Süddeutsche Zeitung

Salman Rushdie:"Es war ein kolossaler Angriff"

Der Autor hat das erste Interview seit dem Attentat im vergangenen Sommer gegeben. Den Mann, der ihn mit einem Messer angriff, nennt er "Idiot".

Von Felix Stephan

Salman Rushdie wuchs als Kind säkularer Muslime in Mumbai auf. Zu den Büchern, die sich er sich damals in der Stadtteilbibliothek "Reader's Paradise" ausgeliehen hat, gehörte auch der Urtext der morgenländischen Literatur, "1001 Nacht". In der Rahmenhandlung besucht die junge Sherazade jeden Abend einen König und erzählt ihm eine Geschichte, die so fesselnd sein muss, dass er, weil er am nächsten Tag erfahren möchte, wie es weitergeht, seinen Plan aufschiebt, sie hinrichten zu lassen. Sie erzählt buchstäblich um ihr Leben.

Jetzt hat Salman Rushdie dem Chefredakteur des New Yorker, David Remnick, sein erstes Interview seit dem Attentat am 11. August 2022 gegeben, und die Parallelen zwischen den Erzählern liegen auf der Hand. Seit das iranische Staatsoberhaupt Ayatollah Chomeini Salman Rushdie 1989 mit einer Fatwa belegt und damit zu seiner Ermordung aufgerufen hat, hat Rushdie 16 Romane geschrieben.

Bei einer Lesung aus seinem jüngsten Roman "Victory City" vor mehr als tausend Zuschauern war ein schwarz gekleideter Mann auf die Bühne gestürmt und hatte mehrmals auf ihn eingestochen. Rushdie lag sechs Wochen im Krankenhaus, heute ist er auf dem rechten Auge blind, und der Ellennerv seiner linken Hand ist schwer geschädigt. Das Gefühl in Daumen und Zeigefinger sei zwar zurückgekehrt, aber das Tippen, berichtet Rushdie im New Yorker, falle ihm noch immer schwer.

Den Begriff "Schreibblockade" habe er sich immer versagt, jetzt falle ihm nichts mehr ein

Außerdem plagten ihn Albträume, "nicht gerade von dem Vorfall selbst, aber einfach beängstigend". Es gehe ihm gut. "Ich kann aufstehen und gehen. Wenn ich sage, es geht mir gut, meine ich, dass einige Stellen meines Körpers dauernde Check-ups brauchen. Es war ein kolossaler Angriff."

Den Begriff "Schreibblockade" habe er sich immer versagt. Er habe gewusst, wenn er dranbleibe, dann entstehe auch etwas. In den vergangenen Monaten jedoch sei es anders gewesen. Wenn er jetzt versuche zu schreiben, falle ihm nichts ein, "eine Kombination aus Leere und Mist, Zeug, das ich schreibe und am nächsten Tag wieder lösche". Er sei noch nicht über den Berg.

Nach der Fatwa lebte Rushdie in London jahrelang unter Polizeischutz, nach dem Umzug nach New York hat er darauf verzichtet. Wenn er sich jetzt frage, ob er diese Entscheidung bereue, finde er keine Antwort.

Der Attentäter, der zuvor nicht polizeilich aufgefallen war, sitzt derweil in einem Gefängnis unweit des Tatorts. Ihm drohen wegen versuchten Mordes 25 Jahre Haft. Salman Rushdie sagt, er halte seinen Attentäter für einen "Idioten", wisse aber sonst nicht, was er von ihm halten solle, weil er ihn nicht kenne. Bis zum Verfahren ist es noch lange hin, womöglich beginnt es erst Ende nächsten Jahres. "Ich schätze", sagt Rushdie, "dann werde ich mehr über ihn erfahren."

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