Ryan Phillippe über Los Angeles:"Ich habe diese Leute gehasst"

In Hollywood wird er mit Marlon Brando und James Dean verglichen - aber Ryan Philippe hat ein Problem mit Hollywood. Wieso der 36-Jährige seine Heimat als eine Welt voll Selbstgerechtigkeit, Anspruchsdenken und angefressener Arroganz kennt: Ein Interview über Hass auf die Hiltons, das Hocharbeiten und den Wert einer echten Familie.

Kristin Rübesamen

Erst ist er gar nicht zu erkennen im Gegenlicht der Berliner Sonne. Dann schält sich aus dem Dunkel der Suite ein blonder Engel in Jeans und T-Shirt: Ryan Phillippe. Als Schauspieler ist er unterschätzt, als Frauenschwarm unter Beschuss. Den Obstteller rührt er nicht an; es gibt auch nichts zu trinken. Leichter Silberblick; das muss genügen. Halt, stopp! Um die Ecke ist der Schinkelpavillon? In dem sie gerade Tierfilme zeigen? Das tippt er sich schnell ins iPhone. Oha - ein Intellektueller!

"Studio 54"

Ryan Philippe (in "Studi 54", 1997): "Heute beherrschen Marketingexperten und Werbefachleute Hollywood"

(Foto: DPA)

SZ: Mr. Phillippe, ich würde gerne mit Ihnen über Ihren Wohnort sprechen.

Ryan Phillippe: Ich habe 16 Jahre lang in Los Angeles gelebt. Und ich war so gut wie nie in Downtown.

Das kann einem dort einfach passieren?

Ja, die einzelnen Lebensräume sind vollkommen voneinander abgeschnitten. Die Leute sitzen ständig im Auto. Auf der Straße spielt sich sozial so gut wie nichts ab. Das geht so weit, dass die Menschen ihre Meinungen aus der Perspektive gewinnen, die sie von ihrem Viertel aus auf die Stadt haben.

L.A. sieht jedenfalls reichlich schäbig aus in Ihrem neuen Film Der Mandant: lauter ausgefranste Palmen in fahlem Licht, endlose Autobahnen, gesichtslose Apartments.

Ganz anders als das, was alle immer mit Los Angeles verbinden, nicht? Das Hollywood-Zeichen, Sunset Strip, Bel Air, Beverly Hills und Malibu... In unserem Film sieht die Stadt völlig anders aus, und zwar genau, wie sie wirklich ist: gierig. Der Anwalt in Der Mandant lebt auf der Ostseite von Downtown L.A., er sieht also auf die Stadt von der gegenüberliegenden Seite, von einem Winkel aus, den der Filmzuschauer kaum kennt.

Klingt schwer nach politischer Aussage.

Die Mehrheit der Bewohner lebt nun mal nicht in Beverly Hills oder Malibu, sondern genau so, wie es der Film zeigt. Wie gesagt, ich war 16 Jahre lang nicht in Downtown, aber nach diesem Film zieht es mich nun plötzlich öfter hin. Ich bin an der Ostküste aufgewachsen und habe meine Karriere in New York begonnen. Während der Dreharbeiten merkte ich auf einmal, wie sehr mir all die Jahre das Städtische gefehlt hat. Etwas, das es im Westen der Stadt nicht gibt: Menschen aller Rassen und Hautfarben, die es alle irgendwie schaffen wollen.

Das klingt sehr sentimental. Fehlt Ihnen das wirklich, abends mit dem unguten Gefühl aus dem Auto zu steigen, vielleicht zusammengeschlagen zu werden?

Ich nehme mittlerweile sogar gelegentlich meine beiden Kinder mit nach Downtown. Ich selber stamme aus der unteren Mittelschicht, meine Familie kämpfte darum, Rechnungen bezahlen zu können.

Ihre geschiedene Frau ist Reese Witherspoon, eine der drei bestbezahlten Schauspielerinnen der Welt. Sie sind auch nicht gerade unterbeschäftigt. Ihre Kinder wachsen also ganz anders auf als Sie.

Ja, wir sind Schauspieler, und wir verdienen Geld. Gerade deshalb versuche ich, meine Kinder mit der realistischen Seite des Lebens zu konfrontieren. Ich nehme sie sogar mit zur Skid Row...

...wo Tausende Obdachlose in Pappkartons leben.

