Saisonbeginn der Heißgetränke:Kaffee oder Tee? Ein Glaubenskrieg!

Kaffeetrinker sind Kapitalisten? Teetrinker sind meditierende Genießer? Auf jeden Fall bewegen sich beide Gattungen des Menschen in zwei verschiedenen Welten. Eine vorsichtige Annäherung an ein schwieriges Thema.

Jan Brandt

Das Haar sorgfältig gescheitelt, den schmächtigen Körper in einen schwarzen Anzug gehüllt, das Buch der Bücher neben sich auf dem Tisch, so saß Otto Waalkes Mitte der siebziger Jahre vor der Kamera und sprach in seiner Fernsehshow Das Wort zum Montag: ,,Meine Damen und Herren, als ich neulich in meiner Musikbox blätterte, stieß ich auf folgende kleine Zeile: 'Theo, wir fahr'n nach Lodz'.

Saisonbeginn der Heißgetränke: Tee muss sich gegen Kaffee niemals durchsetzen. Tee braucht Zeit. Tee ist das Gegenteil von ,,to go''.

Tee muss sich gegen Kaffee niemals durchsetzen. Tee braucht Zeit. Tee ist das Gegenteil von ,,to go''.

(Foto: Foto: AP/dpa)

Nun, was wollen uns diese Worte sagen? Da ist von einem Menschen die Rede. Von einem ganz bestimmten Menschen. Nicht Herbert, nicht Franz, nicht Willy, nein, Theo ist gemeint! Aber um welchen Theo handelt es sich? Ist es nicht auch jener Theo in uns allen, der in so wunderbaren Worten vorkommt wie Theologie, Theodorant, Tee oder Kaffee?"

In den Scherzen der Narren stecken häufig tiefe Wahrheiten. Sie legen, weil sie seit jeher den Schalk im Nacken und die Freiheit auf ihrer Seite haben, die Sehnsüchte und Seelen der Menschen bloß. Und so hat der berühmteste Narr Deutschlands, mit ,,Tee oder Kaffee?'' eine Frage aufgeworfen, die in Zeiten der Globalisierung für jeden Teetrinker, der in teefeindlichen Regionen ein Café betritt, immer wieder zur Schicksalsfrage wird. Insbesondere, wenn es sich dabei um eine Filiale einer weltweit agierenden Kaffeehauskette handelt und die in Karten unter der Rubrik ,,Heiße Getränke'' folgendes Angebot ausweisen:

Cappuccino Latte Macchiato Caffè Latte Caffè Americano Caffè Mocha White Chocolate Mocha Espresso Espresso Macchiato Espresso Con Panna Espresso Ristretto Espresso Lungo Espresso Corretto Milchkaffe Jumbo Milchkaffee mit doppeltem Espresso Einspänner Entkoffeinierter Kaffee Entkoffeinierter Milchkaffee Entkoffeinierter Cappuccino Milchkaffee mit Vanille-, Karamell-, Zimt-, Pina Colada-, Amaretto- oder Haselnussaroma Carajillo mit Brandy oder Anis Espresso corretto mit 2 cl Grappa Irish Coffee mit Tullamore Dew und Sahne Kaffee französisch mit Cognac und Sahne Kaffee holländisch mit Eierlikör und Sahne Kaffee mexikanisch (halb Kaffee, halb Schokolade)

Die Liste der Kaffee-Alternativen: Heiße Milch Heiße Schokolade Heiße Zitrone Schwarzer Tee

Eine solche Karte bedient nur die Statistik. In Deutschland wird pro Kopf und Jahr durchschnittlich 6,9 Kilo Kaffee getrunken - und 250 Gramm Tee. Nur ein von Friesen bewohntes Gebiet hört nicht auf, den Kaffeetrinkern Widerstand zu leisten: In der Region zwischen Jade und Ems ist der Teeverbrauch zehnmal höher als im Rest der Republik, bedingt durch das weiche, kalkarme Wasser, das widrige, raue Klima, bittere Armut, frühe Handelsbeziehungen zu Indien und China - und die sagenhafte Sturheit der Bevölkerung.

Der schwarze Tee, den Außerfriesische in fremden Gegenden notgedrungen bestellen müssen, so sie keinen Kaffee trinken wollen, hat mit dem schwarzen Tee aus Assam, mit der patentierten echten Ostfriesenmischung also, mit der Ostfriesen in Ostfriesland aufwachsen, oft nur den Namen gemein.

