper "Tito" ist klar, in der brodelnden "Giovanni"-Raserei aber wirkt dieser Mann noch deplatzierter als sonst. Ottavio wird nie eine Frau bekommen.

Ganz im Gegensatz zu Davide Lucianos Giovanni. Der Abend meißelt unerbittlich einen Kotzbrockenmacho heraus. Sigmund Freud hat oft beschrieben, wie gesellschaftszerstörerisch Sex sein kann. Mozarts Musik beschäftigt sich ständig mit dieser Destruktivität. Giovannis Begehren ist absolut, es kennt keine Skrupel, kein Gewissen, keine Grenzen. Deshalb hat er, das behauptet Mozarts Musik, Erfolg bei Männern wie Frauen, die durch die Urgewalt dieses Begehrens fortgerissen werden. Das ist der beunruhigende Kern dieser Aufführung, so radikal und verstörend kommt dieses Axiom sonst nie heraus.

Der Bühnendialektiker Castellucci zeigt die zerstörerischen Folgen dieses absoluten Begehrens. Die Bekenntnisse zur als Freiheit gedeuteter Libertinage, zu Wein, Haut Cuisine und Frauen, enden im Zusammenbruch des Helden. Die Hölle bricht aus Giovanni heraus. Er reißt sich den Anzug vom Leib, wälzt sich nackt in weißer Kreidefarbe. Es ist einer der großen magischen Momente von Theater, auch deshalb, weil nackte Opernsänger eine Seltenheit sind. Zuletzt ähnelt Giovanni den Gipsabdrücken, die durch Ausgießen der Menschformen in der Lava Pompejis gewonnen wurden. Auch alle anderen Mitsänger verwandeln sich in solch stummen Zeugen einstiger Leidenschaft, während ihr Schlussfazit abweichend von der Partitur vom Music-Aeterna-Chor aus dem Graben gesungen wird. Großer Jubel des Publikums, selbst der Regisseur wird gefeiert.

Der Salzburger "Don Giovanni" wird von Arte am 7. August um 22.05 Uhr gesendet.

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