Sachbuch "Planetar denken":Jawohl, Eure Planetschaft

Erde

Nicht vom Menschen aus zu denken, sondern von der Gesamtheit des Planeten Erde aus, wäre das Ziel.

(Foto: Nasa)

Die Erde im Mittelpunkt, nicht der Mensch: Das Buch "Planetar denken" will einen Denkstil für das Anthropozän und dessen Überwindung prägen.

Von Niklas Elsenbruch

Selbstbezogenheit und Blindheit für die Folgen ihres Handelns haben die Menschheit an den Rand der "eigenen Auslöschung" getrieben - und zahlreiche Lebewesen mit ihr. Diese Diagnose und Mahnung war zuletzt auf der Weltklimakonferenz in Glasgow wieder von höchster Stelle zu hören. Patricia Espinosa, die Generalsekretärin der UN-Klimarahmenkonvention, sprach sie dort zum Auftakt aus. Neu ist diese Erkenntnis freilich ebenso wenig wie die Einsicht, dass wir eines grundlegenden kulturellen Wandels bedürfen und nicht bloß die Ideologien von Ausbeutung und Wachstum mit effizienterer Technologie fortsetzen können.

Die Paradigmen der benötigten Erneuerung sind damit jedoch noch nicht ausformuliert. Welchen konkreten "Denkstil" hätte eine ethische Lebenshaltung im 21. Jahrhundert zu pflegen? Dieser Frage widmen sich die Politikwissenschaftler Frederic Hanusch, Claus Leggewie und Erik Meyer in ihrem Buch "Planetar denken". Der Titel gibt zugleich die Antwort: Wir sollen "die Erde epistemologisch, ontologisch und ethisch als Planeten anerkennen, menschliches (Zusammen-)Leben also durch einen sich stets wandelnden Planeten verstehen". Was heißt das? Und bringt uns das weiter?

Nachdem Kopernikus den Geozentrismus eigentlich verabschiedet hatte, ist man heutzutage dankbar für jede Perspektive, die den Planeten in den Mittelpunkt rückt

Dass die Erde ein Planet ist, dürfte - in erkenntnistheoretischer wie wesensmäßiger Hinsicht - unwidersprochen bleiben. Ebenfalls dass wir sie auf ethisch unangemessene Weise bewohnen. Interessanter ist schon die Umkehrung der anthropozentrischen Perspektive: Statt die Erde nach dem Maßstab unserer Verlangen zu definieren und zu globalisieren, sollen wir das menschliche Leben von seiner planetaren Existenzgrundlage her begreifen. Nachdem die Kosmologien eines Kopernikus und Kepler das geozentrische Weltbild eigentlich verabschiedet hatten, ist man heutzutage dankbar für jede Änderung der Denkart, die den Planeten selbst in den Mittelpunkt rückt und nicht den Menschen.

Für die Autoren heißt das, sich der blauen Perle in ihrer Gesamtheit anzunähern, idealtypisch verkörpert auf den berühmten Aufnahmen der Apollo. Dieser Herangehensweise steht der Neologismus "Planetschaft" Pate, der nach dem Vorbild der "Landschaft" darauf hinweisen will, "dass Regionen unseres Planeten lokalräumlich geprägt, aber stets planetar überformt sind". Dementsprechend die Wechselwirkungen "vom Erdkern bis in den interplanetaren Raum" zur Kenntnis zu bringen, stellt jeden Einzelnen vor große Herausforderungen.

Auch bedeutet die Erweiterung der Gaia-Hypothese von der Erde als lebendigem Organismus bis hinein in den Weltraum gewaltige Streckübungen für die moralische Fantasie. Originell ist sie gleichwohl in eingeschränktem Maße - wie ihre Pointierung im Leitspruch "Denken wie ein Planet" zeigt, der lediglich die ökologische Maxime "Denken wie ein Berg" des amerikanischen Umweltethikers Aldo Leopold von 1949 umformuliert.

Statt "Planetozentrismus" wollen die Autoren eine "erweiterte Anthropologie"

Bei aller Hinwendung zum Planeten wollen die Autoren den Anthropozentrismus keineswegs durch einen "Planetozentrismus" ersetzen, "der menschliches Leben als nur einen von vielen gleichberechtigten Bestandteilen eines Ökosystems betrachtet". Ihr Anliegen ist nicht "die Einebnung der Unterscheidung zwischen Menschlichem und Nicht-Menschlichem", sondern "die Ermittlung und Einbeziehung des ,Mehr-Als-Menschlichen' in einer erweiterten Anthropologie". Demgemäß bestimmen sie sogenannte "Planet-Mensch-Beziehungen als die grundlegenden Elemente planetaren Denkens".

Die beiden Partner nähern sich einander an, wenn der Mensch im Stoffwechsel mit der Erde auch als materielles Wesen auftritt. Dafür rückt die belebte Natur irgendwo in die Nähe menschlicher Handlungsfähigkeit, beweist zumindest "Wirkmächtigkeit". Längst kann die moralisch bankrotte Menschheit sich nicht mehr als autarke Herrscherin verstehen. Sie muss Verankerung und Einbettung in der Natur suchen. Daraus folgt ihre Relativierung. Wenn die Autoren "den Menschen seiner Sonderstellung entheben, ohne ihn dabei aus seiner Verantwortung" als intentionales Wesen zu entlassen, erreicht ihr Aufschlag vielleicht seinen Gipfel.

Sachbuch "Planetar denken": Frederic Hanusch, Claus Leggewie, Erik Meyer: Planetar denken. Ein Einstieg. transcript, Bielefeld 2021. 198 Seiten, 18 Euro.

Frederic Hanusch, Claus Leggewie, Erik Meyer: Planetar denken. Ein Einstieg. transcript, Bielefeld 2021. 198 Seiten, 18 Euro.

Spätestens beim kritischen Übergang vom planetaren Denken zum Handeln lässt ihre Theorie jedoch Federn: Kurz werden Rockströms planetare Belastungsgrenzen aufgewärmt, im Anschluss gleich Geoengineering und Marsbesiedlung diskutiert. Was gäbe es dazwischen? Ach, ein bisschen global governance.

Als Versammlung verschiedener Theorien unter einem neuen Paradigma leistet "Planetar denken" hilfreiche Arbeit. Konsequent umgesetzt trüge der Denkstil zur Linderung der ökologischen Schieflage unseres Planeten bei. Wenngleich das Buch als Einstieg konzipiert ist, hätte mehr originelle Eigenleistung und Ausarbeitung aber nicht schaden können. Wir brauchen sie so dringend.

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