Meist hängt ein billiger, aus den Blattfasern der Bananenstaude hergestellter Beutel oder ein mit Teeblättern vollgestopftes Tee-Ei in einem zu kleinen Glas mit lauwarmem Wasser, während ringsum von den mit leuchtendem Milchschaum bedeckten Tassen, Schalen und Gläsern ein kräftiger, die Sinne betörender Duft aufsteigt.

Im beruflichen und privaten Kosmos das gleiche Bild: In Kantinen, Konferenzräumen und Küchen stehen Kaffee- und Espressokannen, glänzende Siebträger- oder Handhebelgeräte, raumgreifende Vollautomaten für hohe Benutzerfrequenz, sofort betriebsbereite Heißgetränkesysteme aus Edelstahl oder Elfenbein im Porsche-Design.

Wenn es überhaupt Tee gibt, dann handelt es sich um mit Bergamotteöl fermentierten Earl Grey, ayurvitalische Esoteriktantrayogatees, die ,,Erkenne deine Kraft'', ,,Innere Gelassenheit'' und ,,Seelenharmonie'' heißen; parfümierte Kräutertees mit nicht ganz jugendfreien Nachtprogrammtiteln wie ,,Hüttentraum'', ,,Heiße Liebe'' und ,,Pure Lust'', oder Gesundheitstees, die Magen, Darm, Herz und Hirn schonen. Vielleicht gibt es in einigen gut sortierten, feministisch geschulten Studentinnen-WGs sogar ein Teesortiment mit dem Besten aus Apfel, Feige, Dattel, Ginko, Zitronengras, Zitronenverbenenkraut, Süßholz, Jasmin, Fenchel, Melisse, Kümmel und Kamille; alles Ingredienzien, die aufs Engste mit Übelkeit und Erbrechen, Batiktüchern und selbst gestrickten Stulpen verknüpft sind oder Lebertrankindheitstraumata heraufbeschwören.

Was, um Waalkes Willen, wollen uns all diese Worte sagen?

Kaffee oder Tee? Ein Glaubenskrieg!

Kaffeehausketten sind mächtige, den Erdball mehr und mehr umklammernde Kraken? Teestuben Relikte einer unwiederbringlichen Zeit? Schwarzteetrinker eine vom Aussterben bedrohte Minderheit? Kaffeetrinker die alte und neue Mitte?

Vielleicht.

Auf jeden Fall sind Schwarztee- und Kaffeetrinker zwei, die nicht miteinander können. Sie verkörpern grundsätzlich gegensätzliche Kräfte: das apollinische und das dionysische Prinzip. Das Ruhige, Besinnliche, Meditative. Und das Flüchtige, Berauschende, Ekstatische.

Kaffee und Tee - zwei Antipoden

Kaffeetrinker sind auf Leistungsmaximierung getrimmte Kapitalisten, ehrgeizig, nervös, immer auf dem Sprung. Sie leiden unter Schlaflosigkeit, Herzrasen und Gedankenflucht. Sie haben kein Zeitgefühl, schlechte Zähne, schlechte Haut und zu allem eine Meinung. Kaffeetrinker lassen sich gerne bedienen, am liebsten von Maschinen; zur Not auch von Menschen, die aussehen, als könne man sie noch zu was anderem gebrauchen.

Ihnen ist es egal, wie die aufgebrühte braune Suppe, die sie mehrmals täglich aus Suppenschüsseln, Papp- oder Plastikbechern schlürfen, heißt, weil sie die feinen Unterschiede der ständig wachsenden Produktpalette ohnehin nicht mehr erkennen. Sie verfügen - wie viele andere Drogensüchtige auch - über ein Kurzzeitgedächtnis, vor allem, wenn das Koffein gerade ihren Kopf kitzelt. Dann sind sie geistreich, schlagfertig, unterhaltsam. Am nächsten Tag haben sie alles wieder vergessen.

Teetrinker dagegen sind gestrige Romantiker, wortkarge, weltabgewandte Weicheier, alles wieder und wieder durchdenkende und überprüfende Gesundheitsfanatiker, Scholastiker, Gnostiker, Elegiker, humorlose Asketen, die strengen Regeln und Bräuchen folgen, nichts vertragen, nichts dem Zufall überlassen und sich - wie ihre esskulturelle Entsprechung: die Vegetarier - missverstanden fühlen.

