Sachbuch "Erwachsenensprache":Wenn ein Philosoph zur Kritik ausholt

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Robert Pfaller attestiert der Gesellschaft "immer nur neue Unzufriedenheit". (Foto: Jeff Mangione)

Der Kulturtheoretiker Robert Pfaller schreibt gegen ein lustfeindliches, ideologisch hoch gerüstetes Spießertum an, verliert sich aber in Polemik.

Von Jens Bisky

Als der Schlagzeuger der anständigen Punkband Feine Sahne Fischfilet vor Jahren auf einem Konzert das T-Shirt auszog, wurde er gebeten, es wieder anzuziehen. Die Kritiker sagten ihm ein unkritisches Verhältnis zum eigenen Privileg nach - Frauen dürfen ihre Brustwarzen nicht so selbstverständlich entblößen. An der Berliner Alice-Salomon-Hochschule wird diskutiert, ein Gedicht Eugen Gomringers von der Hauswand zu entfernen, weil es angeblich patriarchale Muster wiederhole und an Belästigung erinnere. Als der Philosoph Robert Pfaller an Bord eines Flugzeuges Michael Hanekes Film "Amour" anschauen wollte, erhielt er vorab eine Warnung vor "adult language", die Erwachsenensprache könne seine Gefühle verletzen. Sind dies die Kämpfe unserer Tage? Zeichen für das Vordringen eines lustfeindlichen, ideologisch hoch gerüsteten Spießertums, das mit Verweis auf seine Sensibilität grobe Akte puritanischer Reinigung rechtfertigt?

Der öffentliche Raum fällt selbstverliebten Killermimosen in die Hände

Robert Pfaller, der in Linz Kulturtheorie lehrt, ist geneigt, eigene Erlebnisse für symptomatische zu halten. Auf der einen Seite wird vor Erwachsenensprache gewarnt, als seien wir alle zu sensibel, um ungewarnt und unbetreut durchs Leben zu gehen, auf der anderen Seite erleben wir eine "eklatante Brutalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse". Dieses Nebeneinander sei nicht zufällig, behauptet Pfaller in seinem jüngsten, viel diskutierten Buch ( Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017, 256 Seiten, 14, 99 Euro, E-Book 12,99 Euro).

Der Triumph der Befindlichkeiten, die Identitätspolitik, der grimmige Streit um "korrekte" Benennungen, das gesamte zartbesaitete und dabei aggressive Getue passen bestens zur neoliberal gewollten Entsolidarisierung. Isolierte Individuen, zur Ironie unfähig, pflegen einen aseptischen Umgang miteinander und sind nicht mehr in der Lage, Vorstellungen von einem Gemeinsamen, einem Allgemeinen zu entwickeln. Zugespitzt: Binnen-I, Triggerwarnungen und Rauchverbot zerstören den öffentlichen Raum, er fällt selbstverliebten Killermimosen in die Hände.

Robert Pfaller ist mit Büchern zur Verteidigung des sündigen, lustvollen Lebens bekannt geworden, Nietzsche, Freud, Sennett und Žižek liefern ihm Stichworte, er argumentiert anekdotenreich, formuliert ich-stark und saftig. Hinter viele seiner Sätze schreibt man "ja" oder "genau", gern auch mit drei Ausrufezeichen.

In dem Augenblick, in dem Gleichheit nicht mehr versprochen war, Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum nicht gewährt werden sollte, eine bessere Zukunft nicht in Aussicht stand, wurde zum Rückblick auf die Herkunft ermuntert, traten die Politiken der Identität und der "Diversität" ihren Siegeszug an. Das ging leichter, wenn man Bürgerlichkeit, Erwachsenheit, "die Fähigkeit vom Privaten und Persönlichen abzusehen und nur das öffentlich Relevante zu behandeln", zur Marotte alter weißer Männer erklärte. Die bewährten Formen, Allgemeines zu verhandeln, wurden als bloß partikulare diffamiert.

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All die Eingriffe in den Sprachgebrauch, um Gendergerechtigkeit herzustellen, haben "keine zufriedenstellenden Bezeichnungen hervorgebracht, sondern immer nur neue Unzufriedenheit". Wäre es nicht gescheiter, die Forderung "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" durchzusetzen?

Pfaller schüttelt den Kopf über die modische Lust am Unbestimmten, verteidigt Ironie und Distanz als wirksame Mittel gegen die Infantilisierung "durch Ermunterung zur Empfindlichkeit". Erwachsenheit, das heißt vor allem in Erwachsenensprache politische und soziale Forderungen zu stellen, statt pseudopolitische Kampagnen zum Schutz der Bürger vor den "notwendigen Begleiterscheinungen des Lebens" zu orchestrieren. Unter "adultsforadults.eu" versammeln sich Pfaller und Freunde als Bürger gegen bevormundende, gegen herablassende Politik.

