Süddeutsche Zeitung

Salzburger Festspiele:Der Motor muss laufen

Startenor Piotr Beczala unterrichtet in Salzburg coram publico. Als Lehrer liebt er Vergleiche, vor allem mit Autos.

Von Helmut Mauró

Der 24-jährige Simon Yang aus Südkorea ist nervös. Das zeigt sich vor allem darin, dass er überhaupt nicht aufgeregt wirkt. Stocksteif steht er im dunklen Anzug mitten auf der Bühne der Salzburger Universitäts-Aula vor dem weltweit gefragtesten Operntenor, dem 55-jährigen Piotr Beczala, heute in Jeans und blauem Jacket. Der gab im Rahmen der Festspiele einen Meisterkurs, dessen abschließende Veranstaltung nun für das Publikum offen ist. Das gehört zu den Standardangeboten der Festspiele, und in der Regel kommen Fans, um ihren Stars noch näher zu sein. Die Studenten sind dabei oft nur Staffage.

Bei Beczala ist das alles anders, er verschwendet die Zeit nicht damit, sich selber darzustellen, sondern macht einfach Unterricht. Und der hat es in sich. Je freundlicher sich der Meister dem Studenten zuwendet, um die Situation zu entspannen, desto mehr scheint sich das Rückgrat des Schülers zu verhärten. Die Stimme klingt etwas weicher, er singt die herrlich lyrische Tenor-Arie "Un aura amorosa" aus Wolfgang Amadé Mozarts Oper "Così fan tutte". Seit Tagen schon arbeiten sie zusammen im Meisterkurs. Yang ist verunsichert, verschluckt den Spitzenton zur Hälfte. "Du musst nicht auf das hohe C hin singen", sagt Beczala mit einnehmendem Lächeln, "setze da keine Extraspannung an, versuche, bei einer Farbe zu bleiben."

Beczalas bester Lehrer? War ein Pianist

Kaum ein Sänger weiß so genau, worauf es bei einem professionellen Unterricht ankommt. Beczala selber hat sechs Jahre lang in Kattowitz studiert, "und dann habe ich nochmal von vorne angefangen mit einem privaten Gesangslehrer", erzählt er später im Gespräch. Kurioserweise war der kein Sänger, sondern der Pianist Dale Fundling vom Salzburger Mozarteum. "Ein Gesangslehrer hat einen entscheidenden Nachteil: dass er selber singt", sagt Beczala. "Das heißt, er vergleicht, was er bei seinem Studenten erreichen will, mit sich selber." Und nachdem es eher selten ist, dass ein Gesangsprofessor auch auf der Bühne glänzt, werden mit dem Unterricht auch Zweifel tradiert, Probleme, Unsicherheiten.

Bei Beczala geht es dagegen um die reine Stimmtechnik, "um den Motor, der laufen muss, der die nötige Leistung bringen soll". Beczala liebt Auto-Vergleiche. "Das Musikalische liegt beim Sänger, der Lehrer muss sich um die Technik kümmern. Das bietet das Ausbildungssystem in den östlichen Staaten, Polen, Russland, Litauen besser, da gibt es auch bessere Gesangsprofessoren, die sich nicht selber in den Vordergrund stellen, sondern wirklich versuchen, etwas mit dem Studenten zu erreichen."

Der Student Yang setzt jetzt neu an, folgt allen Vorgaben des Meisters. Ein Schüler mit großer Disziplin, aber Beczala will mehr. Während Yang singt, nähert sich der Meister auf Armlänge, fixiert den Schüler, kommt hin und wieder ruckartig noch näher, um ein bisschen Bewegung in den Schüler und vor allem dessen Gesang zu bringen. Dem Schüler rät er, das "o" etwas enger zu fassen: "Du neigst dazu, zu breit zu werden. Bei Verdi wäre es wunderbar, bei Mozart nicht." Die Sache mit der Vokalfärbung bekommt gleich noch mehr Bedeutung, weil Mozart in dieser Arie dem Sänger kaum Möglichkeit gibt, Atem zu holen.