Anders gesagt: Blätter und Bohnen passen nicht zusammen.

Der Kaffee, einer Legende nach aus der äthiopischen Provinz Kaffa stammend und ebenso wie der Tee im 17.Jahrhundert in Europa eingeführt, ist dem arabischen Namen nach ein ,,anregendes Getränk'', das den Geist schärft und das Sprachzentrum stimuliert. Er funktioniert wie ein Aufputschmittel, weil die in den Kaffeekirschkernen enthaltenen Röststoffe dafür sorgen, dass das Koffein gleichsam schockartig vom Körper aufgenommen wird.

Tee oder Kaffee? - Heute keine Frage mehr von Leben oder Tod

,,Der Kaffee macht nüchtern, aber er stürmt wie mit hundert Pferden dahin'', bemerkte der Wiener Korrespondent des Berliner Tageblatts Heinrich Eduard Jacob in seinem 1934 erschienenen Kultursachbuch ,,Sage und Siegeszug des Kaffees''. Und der Tee? ,,Der Tee hat Stille, buddhistisches Schweigen.''

Der durch Welken, Rollen, Fermentieren aus dem Teestrauch (Camellia Sinensis) gewonnene Schwarztee ist ebenfalls reich an Koffein, was aber langsam und je nach Ziehzeit beruhigend oder belebend wirkt. Der größte und unbestreitbarste Vorzug von schwarzem und grünem Tee besteht jedoch darin, dass beide Fluoride, Catechine und Chlorophyll enthalten und somit nicht nur gut für die Zähne sind, sondern gleichzeitig Mundgeruch vermindern - was manchem Schüler ein anderes Kindheitstrauma, den Schrecken vor unter Halitose leidenden Lehrern, nehmen könnte.

Tee ist Tao, der Ursprung allen Seins, ein Tonikum, Aphrodisiakum, Politikum. Ohne Tee hätten die Nazis womöglich den Zweiten Weltkrieg gewonnen, Neil Armstrong wäre nicht der erste Mann auf dem Mond gewesen und George W. Bush nicht der 43. Präsident der USA. Ohne Tee hätte es nämlich die Vereinigten Staaten von Amerika nicht gegeben.

Kaffee oder Tee? Ein Glaubenskrieg!

Die sogenannte ,,Boston Tea Party'' begann damit, dass das Parlament in London der britischen Ostindien-Gesellschaft das Monopol einräumte, ihre Kolonien in der Neuen Welt mit Tee zu beliefern - unter Umgehung der amerikanischen Importeure. Als am 16. Dezember 1773 drei Schiffe der East India Company in den Hafen von Boston einliefen, schlichen etwa sechzig, als Mohikaner verkleidete Männer an Bord, warfen 342 Kisten feinsten Bohea-Tees ins Meer, lösten dadurch den Unabhängigkeitskrieg - und am 4. Juli 1776 die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika aus.

,,Die Vernichtung des Tees ist eine so kühne, entschlossene, furchtlose und kompromisslose Tat'', schrieb der kaffeetrinkende zahnlose Präsident John Adams in sein Tagebuch, ,,und sie wird notwendigerweise so wichtige und dauerhafte Konsequenzen haben, dass ich sie als Epoche machendes Ereignis betrachten muss''. Er sollte recht behalten: Tee hat seitdem ein Imageproblem in den USA, und Kaffee avancierte dort zum Symbol für Freiheit, Demokratie und aggressive Marktwirtschaft.

Zur selben Zeit wollte der schwedische König Gustav III. beweisen, dass Kaffee giftig sei. Er begnadigte zwei zum Tode verurteilte Häftlinge, ließ den einen in seiner Zelle fortan Kaffee, den anderen Tee trinken. Zwei Mediziner sollten das schnelle und doch qualvolle Siechtum des Kaffeetrinkers dokumentieren. Die Häftlinge tranken und tranken, erst Tage und Wochen, dann Monate und Jahre.

Erst starb der eine Arzt, dann der andere. Dann die, die ihnen nachfolgten. Auch König Gustav III. erlebte das Ende des Experimentes nicht. Er wurde 1792 ermordet. Nichtsdestotrotz reichten die Wärter den beiden Gefängnisinsassen weiterhin Tee oder Kaffee. Bis der Teetrinker vor dem Kaffeetrinker starb. Im Alter von 83 Jahren. Der Kaffeetrinker wurde entlassen. Keiner weiß, wie alt er geworden ist.