"Erwachsenensprache" ist gleichermaßen Skizze notwendiger Ideologiekritik wie kulturkritisches Professorenlamento. Wie vor ihm auf andere Weise Mark Lilla kritisiert er die Vernachlässigung der sozialen Frage zugunsten von Identitätspolitik, wobei er nicht gegen Frauen- und Schwulenrechte argumentiert. Er will nur erst Gleichheit, dann ergebe sich der Rest.

Der nahe liegende Einwand, man könne doch beides tun, zum Beispiel für die Rechte von Frauen und die von Arbeitnehmern streiten, es könnten doch - wie im Film "Pride" zu bewundern - Londoner Schwule sich mit streikenden Bergarbeitern solidarisieren, verfehlt Pfallers Pointe. Eben diese Solidarität, das Formulieren gemeinsamer Interessen, werde durch Radikalfeminismus, Gesundheitsvergötzung, Diversitätsanbetung, Sprachregelungswut unmöglich gemacht. Allerdings bleibt Pfaller den Nachweis dafür schuldig. Sein Buch steht symptomatisch für die Ungenauigkeiten der Debatte und zeigt, wie Ideologiekritik in Ideologie umschlägt.

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Das Desinteresse an der Wirklichkeit, an tatsächlichen Zusammenhängen ist hier auf die Spitze getrieben. Das beginnt mit dem "Neoliberalismus", der auftritt wie der Teufel im Kasperle-Theater. Was damit gemeint ist, wird nur angedeutet, Hauptsache, die Kinder gruseln sich. Den politischen Protagonisten des "Neoliberalismus", im Sinne von Deregulierung, Abbau von Arbeitnehmerrechten und Privatisierung vormals öffentlicher Daseinsvorsorge, sagen wir Ronald Reagan und Margaret Thatcher, lag die Absicht fern, tradierte Familienmodelle und Geschlechterrollen zu erschüttern. Aber sie haben dazu entscheidend beigetragen. Diesen Erschütterungen Freiheitsgewinne abzutrotzen, war die Aufgabe der Bewegungen für Minderheitenrechte, für Frauenrechte.

Diese haben, zweitens, nicht nur kulturalistisch übertrieben, worüber die Glossen sich von selber schreiben, sondern in erster Linie politische Forderungen gestellt. Die deutsche Schwulenbewegung dreht sich weniger um Befindlichkeiten, das bei Gelegenheit auch, vor allem aber ging es um den Paragrafen 175. Der wurde, historisch gesehen, eben erst abgeschafft, seit Kurzem gibt es die Ehe für alle, und es ist nicht ersichtlich, welche VW-Arbeiterin oder welcher geschurigelte Putzmann in einer Leiharbeitsfirma dadurch an der Artikulation seiner Interessen gehindert wird.

Die Opfer der gegenwärtigen Wirtschaftsweise ergehen sich bei ihm "in Gerülpse"

Drittens: Auch die Empörten und Verzweifelten, die Opfer der gegenwärtigen Wirtschaftsweise, würdigt Pfaller keines näheren Blicks. Er konstatiert eine elende Lage und unterstellt ihnen, sie würden sich "vielleicht auch trotzig - in immer dumpferem und unflätigerem Gerülpse ergehen", während "Teile der Eliten und die gehobenen Mittelschichten, die von der neoliberalen Politik entweder profitieren oder dies erhoffen" das verkrampfte und elitäre Saubersprechen pflegen. Aus der Wirklichkeit kennen wir das "Gerülpse" der Mittelschichten und der Eliten, die sich dabei gern auf die Armen und die Abgehängten berufen. Aber das ist ein rhetorischer Trick.

In einem Bereich der Wirklichkeit kennt sich Pfaller aus, an den westlichen Universitäten. Er stilisiert Vorfälle der jüngeren Universitätsgeschichte und Frustrationen im Alltag zu allgemein gesellschaftlichen Problemen. Dann erscheinen Konflikte zwischen Fraktionen im akademischen Milieu als größere soziale und politische Kämpfe. Sprachpolizisten, Identitätsfanatiker und "neoliberale" Evaluierungsfetischisten mögen in Uni-Gremien besonders nerven. Pfaller erzählt von einer Kollegin, die Evaluierungsbemühungen mit dem Satz abschmetterte: "This is against my culture". Diese ironische und erfolgreiche Intervention wirkt sehr erwachsen.

© SZ vom 12.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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