Sachbuch:Im Widerstand

Characters and Caricatura

William Hogarths "Characters and Caricaturas".

(Foto: William Hogarth)

Andreas Platthaus präsentiert in "Das geht ins Auge" fünfzig große Karikaturisten, mit jeweils einer markanten Zeichnung. So entsteht eine fantasievolle Geschichte der Karikatur.

Von Fritz Göttler

Der mächtigste Karikaturist aller Zeiten? Andreas Platthaus, Literaturredakteur der FAZ, votiert in seinem Buch "Das geht ins Auge" für Gianlorenzo Bernini. Mächtig war er als umworbener Großarchitekt des 17. Jahrhunderts, mächtig aber auch in vielen Zeichnungen, in denen er die Menschen um sich her pointiert skizziert, "zum Scherz deformiert" und ihren Charakter sichtbar gemacht hat. Zum Beispiel den Papst Innozenz XI., auf seinem Bett kauernd, mit dürren Fingern und dürrem Hals und einer wackeligen Tiara, die aussieht wie eine Schlafmütze. Ein gewagtes Bild, nicht für die Öffentlichkeit gedacht, denn die Inquisition war unerbittlich und verstand keinen Spaß. Die Zeichnung wäre als Blasphemie gewertet worden, so brisant auf ihre Art wie die Mohammed-Karikaturen heute.

Zu Berninis Zeit kam der Begriff Karikatur auf und eine erste Definition, wie sie die Wirklichkeit "verzeichnet", deshalb steht er neben Leonardo am Anfang der Galerie, in der Andreas Platthaus fünfzig große Karikaturisten präsentiert, mit jeweils einer markanten Zeichnung. Die Lust am Erzählen ist immens, am Erzählen der Bilder und ihrer Geschichten, der historischen Situation, in der sie entstanden und die sie kommentieren - und wie die Gesellschaft darauf reagierte, immer wieder mit Verfolgung und Verurteilung. Die Fülle des Materials quillt dann über, je weiter es ins 20. Jahrhundert geht, mit seinen erschreckenden politischen Ereignissen und seinen großen Karikaturisten, bis zum letzten Kapitel "Checkpoint ,Charlie'", über die Morde an den Mitarbeitern von Charlie Hebdo. Dabei geht die Linie des Buches verloren - durch die einzelnen Zeichner und Zeichnungen eine Vorstellung vom Begriff der Karikatur zu geben und von ihrem Funktionieren.

Man findet viele Klassiker in der Sammlung, gleich nach Bernini kommt William Hogarth, der Meister der karikaturesken Erzählung, der zeigt, wie minimal der Unterschied sein kann zwischen Charakteren und Karikaturen. Später dann Charles Philipons Louis-Philippe-Bild "Les Poires" (1831) mit dem König als Birne (Majestätsbeleidigungsprozess folgte), das später dann Helmut Kohl als Birne inspirierte, Honoré Daumiers grausiger "Traum des Erfinders des Zündnadelgewehrs (an Allerheiligen)", erschienen im berühmten Charivari am 1. November 1866, John Tenniels Bismarck-Gedenkbild "Dropping the Pilot / Der Lotse geht von Bord " (1890), John Heartfields "Blut und Eisen"-Kreuz (1934), Andreas Paul Webers "Das Gerücht" (1943). Nach dem Ende des Weltkriegs dann Loriot und Prechtl, Sempé und Bretécher, Waechter und Murschetz, Spiegelman, und die bösen Briten Searle, Scarfe, Bell - der wieder einen Papst ins Zentrum setzt, diesmal unseren Benedikt.

Karikatur ist ein Aufklärungsgenre bei Platthaus, ihre Geschichte ist die Geschichte der Vernunft, die gegen gesellschaftliche Obsessionen, Religionen und Ideologien antritt. Darauf ist denn auch die Deutung einer der berühmtesten Karikaturen gegründet "El sueño de la razón produce monstruos" aus der Serie der "Caprichos" (1797/98), mit denen Francisco José Goya das Genre dem 19. Jahrhundert anpasste, Karikatur noir. Das Wort sueño kann im Spanischen sowohl Schlaf wie Traum bedeuten, aber für Platthaus kann eine fantastische Produktivität des Traums, eine dunkle Seite der Vernunft nicht gemeint sein auf diesem Bild.

Was trennt die Karikatur von der Schmähung? eine aktuelle Frage

"Zur Karikatur", schreibt Andreas Platthaus, "gehört Widerstand, seitens des Karikaturisten und seitens der Karikierten." Weshalb das früheste Beispiel, das er zeigt, eigentlich keine Karikatur ist - ein Graffito in einer Mauer in einem römischen Kaiserpalast, wohl aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus, die "erste Gotteslästerung". Ein Mann betet einen Gekreuzigten an, der einen Eselskopf hat. Ein Spott gegen eine damals verfolgte Religion, also ein Akt der Häme, ein Schmähbild. Karikatur und Schmähung, die Diskussion ist durchaus aktuell.

Karikatur hat eine feste Stoßrichtung in den Analysen dieses Bandes, ein Ziel, eine Intention, eine Bedeutung. Aber dann wird man immer auch von der zarten, kritzeligen Atmosphäre dieser Zeichnungen berührt, von dem, was über diese Bedeutung hinausgeht und was Roland Barthes den "stumpfen" Sinn genannt hat. Berninis kleiner Innozenz und der Mohammed von Charlie Hebdo sind zwei einsame, verschrumpelte, alte Männer. Sie sind Gefangene ihrer Religion, überfordert von der Größe ihrer Aufgabe, die man ihnen aufgezwängt hat. Es ist am Ende ihre Traurigkeit, die ihre Lächerlichkeit ausmacht.

Andreas Platthaus: Das geht ins Auge. Geschichten der Karikatur. Die andere Bibliothek Band 381, Berlin 2016. 479 Seiten, 42 Euro.

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