Seitdem ist die Frage nach Tee oder Kaffee keine Frage von Leben oder Tod mehr, sondern eine der Ehre, der Haltung, des Geschmacks.

Tee muss und wird sich gegen Kaffee niemals durchsetzen. Tee braucht Zeit. Tee ist das Gegenteil von ,,to go''. ,,Die Teestunde hat mehr als sechzig Minuten. Sie scheint überhaupt nicht metronomisch begrenzt'', erkannte der Hannoveraner Dichter Karl Krolow 1972, als er den nordwestlichsten Zipfel Niedersachsens bereiste und mit der ostfriesischen Teezeremonie vertraut gemacht wurde. ,,Man trinkt Tee in Ruhe. Man trinkt ihn gründlich. Geduld gehört dazu.''

Für die Teezubereitung gibt es keine Automaten. Es gibt den immer gleichen ,,Treckpott'' aus Porzellan, der vor dem Aufguss heiß ausgespült wird. Es gibt das Teegeschirr: die Servierkanne, das Stövchen, das Sieb, die Schaufel, den Kessel, das heiß sprudelnde Wasser und natürlich den Tee selbst, bernsteingolden, mit leichtem, zartbittrem Rauchgeschmack, geschüttelt, nicht gerührt, gesüßt mit einem kristallförmigen, über den Tassenrand hinausragenden Kandis, umwölkt von einem Schuss süßer Sahne.

In Ostfriesland, diesem Wunderland, schrieb der mit Ernst Jünger befreundete Schriftsteller Gerhard Nebel 1964, müsse die vier Mal täglich zelebrierte ,,Mad Tea-Party'' als ,,ein Bekenntnis zum Stamm'' gedeutet werden, ,,als ein Kult, in dem der Stamm sich selbst feiert. Alles, was mit dem Tee zusammenhängt, besitzt Kleinod-Charakter.''

Ein Ritus? Ein Fetisch?

Vielleicht.

Aber kein Zen. Keine Philosophie. Keine Metaphysik.

Nur Tee. Viel Tee.

Das ist das ganze Geheimnis.

Der seltenste und teuerste Tee der Welt ist übrigens der aus China stammende Bai Hao Yinzhen. Er wird auch ,,Weiße Silbernadel'' genannt, nach dem silbrigen, seidenartigen Flaum, der die jungen, noch ungeöffneten Knospen umgibt. Die Sträucher dieses Tees gedeihen am besten in der Provinz Hunan, auf der mitten im Dongting-See gelegenen Insel Junshan.

Die Blätter werden nur an zwei Morgen im Jahr - in der Zeit zwischen dem 15. März und dem 10. April - gepflückt und anschließend in goldenen Körben getrocknet. Der Legende nach wurde dieser unfermentierte weiße Tee direkt an den kaiserlichen Hof geliefert, weil man ihm eine lebensverlängernde Wirkung nachsagte.

Der seltenste und teuerste Kaffee der Welt ist der aus Indonesien stammende Kopi Luwak. Die Kaffeekirschen dieser besonderen Sorte wachsen zwar auch auf Bäumen, werden aber erst geerntet, nachdem sie den Darm des nachtaktiven Fleckenmusangs (Paradoxurus hermaphroditus) durchwandert haben.

Die zu den Schleichkatzen gehörenden Tiere verdauen nur das rote Fruchtfleisch und scheiden die Kerne unversehrt und durch ihre Magenenzyme vollendet veredelt wieder aus. Diese natürliche Nassfermentation verleiht den Bohnen ein dunkles, muffiges und - dem britischen Komiker und Kopi-Luwak-Kenner John Cleese zufolge - ,,erdiges, modriges, mildes, sirupgleiches'' Aroma, das Feinschmecker dazu verführt, 1000 Euro pro Kilo zu zahlen.

Was wollen uns diese Worte sagen?

Spitzentee ist silbern?

Spitzenkaffee scheiße?

Vielleicht.

,,Oder vielleicht nicht'', wie Otto Waalkes in seinem Wort zum Montag orakelte: ,,Wer weiß.''

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