Richtig, denn meine Kinder sollen verstehen, wie viel Glück sie haben. Und dass nicht jeder das Glück hat, ohne Sorgen groß zu werden. Es ist wichtig für sie, dass sie diese Perspektive einnehmen, ein Bewusstsein für die Unterschiede entwickeln; und hoffentlich auch ein Gewissen für Leute, die weniger als sie haben.

Funktioniert die moderne Klassengesellschaft auch deshalb so gut, weil die Reichen durch geographische, arbeitsbedingte und soziale Grenzen die Armen nicht mehr zu sehen bekommen?

Beverly Hills beispielsweise ist absolut homogen. Obwohl die größtenteils nicht weißen Gärtner, Arbeiter, Hausmädchen und Putzfrauen die Mehrheit in Los Angeles bilden, werden sie wie eine Minderheit behandelt. Ich komme damit nicht zurecht. Ich kann mich nicht daran gewöhnen, und als ich hierher gezogen bin, hat es mich richtig angewidert.

"Sie glauben, sie stünden über dem Gesetz"

Wie alt waren Sie damals?

Neunzehn. Mit siebzehn bin ich nach New York gegangen, mit buchstäblich 500 Dollar in der Tasche. Ich schlief auf dem Boden einer winzigen Wohnung in Soho - lange bevor Soho schick wurde - , und hing mit einer Theatergruppe rum, bis ich schließlich für eine Seifenoper im Fernsehen entdeckt wurde. Dann bin ich nach L.A. gezogen, hatte aber kein Auto. Also fuhr ich mit dem Skateboard zu Vorstellungsterminen und kam total verschwitzt an. Oder ich nahm den Bus.

Und wie haben Sie die Welt, in der Sie heute leben, als 19-jähriger Neuankömmling wahrgenommen?

Als Welt voller Selbstgerechtigkeit, Anspruchsdenken und angefressener Arroganz. Die Hiltons sind ja allen ein Begriff; und in L.A. gibt es so viele junge Leute wie sie. Sie wurden in unermesslich reiche Familien geboren, sitzen in Restaurants und Nachtclubs herum und glauben, sie stünden über dem Gesetz.

Haben die Ihnen damals denn gar nicht imponiert?

Im Gegenteil, ich habe sie gehasst. Ich musste ordentlich sparen, um in ein Restaurant gehen zu können, in dem sie das Geld zum Fenster hinauswarfen. Ich fand es widerlich und war trotzdem neidisch. Schon von klein auf habe ich gejobbt. Mit 15 habe ich im Supermarkt gearbeitet, die Gänge gekehrt, Einkaufswagen zusammengeschoben. Mein erstes Auto, eine echte Schrottschüssel, kaufte ich von diesem Geld, und in L.A. sah ich dann, wie Kinder mit nagelneuen BMWs zur Schule gefahren wurden. Es fühlte sich einfach nicht fair an. Aber: Im Nachhinein würde ich es gar nicht anders wollen. Weil die Wertschätzung so viel größer ist, wenn du dir selber etwas erarbeitest, als wenn man es dir einfach so in die Hand drückt.

Tina Fey, TV-Star und eine der prominentesten Gesellschaftssatirikerinnen Amerikas, beschreibt die Leute, die heute die Geschäfte in den Filmstudios machen, als rohe Machos. Und als Erbsenzähler ohne jede Inspiration.

Sie hat recht. Heute beherrschen Marketingexperten und Werbefachleute Hollywood. Niemand traut sich mehr, ein Risiko einzugehen. Früher gab es Studiochefs wie John Kelly, die selber kreative Impulse hatten und künstlerisches Arbeiten unterstützten.

Schon Cecil B. DeMille behauptete, Kinozuschauer interessieren sich nur für Geld und Sex.

Das ist ja auch brennend interessant, aber nur im entsprechenden Kontext.

Sie haben dann rasend schnell Karriere gemacht, jeden Kameramann mit Fragen gelöchert, das Handwerk von Grund auf studiert, heute aber kaum noch Lust darauf, Schauspieler zu sein und produzieren lieber selber.

Ich schreibe auch und habe gerade eine Serie an den "Showtime"-Kanal verkauft.

Sind Sie nun versöhnt mit der Welt, die Sie umgibt? Empfinden Sie sie nicht mehr als ungerecht?

Nein, die Entspannung hat sich bis heute nicht eingestellt. Weil einem dauernd bedeutet wird, wo du stehst. Niemand kann sich auf seinem Erfolg ausruhen in Hollywood, bei jedem geht es rauf und runter.

