Süddeutsche Zeitung

Sachbuch:Kosmische Wollmäuse

In "Wow - die Erde" wird der Planet aus unterschiedlichen Blickwinkeln betracht. Der Autor verbindet Astronomie, Geologie und Klimaforschung.

Von Helmut Hornung

Irgendwo in den Weiten des Weltalls hat es einen Stern zerrissen. Die Materie wabert im Raum und bildet schließlich eine Wolke. In ihr ziehen sich die Gas- und Staubteilchen gegenseitig an und verklumpen. Diese kosmischen Wollmäuse wachsen stetig zu immer größeren Brocken heran. Während im Herzen der Wolke ein gigantischer Gasball entsteht, formen sich in der Scheibe mehr oder weniger große Kugeln. Im Lauf der nächsten paar Milliarden Jahren wird auf einer von ihnen intelligentes Leben auftauchen. "Wow - die Erde!" könnte ein Beobachter des Spektakels begeistert ausrufen. Der Carlsen-Verlag macht diesen Satz zum Titel eines Sachbuchs und zum Ausgangspunkt für eine lehrreiche Reise kreuz und quer über unseren Planeten.

Wer wissen will, wie Tintenfische auf den Mount Everest kommen oder was Küchen-Arbeitsplatten mit Vulkanen zu tun haben, der ist bei Marc ter Horst gut aufgehoben. Seine Texte sind flüssig aus dem Niederländischen übersetzt, für Kinder ab zehn Jahren leicht zu lesen, jederzeit verständlich und machen auch Erwachsenen Spaß. Für die vielen Illustrationen hat Wendy Panders eine witzige Bildsprache entwickelt: Zeichnungen, Fotos und Collagen wechseln sich darin ab und erklären und ergänzen den Text auf originelle Weise.

In sechs Abschnitten beleuchtet das Buch unsere irdische Heimat aus unterschiedlichen Perspektiven. Einfallsreich erklärt der Autor komplizierte Dinge - so das Spiel von Ebbe und Flut anhand von Mäusen, die eine Käsefabrik erschnüffeln. Weil die Tiere nahe der Fabrik den Käse am besten riechen, werden sie von ihr am stärksten angezogen und rennen am schnellsten. Die am weitesten entfernten Mäuse schnuppern fast nichts und bleiben zurück. Jene in der Mitte kommen ein wenig schneller vom Fleck. Sie entsprechen der festen Erde, die beiden anderen Gruppen symbolisieren die Flutberge. Der Geruch ist die Schwerkraft und die Käsefabrik der Mond.

Am Ende gibt es noch eine Tageschau der Zukunft: 8. September 2106

Das Buch vereint die Ergebnisse verschiedener Disziplinen wie Astronomie, Geologie, Petrologie, Klimaforschung und der Geschichte der Menschheit. Diese Vielfalt birgt allerdings die Gefahr, dass ter Horst zu viele Themen anpackt und hin und wieder den roten Faden verliert. Beispielsweise erscheinen die Tipps zum Überleben von Hurrikans, Erdrutschen, Dürren oder Waldbränden entbehrlich. Ebenso wäre es didaktisch geschickter gewesen, die beiden im Buch verstreuten Abschnitte über die Atmosphäre zusammenzufassen. Sehr gelungen hingegen die "Tagesschau der Zukunft": In den fiktiven Nachrichten vom 8. September 2106 dominieren die Folgen des Klimawandels. Da mag der eine oder andere doch nachdenklich werden. Nicht nur deswegen ein Sachbuch mit "Wow"-Effekt. (ab 10 Jahre)

Marc ter Horst: Wow - die Erde! Mit Illustrationen von Wendy Panders, Carlsen Verlag, Hamburg 2016. 118 Seiten, 16,99 Euro

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Quelle:
SZ vom 18.10.2016
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