Salzburger Festspiele:Fehlender Meister

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Dass das fünfte Brandenburgische Konzert nicht zum Höhepunkt des Abends wird, liegt nicht an Kristian Bezuidenhout, sondern am Cembalo. (Foto: Marco Borggreve/ Salzburger Festspiele)

Das Freiburger Barockorchester feiert bei den Salzburger Festspielen den 300. Geburtstag der Brandenburgischen Konzerte. Und hat ein Problem.

Von Michael Stallknecht

Dreihundert Jahre alt werden die Brandenburgischen Konzerte in diesem Jahr, genauer: das Manuskript, das Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt 1721 im inzwischen wiederaufgebauten Berliner Schloss überreicht wurde. Denn was Johann Sebastian Bach als "Six Concerts avec Plusieurs Instruments" zu sechs Konzerten mit diversen Instrumenten zusammenstellte, hatte er teilweise schon deutlich früher komponiert oder entworfen, in Weimar oder als Hofkapellmeister in Köthen, wo er einige der besten Musiker seiner Zeit zur Verfügung hatte. Als Zeichen von Faulheit oder mangelnder Devotion sollte man es nicht deuten, sondern eher als Ausdruck von Bachs lebenslanger Überzeugung, dass sich Gutes immer noch besser machen lasse.

Für das Freiburger Barockorchester ist das Jubiläum auf jeden Fall ein guter Anlass, den Brandenburgischen Konzerten bei den Salzburger Festspielen einen eigenen Abend aus dem Geist der historischen Aufführungspraxis zu widmen. Dabei ist der Aufführungsrahmen alles andere als historisch, ebenso wenig wie der Werktitel, der erst im Zuge der Kanonisierung im späten 19. Jahrhundert entstand. Schließlich wäre am Hof des Markgrafen niemand auf die Idee gekommen, alle sechs Konzerte hintereinander zu spielen. Schon gar nicht vor einem Publikum, das in den beengten Stuhlreihen des Mozarteums schweigend und mit starrem Blick nach vorn sich ganz der Musik hingibt. Dem Freiburger Barockorchester gelingt es dennoch, das immanent Kanonische der bürgerlichen Konzertsaalordnung aufzubrechen, schon weil sie die Konzerte nicht in numerischer Abfolge spielen, sondern zu einer stimmigen Dramaturgie ordnen, bei der die Umbauten für die wechselnden Besetzungen zum Durchatmen einladen (sofern man sich dabei nicht von der FFP2-Maske beschränkt fühlt, die, im Gegensatz zu anderen Orten, auch in den Konzertsälen bei den Salzburger Festspielen obligatorisch bleibt).

Die Koordination zwischen Solisten und übrigen Musizierenden gelingt nicht immer ohne Reibungsverluste

Die Musiker spielen im Stehen und ohne Dirigenten, sogar ohne Blick auf einen leitenden Konzertmeister, der in der historischen Aufführungspraxis oft mehr oder minder heimlich den Dirigenten ersetzt. Gottfried von der Goltz, einer der beiden Künstlerischen Leiter des Freiburger Barockorchesters, firmiert zwar als musikalischer Leiter des Abends, spielt aber vor allem als feinsinniger, in großen Bögen denkender Solist den Violino piccolo, die etwas höher gestimmte Geige, im ersten und das Violinsolo im vierten Konzert. Dazwischen zieht er sich ins Ensemble zurück oder ist auch mal gar nicht beteiligt, während andere als Solisten hervortreten. So spielt Corina Golomoz das Bratschensolo im sechsten Brandenburgischen mit beglückend freiem Atem aus, Joseph Domènech phrasiert ausdrucksstark auf der Oboe und Isabel Lehmann und Marie Deller steuern das quicklebendige Schnattern ihrer Blockflöten bei. Nur für das Cembalosolo im fünften Konzert kommt mit Kristian Bezuidenhout der zweite künstlerische Leiter der Freiburger hinzu, der ohnehin als renommierter Solist an Hammerklavier wie Cembalo bekannt ist.

Schließlich gilt das fünfte Brandenburgische als erstes "Klavierkonzert" der Musikgeschichte, in dem einst in Berlin wohl Bach selbst als Virtuose glänzte. Dass es nicht zum erwarteten Höhepunkt des Abends wird, liegt nicht an Bezuidenhout, sondern am Cembalo. Nach dem Einsatz für das Continuo in den vorangegangenen vier Konzerten ist es in der Höhe leicht verstimmt, weshalb Bezuidenhout nach dem ersten Satz entschlossen zum Stimmschlüssel greift und nachstimmt. Vor allem aber besitzt das gewählte Instrument zu wenig metallische Durchschlagskraft, klingt zu einförmig, um wirklich solistisch hervorzutreten.

Man mag das sogar konsequent finden innerhalb eines Musizierens, das ganz aus dem Geist der Gruppe entsteht. Das Fehlen einer zentralen Leitung macht sich dabei durchaus bemerkbar. Die Koordination zwischen den Solisten und den übrigen Musizierenden gelingt nicht immer ohne Reibungsverluste, im ersten Teil des Abends streift auch die Intonation bisweilen die Grenze des Fragwürdigen. Doch das ist ein fairer Preis für ein freies, ungebundenes Musizieren von einzelnen, vor allem aber für die gemeinsame Spiellust, die hier ins Publikum überspringt. Um am Schluss alle nochmal zusammenzubringen, spielen die Freiburger zur Zugabe denn auch kein weiteres Werk von Bach, sondern sorgen mit einem Gruppenkonzert von Georg Philipp Telemann für einen hörnerschmetternden Ausklang.

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