Süddeutsche Zeitung

Afghanistan unter den Taliban:Der Hilferuf

Für die Kunst und die Rechte der Frauen: Die afghanische Filmemacherin Sahraa Karimi schlägt Alarm.

Von Laura Hertreiter

Sahraa Karimi steht für vieles, was sich in Afghanistan in den vergangenen zwei Jahrzehnten getan hat. Sie ist die erste (und einzige) Frau im Land mit einem Doktortitel in Regie und Drehbuch, und eine unerschrockene Filmemacherin. 2019 hat sie "Hava, Maryam, Ayesha" bei den Filmfestspielen in Venedig gezeigt, eine Doku über drei Afghaninnen zwischen Burka und Abtreibung. Damit steht sie allerdings auch für vieles, was seit dem Durchmarsch der Taliban in ihrem Land in Gefahr ist.

"Alles, wofür ich als Filmemacherin in meinem Land so hart gearbeitet habe, droht zugrunde zu gehen", schreibt sie nun in einem Brief, den sie über die sozialen Netzwerke verbreitet hat, und in dem sie die Filmwelt um Hilfe bittet. "Wenn die Taliban an der Macht sind, werden sie alle Kunst verbieten."

Was das bedeutet, hat sie vor schon mal erlebt. Sie ist die erste Präsidentin der staatlichen Organisation Afghan Film, die neue Produktionen unterstützt und das gesamte Filmarchiv des Landes beherbergt, vielmehr: dessen Reste. 1996 ist der Großteil der Sammlung zerstört worden, als die an die Macht gekommenen Taliban Film für ketzerisch erklärt hatten. Dass es überhaupt noch alte afghanische Filme gibt, ist wohl Angestellten zu verdanken, die damals einiges Material herausschmuggeln konnten. Und nun alles von vorn?

"Die Taliban werden Frauen ihrer Rechte berauben, wir werden in den Schatten unseres Heims gestoßen."

Die höheren Funktionäre der Taliban geben sich heute gewandelt: Sie sprechen davon, dass niemand Rache zu fürchten habe, auch Frauen ihre Rechte bekämen, dass sie der Kultur Platz einräumten. Wie groß dieser Platz sein wird, lässt sich schwer prognostizieren. Und man wird sehen müssen, ob auch Provinzkommandeure und rangniedere Kämpfer für den angeblichen Wandel einstehen werden. Bereits jetzt berichtet Sahraa Karimi von Gewalt und Unterdrückung. "In den vergangenen Wochen haben die Taliban unsere Leute massakriert, sie haben viele Kinder gekidnappt, Mädchen als Kinderbräute an ihre Männer verkauft, sie haben Frauen wegen ihrer Kleidung ermordet, sie haben einen unserer geliebten Komödianten gefoltert und ermordet und einen unserer Dichter sowie den Zuständigen für Kultur und Medien unserer nun abgesetzten Regierung." Die Kunst und die Frauenrechte in Afghanistan seien in höchster Gefahr, schreibt sie. "Die Taliban werden Frauen ihrer Rechte berauben, wir werden in den Schatten unseres Heims gestoßen."

Als Karimi ihren Frauenfilm in Venedig vorstellte, hatte sie mit Angelina Jolie eine prominente Unterstützerin an der Seite. "In Zeiten, in denen die Zukunft des Landes in der Schwebe ist, erinnert uns dieser Film daran", sagte die US-Schauspielerin damals, "was für Millionen afghanischer Frauen auf dem Spiel steht, die die Freiheit, Unabhängigkeit und Sicherheit verdienen, ihre eigenen Entscheidungen über ihr Leben zu fällen." Vor zwei Jahren war das.

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