Ruhrfestspiele:Und ab

Castorfs Ruhr-Rauswurf.

Von Andreas Wilink

Bei einer Ehe würde man von tiefer Zerrüttung sprechen, deren einzige Konsequenz Scheidung bedeutet. Das Wahrscheinliche ist eingetreten: Der Aufsichtsrat der Ruhrfestspiele hat deren künstlerischen Leiter Frank Castorf nach einer Spielzeit aus seinem Amt entlassen und zugleich die Abberufung von Gerard Mortier als Geschäftsführer beschlossen.

Frank Castorf

Frank Castorf

(Foto: (Foto: ddp))

Die Entscheidung wurde nach der außerordentlichen Aufsichtsratssitzung am Montag in Berlin bekannt gegeben und mit dem "massiven Zuschauerschwund" begründet. Die Festspiele seien durch ein Minus von rund 700.000 Euro an den Rand der Insolvenz geraten, das "Experiment der Neuausrichtung" mit Castorf sei "gescheitert". Die Auslastung der Ruhrfestspiele war mit nurmehr 35 Prozent desaströs.

In dem 15-köpfigen Gremium halten der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Stadt Recklinghausen als Hauptgesellschafter die Majorität; der Wille des DGB, Castorf zu entlassen, war erklärtermaßen vorher schon vorhanden.

Dadurch nahm man in Kauf, das Land NRW, vertreten durch seinen Kulturminister Michael Vesper, das bei den Ruhrfestspielen finanziell engagiert ist, zu brüskieren - und noch dazu Mortier, den Gründungsintendanten der Ruhrtriennale, die mit den Ruhrfestspielen seit diesem Jahr in einem Kooperationsvertrag verbunden ist. Mortier hatte bereits am vergangenen Donnerstag seinen symbolischen Rücktritt als ehrenamtlicher Intendant der Ruhrfestspiele angekündigt, weil er seine Arbeit durch das barsche Vorgehen des DGB desavouiert sah. Vesper mochte nach der Castorf-Entlassung dem Ruhrfestspiele-Aufsichtsrat nur in einem Punkt zustimmen: Der Kooperationsvertrag habe sich nicht bewährt.

Der Aufsichtsrat formuliert seine Entscheidung knallhart. Die Gesellschafter, die Castorf zwar weiter als Regisseur loben, vermissen "Professionalität im Festival-Management" - und meinen damit "Organisation, Informationsfluss, Marketing und Präsentation, Umgang mit Förderern und Sponsoren". Zudem bemängeln sie die "Präsenz und den Einsatz des Festspielleiters während der Festspielzeit".

Auch Mortier wird heftig attackiert: Er habe die angekündigten Koproduktionen nicht realisiert, den Ruhrfestspielen zugesagte Mittel vorenthalten, gemeinsame Werbung für beide Festivals habe es auch nicht gegeben. Für Mortiers Erfolgsbilanz im Ruhrgebiet wäre es wichtig, diesen Angriff zu parieren. Auch das Land bleibt nicht ungeschoren: Es trage seit zehn Jahren die Ruhrfestspiele mit gleich hohen Zuschüssen - was faktisch einer Mittelkürzung entspräche. Die massiven Vorwürfe lassen den düpierten Minister von einem "inakzeptablen Verfahren" sprechen: Die Chance für Veränderungen mit dem Gespann Castorf/Flimm sei nun vertan.

Welch Ton, welch Handlung!

Der Rauswurf Frank Castorfs steht in seinem ungerührten Stilgebaren wie in seiner Begründung beinahe beispiellos da. Versucht wird zwar von Seiten der Gesellschafter, die rein auf schlechter Quote gründende Argumentation auch inhaltlich auszuweiten - doch der Verdacht bleibt, man orientiere sich vorwiegend an einer Abstimmung mit den Füßen. Dabei sollte doch gerade der Gewerkschaft, ihrer Tradition zufolge, bloßes Zahlendenken suspekt sein. Castorfs Stoffwahl für seine Ruhrfestspiele-Eröffnung erweist sich im nachhinein als geradezu prophetisch: "Gier nach Gold", basierend auf Frank Norris' Roman, erzählt vom Untergang der Menschen für eine Hand voll Dollar.

Viele offene Fragen bleiben: Wer besteigt von jetzt auf gleich den Schleudersitz Ruhrfestspiele, deren Programmgestaltung fürs nächste Jahr schon in Vorbereitung sein müsste? Jürgen Flimm jedenfalls nicht - er übernimmt als Nachfolger Mortiers in wenigen Wochen die Ruhrtriennale. Er wolle sich nicht als "Ruinenbaumeister" betätigen, sagt Flimm: "Ich bin gerade in Bayreuth vom grünen Hügel gestiegen - jetzt auf den grünen Hügel von Recklinghausen zu klettern, ist mir zu anstrengend."

Macht die Koexistenz zweier NRW-Landesfestivals nach diesem Desaster überhaupt noch Sinn? Was aber sollte andererseits eine Fusion nutzen? Wie kann sich ein Festival entwickeln, das so abrupt um seine Perspektiven gebracht wurde? Zumal die Gestaltungsmöglichkeiten durch die Verluste 2004 dramatisch kleiner werden dürften. Und wohin sollte es sich entwickeln - zum populären Gastspielzirkus?

Durchaus angebracht wäre es gewesen, über den künstlerischen Erfolg des Castorf-Starts zu streiten. Der Aufsichtsrat hat nicht ganz Unrecht, wenn er feststellt: "Ein Festival in NRW mit bundesweiter Strahlkraft verlangt mehr als den Export des Volksbühnen-Konzepts früherer Jahre von Ost nach West."

Ein Wort von Karl Marx lässt sich auf die komplett verfahrene Situation anwenden: "Die Landschaft der Industrie ist das aufgeschlagene Buch der menschlichen Psychologie." Welcher Art müssen Kränkungen und Misstrauen sein, um solchen Ton anzuschlagen, um solches Handeln in Gang zu setzen?

Unvereinbare Prinzipien und Temperamente trafen aufeinander: die Beamtenmentalität eines Apparates, des DGB, einerseits, rebellische Sturheit und eine ästhetische Position andererseits, die eine Inszenierung als soziale Plastik interessanter findet denn als Event. Die Bilanz der Ruhrfestspiele ist nun katastrophaler, als es jede noch so künstlerisch verunglückte Castorf-Saison hätte sein können.

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