Auch Sie haben nicht immer die richtige Entscheidung getroffen.

Es gibt keinen einzigen Schauspieler, der keinen schlechten Film gemacht hat. Es gibt niemanden, der in Sicherheit ist. Kein Einziger von uns ist wirklich entspannt. Sogar Robert De Niro ist nervös und macht sich Sorgen, wie er gerade dasteht und woher wohl der nächste Job kommt. Aber am schlimmsten ist es sicher für die Frauen.

Nach 40 sinken Fruchtbarkeit und Rollenangebote. . .

. . .und die Ehefrau eines Typen wie Matthew McConaughey würde normalerweise eine Anfang Zwanzigjährige spielen. Nicht, wie in unserem Film, Marisa Tomei, deren Falten man ruhig sehen darf.

"Sie halten mich für den besten Koch der Welt"

Bei Hollywood-Männern ist jugendliches Aussehen unfairerweise nicht zwingend. Sie vergleicht man optisch mit gleich zwei Legenden: Marlon Brando. . .

. . .das wäre das größte Kompliment überhaupt. Er ist mein absoluter Held.

. . .und James Dean.

Auch ein Idol für mich, keine Frage.

Der eine wurde fett, der andere starb jung. Wie sieht Ihre Altersstrategie aus?

Ich glaube nicht, dass ich jemals fett werde. Nicht nur aus Eitelkeit, vor allem, weil ich zu Depressionen und Angstzuständen neige, und Sport für mich die beste Methode ist, meine Stimmung in den Griff zu bekommen. Sterben werde ich natürlich, so viel ist sicher.

Um jung zu sterben, sind Sie mit Ihren 36 eigentlich schon zu alt.

Ich plane das auch nicht für die nahe Zukunft.

Wenn nun alles schiefgeht, wenn Sie arm und alt in den miesen Stadtvierteln wohnen, von denen Sie eingangs so schwärmen - wer wird Sie dort besuchen?

Meine Kinder natürlich. Sie sind die Einzigen, denen es völlig egal ist, wie viele Zuschauer ich an die Kinokasse ziehe, ob ich beliebt bin und auf die richtigen Partys eingeladen werde. Kinder zu haben und sie aufwachsen zu sehen, ist für mich das Größte am Leben. Sie halten mich für den besten Koch der Welt. Dabei bin ich nicht mal ansatzweise passabel.

Wie viele Kinder werden es noch? Bisher haben Sie zwei. Demnächst steht, auf Initiative einer ehemaligen Geliebten, ein Vaterschaftstest für Sie an.

Tja. Mal sehen.

Die launische, großartige Greta Garbo sagte: "Jeder Mann hat die Liebesaffären, die er verdient." Richtig?

Ich glaube, ich hatte mehr, als ich verdiene. Na toll: Den Satz bekomme ich nicht mehr aus dem Kopf. Ich werde alle vergangenen und gegenwärtigen Romanzen unter dieser Vorgabe noch mal genau unter die Lupe nehmen. Trotzdem danke für diesen Impuls. Ein Segen, diese Interviews in Europa. Sie sind so viel intellektueller als bei uns in Amerika.

Matthew Ryan Phillippe, geboren am 10. September 1974 in New Castle, Delaware, legte mit dem ersten Vornamen und Umzug nach New York auch seine kleinbürgerliche Herkunft ab. Er startete seine Karriere in der Seifenoper "One Life to Live". Seine erste Paraderolle kam in der Teenieversion von "Gefährliche Liebschaften", die den marktgängigen Titel "Eiskalte Engel" trug: der verwöhnte Schnösel, der vor Verachtung über das gewöhnliche Leben die Lippen kräuselt. In den folgenden Jahren landete er vor allem wegen seines Privatlebens immer wieder in den Schlagzeilen: 2007, nach der Scheidung von Hollywoods Kronprinzessin Reese Witherspoon, kämpfte er erfolgreich für das gemeinsame Sorgerecht für die beiden Kinder. Unter der Regie von Robert Altman und Clint Eastwood und in Filmen wie "L.A. Crash" erspielte er sich den Respekt der Kritiker. Von 23. Juni an ist er als L.A.-Playboy in "Der Mandant" zu sehen. Am selben Tag läuft "The Bang Bang Club" an, in dem Phillippe einen Kriegsreporter spielt.

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