Salzburg:Einen Schritt voraus

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Die Mozartstadt setzt auf junge Musiker bei "Jazz & the City"

Von Oliver Hochkeppel, Salzburg

"Let's get lost" gaben die Festivalmacher des Salzburger "Jazz & the City" heuer als Motto aus. Nicht im suizidalen Sinne wie einst der drogenkranken Trompetenmagier Chet Baker mit seinem legendären gleichnamigen Soundtrack, dafür ist die kleine Festspielstadt an der Salzach viel zu bürgerlich. Eher im Geiste eines üppigen fürstbischöflichen Kulturgenusses. Wie schon in den vergangenen Jahren konnte man sich wieder fünf Tage lang treiben lassen bei 100 Konzerten in über 40 fast ausnahmslos fußläufig über die Altstadt verteilten Spielorten.

Im dritten Jahr ihrer Intendanz hat die Hamburgerin Tina Heine mit ihrer Crew (in der auch der Münchner Klaus von Seckendorff das Programm mitgestaltet) dem Festival endgültig ihre Handschrift aufgedrückt und "Jazz & the City" vor allem zum Stelldichein junger Musiker gemacht, die an der Spitze der Transformation des Jazz vom Stil zum Spirit stehen. Musikalische Freigeister, die sich aus der großen Kiste mit Musik-Stilen, Genres und Formen bedienen, um daraus ihren individuellen Ausdruck zu formen. Zum Glück für Heine gehören überdurchschnittlich viele Österreicher zu diesem Zirkel, sodass "Jazz & the City" auch die heimische Szene pflegen kann: Mit Bands wie die Vorarlberger Blechbaragge, Edi Nulz oder Hi5 und Masterminds wie Lukas Kranzelbinder oder Christoph Pepe Auer. Nur noch wenige Amerikaner wie Donny MacCaslin oder Ralph Towner mischen sich in die Phalanx der Europäer wie dem Trondheim Jazz Orchester, der französischen Schlagzeugerin Anne Paceo, dem Luxemburger Vibrafonist Pascal Schumacher, den deutschen Pianisten Pablo Held und Florian Weber und vielen Gesangsartisten wie der Französin Leila Martial, der Britin Julia Biel, der Deutschen Almut Kühne oder den Schweizern Lucia Cadotsch und Andreas Schaerer.

Letzterer ist ein perfektes Beispiel dafür, wie Heines "Jazz & the City" das Neue nicht auf Teufel komm raus sucht, sondern auch seine Lieblinge hat, die durch "Blind Dates", also spontane Begegnungen mit Kollegen, durch Konzerte in verschiedenen Konstellationen stets neu beleuchtet werden. Schaerer, im vergangenen Jahr mit dem Quartett A Novel of Anomaly zu Gast, gab heuer einen Workshop am Mozarteum, ein nächtliches Solo im Mozartkino, ein Duo mit Leila Martial und ein Konzert mit seinem bewährten Trio mit Peter Rom und Martin Eberle.

Auf die Kunst des Netzwerkens versteht sich Tina Heine ohnehin so gut wie wenige Festivalmacher. Nicht nur, dass sie die Branche zusammenbringt, sie geht mit ihnen auch "Out oft he Box" (wie es im Rahmenprogramm heißt) und zwingt sie durch Begegnungen mit anderen Kreativen bis hin zu Stadtplanern oder Philosophen in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge. Nicht zufällig ist deshalb der World Jazz aus Afrika, Asien oder Südamerika die andere starke Säule des Programms mit Entdeckungen wie dem famosen Trio Nes der algerischen Sängerin und Cellistin Nesrine Belmokh oder der aus Syrien stammenden Flötistin Naïssam Jalal, die bewies, dass Musik eine starke politische Aussage haben kann.

Eigentlich schade, dass es in München nichts Vergleichbares gibt. Sicher, die Münchner Altstadt ist nicht so fußläufig wie die zwischen Mönchs- und Kapuzinerberg eingeklemmte Salzburger. Vielleicht gibt es auch nicht so viele, auf Schritt und Tritt herumliegende tolle Spielorte - was wohl auf den Versuch ankäme. Der freilich käme einem logistischen Selbstmordkommando gleich, in einer Stadt, in der jeder sein teures Revier bewacht. Der Münchner Jazzfreund, der gerne mal ein paar Tage lang in einer Wolke aus Musik versinkt ("Let's get lost" eben) muss wohl auf absehbare Zeit Ausflüge einplanen, nach Burghausen, Saalfelden oder eben nach Salzburg.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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