Also muss er sich den Platz dafür schaffen, indem er Phrasen verkürzt und Pausen verlängert. Dabei, so Beczalas psychologischer Trick, sollte man den gleichen Vokalklang beibehalten für Ende und Neuansatz. Das verschleiert den Bruch. Auf dieser Detailebene spielt sich der ganze Unterricht ab. Beczala will den Studenten ein Bewusstsein dafür schaffen, dass sie in jeder Sekunde wissen, was sie tun. Sie sollen entscheiden, ob sie bei einer Tonwiederholung akzentuierend neu ansetzen oder nicht, "aber nichts dazwischen". Nichts Unentschlossenes, keine Beliebigkeit. "Den hohen Ton musst Du besser verkaufen, danach kannst Du Dir selber beim Singen zuhören und das Ende ausschwingen lassen."

Junge Sänger sind früh auf sich allein gestellt

Das vermittelt eine Haltung, die sich konkret auf den Klang auswirkt. "Du bist sehr musikalisch", sagt Beczala, "und das ist Dein Problem." Soll heißen: Die natürliche Begabung verhindert, dass sich ein Problembewusstsein bildet, das aber nötig ist, wenn man professionell singen will. Da muss man die Schlüsselmomente einer Arie im Blick haben, auf die es ankommt, mit der das ganze Stück steht und fällt. Da muss man wissen, wie man durch die Gestaltung einer Phrase den Dirigenten und das begleitende Orchester dazu bringt, das Tempo zu drosseln oder zu beschleunigen.

Obwohl Beczalas Studenten in der Regel schon bühnenreif sind, gibt es auch jenseits der Musik noch allerhand zu lernen. Die jungen Sänger sind heute relativ früh auf sich gestellt und müssen sehen, wie sie klug vorangehen, um ihre Stimme zu entfalten und nicht zu ruinieren. Denn um die Gesangsausbildung in Mitteleuropa ist es nicht gut bestellt. Viele Professoren ergehen sich in mehr oder minder fundierten ästhetischen Diskursen, während der Schüler auf technische Hilfe hofft. "Oft wird für die Ausbildung auch das falsche Repertoire verwendet", sagt Beczala. Wenn man mit Schubert, Schumann und Brahms anfange, könne man bestimmte technische Dinge nicht lernen, vor allem in Bezug auf den Stimmklang. Oper ist etwas anderes, das ist wie Formel 1 und Ralley - das ist nicht das Gleiche."

Leider gibt es inzwischen Ausbildungs-Traditionen, die nach Erfahrung Beczalas einer vernünftigen Stimmausbildung eher im Wege stehen. Vor allem die Aufteilung in die Studienfächer Oper, Oratorium, Lied, und Lehrerausbildung sei kontraproduktiv. Aber auch das Bestreben, große Stimmen nachzuahmen, sei eine Sackgasse. Beczala singt deshalb auch nichts vor. "Man kann Vorbilder haben, ich habe mich selber an Fritz Wunderlich orientiert und höre mir heute noch viele Sänger an, aber wenn man konkret versucht, der neue Corelli oder wer auch immer zu sein, dann ist das der Anfang vom Ende." Beczala klärt lieber Fehler, statt vorzumachen. "Wenn der Schüler das Problem versteht, kann er meine Vorschläge zur Lösung umsetzen. Es ist sehr wichtig, dass sie verstehen, wie die eigene Stimme funktioniert." Und es braucht Zeit.

Selbst wenn wie heute bei einem 24-Jährigen das stimmliche Instrument fertig gebaut ist, muss man noch lernen, darauf zu spielen. Früher hat man wie im Instrumentalunterricht täglich seine Etüden abgearbeitet - das gilt nun als überholt. "Aber so behutsam, wie man früher mit der Stimme umgegangen ist - das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Man hat sechs Jahre studiert, ohne eine Bühne zu betreten. Heute wird man schon als Student für Opernproduktionen engagiert, und zwar zu oft und für zu große Rollen, zu dramatisches Repertoire - für eine gesunde Entwicklung ist gar keine Zeit mehr. Es ist ein knallhartes Business geworden." Aber das war es natürlich schon immer.

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